Wie wichtig Hans Lindberg noch immer für die Füchse Berlin ist, hat sein Fehlen während der Corona-Erkrankung gezeigt. Der fast 40-Jährige ist im Spiel und in der Kabine nach wie vor unersetzlich.
Als Däne und Vater zweier Kinder kennt Hans Lindberg die Märchen von Hans-Christian Andersen natürlich fast auswendig. Es ist ein lieb gewonnenes Ritual geworden, dass er seinen beiden Söhnen Aron und Karl-Philipp abends vor dem Einschlafen aus den Büchern vorliest. Das Märchen vom „Tölpel-Hans" ist bei den Sprösslingen besonders beliebt, nicht selten wird im Bett gekichert, „weil Hans auch mein Name ist", sagt Lindberg. Zuletzt konnte der Handball-Profi der Füchse Berlin seinen Kindern sehr viel vorlesen, er hatte sogar mehr Zeit für seine Familie als ihm lieb war. Ein positiver Corona-Test bei der Länderspielreise mit der dänischen Nationalmannschaft Mitte März sorgte für eine mehrwöchige Zwangspause für den Rechtsaußen. Der 100-Tore-Mann, der die interne Rangliste mal wieder überlegen anführt, fehlte den Füchsen als treffsicherer Angreifer und Führungsspieler auf dem Parkett und in der Kabine. Ohne ihren Ex-Kapitän verlor der ambitionierte Hauptstadtclub auch bei Frisch Auf Göppingen (25:24), es war die siebte Niederlage aus neun Bundesligaspielen.
„Er ist ein Aushängeschild unseres Clubs"
Die Berliner hatten sich vor der Partie extra in ein dreitägiges Kurztrainingslager zurückgezogen, doch der Effekt verpuffte. Die Saisonziele sind jetzt fast nicht mehr zu erreichen. Insgeheim hatten die Füchse gehofft, schon in dieser Saison ein kleines Wörtchen um den Titel mitreden zu können, doch stattdessen droht das Verpassen des Europapokals. Das Verletzungspech spielt dabei eine Rolle. Kapitän Paul Drux, der am Knie operiert werden musste, wurde schmerzlich vermisst. Auch Torhüter Dejan Milosavljev und Linksaußen Milos Vujovic waren angeschlagen. Und das Fehlen von Lindberg und seinem Nationalmannschaftskollegen Jacob Holm wegen der Corona-Erkrankung setzte dem Ganzen die Krone auf. „Für uns ist das natürlich äußerst bitter, zwei weitere Ausfälle von so wichtigen Spielern beklagen zu müssen", hatte Trainer Jaron Siewert nach Bekanntwerden der Fälle geäußert. Aber die sportliche Perspektive müsse man „hintenanstellen und hoffen, dass der Krankheitsverlauf milde ist und die Spieler keinerlei bleibende Schäden oder Einschränkungen davontragen." Ganz so problemlos schien die Erkrankung bei beiden Profis nicht verlaufen zu sein, denn beide waren nach der obligatorischen Zwei-Wochen-Quarantäne noch nicht zurück auf dem Parkett.
Besonders Lindbergs Qualitäten hätten die Berliner in dieser Zeit, in der sie den Anschluss an die oberen Tabellenplätze verloren haben, sehr gut gebrauchen können. Der Musterprofi, der im Sommer 40 Jahre alt wird, gehört noch längst nicht zum alten Eisen. Mit seiner Wurftechnik, seiner Kaltschnäuzigkeit und seinem unbändigen Siegeswillen ist er für die Füchse nach wie vor unersetzlich. Deshalb verlängerte der Club den Vertrag mit Lindberg auch vorzeitig um ein weiteres Jahr bis 2022. „Hans ist sowohl sportlich als auch menschlich ein elementar wichtiger Bestandteil unserer Mannschaft. Er ist außerdem ein Aushängeschild unseres Clubs", sagte Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar. Für den einstigen Weltklasse-Linksaußen gebe es daher auch „nicht den geringsten Zweifel, dass Hans beim Erreichen unserer Visionen eine ganz wichtige Rolle spielen kann und wird". Und die Vision ist – ungeachtet von der aktuell unbefriedigenden Saison – die Titelreife. Und Lindberg weiß, wie man Titel gewinnt. Mit seinem Heimatland wurde der Däne Welt- und Europameister, mit dem HSV Hamburg zudem deutscher Meister und Champions-League-Sieger. Die Füchse führte er zu internationalen Triumphen im EHF-Pokal und bei der Club-Weltmeisterschaft. „Ich weiß, dass die Deutsche Meisterschaft Ziel des Vereins ist", sagte Lindberg der „Berliner Morgenpost". „Ob das in meiner Zeit noch erreichbar ist, müssen wir mal schauen." An ihm soll es nicht scheitern, er gehe ohnehin „in jedes Spiel, um zu gewinnen, das zählt für jeden Wettbewerb, den ich spiele".Und auf Lindberg war und ist immer noch Verlass. Seit seiner ersten vollen Saison in Berlin (2016/17) hat er immer mindestens 140 Saisontore in der Liga erzielt, auch in dieser Spielzeit hat der Mann mit der Nummer 18 die 100-Tore-Marke bereits geknackt. Allein in der Bundesliga hat er insgesamt schon knapp 2.500 Tore erzielt. In Berlin ist Lindberg schnell zum Publikumsliebling aufgestiegen, in seiner Heimat ist er das schon lange. „Ich habe immer Hans im Fernsehen geguckt", sagte Landsmann und Teamkollege Jacob Holm, „und er ist eine der größten Handball-Legenden in Dänemark."
Dass er im Spiel oft auf Mit- und Gegenspieler trifft, die vom Alter her seine Söhne sein könnten, ist für Lindberg kein Problem. „Eher ist es andersrum, dass die Leute kommen und fragen: ‚Was macht der alte Mann noch hier?‘", scherzte er. Solange er Spaß am Profi-Handball habe und er seine Leistung bringe, „so lange mache ich das. Im Kopf bin ich immer noch jung". Auf den Beinen ist der 39-Jährige natürlich nicht mehr der Schnellste, was auf der Position des Rechtsaußen ein großes Problem darstellen könnte. Aber diesen Nachteil macht er mit Erfahrung wett. „Timing" sei alles, erklärte Lindberg, „du musst eben ein bisschen früher starten". Im Laufe der Jahre entwickle man „einen Blick dafür, wann die Möglichkeit zum Laufen da ist, zum Schnellangriff". Er habe das Gefühl, dass er „dadurch den anderen gegenüber noch immer einen kleinen Vorteil" habe. Seine riesige Erfahrung zahlt sich vor allem beim Siebenmeter aus, im direkten Duell gegen den Torwart ist Lindberg kaum zu bezwingen. Dabei verlässt sich der Torjäger fast ausschließlich auf seinen Instinkt. „Ich bereite mich natürlich auch auf die Torhüter vor. Aber du weißt vorher ja nicht immer, wie sie sich hinstellen", sagte Lindberg. Man müsse immer bereit sein, von seinem Plan abzuweichen, „wenn man einen hat. Immer hat man den gar nicht."
Vertragsverlängerung nicht ausgeschlossen
Auch einen festen Plan, wann seine erfolgreiche Karriere zu Ende geht, hat Lindberg nicht. In einem Jahr werde man schlauer sein, eine erneute Vertragsverlängerung in Berlin ist aber ausdrücklich nicht ausgeschlossen. „Ich muss erst mal Leistung zeigen, dann schauen wir, wie es weitergeht." Wenn die Leistung stimmt, werden die Club-Verantwortlichen alles tun, um Lindberg zu halten – trotz des hohen Alters. Schon die jüngste Vertragsverlängerung sei „eine Herzensangelegenheit für ihn und eine Herzensangelegenheit für uns" gewesen, betonte Geschäftsführer Bob Hanning.
Damit er auf höchstem Niveau weiterhin Top-Leistungen abrufen kann, übt sich der Feinschmecker privat in Verzicht. „Eine meiner Schwächen ist, dass ich gern gut esse und einen Rotwein dazu trinke", sagte er. „Je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass ich da sehr aufpassen muss." Ansonsten würde er es „beim nächsten Training bereuen". Heutzutage achte er viel mehr auf seine Ernährung als noch als 25-Jähriger, außerdem investiere er viel mehr Zeit für die Regeneration. „Ich höre jetzt tatsächlich mehr darauf, was mein Körper für Signale gibt", erklärte Lindberg. Die Corona-Erkrankung nahm der Handball-Profi daher erst recht nicht auf die leichte Schulter – auch wenn er für die Füchse gern früher wieder auf dem Parkett gestanden hätte.