Die Füchse Berlin wollten eine bislang enttäuschende Saison mit einem internationalen Titel retten – doch daraus wurde nichts. Im Finale der European League verschlief das Team den Start komplett.
Jaron Siewert versuchte erst gar nicht, seine Enttäuschung zu verstecken. Nur zu gerne hätte der 27 Jahre alte Trainer der Füchse Berlin in seinem ersten internationalen Finale den Pokal in die Höhe gestemmt – aber bei seinen Spielern war diese Gier nicht unbedingt zu erkennen. Zumindest nicht in der ersten Halbzeit des Endspiels der EHF European League gegen den SC Magdeburg. „Für die lange Reise, die wir durch Europa hatten“, sagte Siewert gefrustet, „haben wir in der ersten Halbzeit zu wenig Herzblut gezeigt.“ Man habe das Endspiel „selbst verbockt“. Siewerts deftige Halbzeit-Ansprache zeigte zwar Wirkung, doch auch mit einem besseren zweiten Durchgang konnten die Füchse den Ligarivalen nicht mehr einfangen. Mit 25:28 verlor der Hauptstadtclub in Mannheim die Final-Premiere des neuen Wettbewerbs, der ein neues Branding des EHF-Cups ist, den Berlin 2015 und 2018 gewinnen konnte. Ein dritter Triumph scheiterte an der Schlafmützigkeit zum Spielstart. „In der ersten Halbzeit war das einfach kein Auftreten für ein Finale“, sagte Kapitän Paul Drux selbstkritisch. „Da waren wir einfach eine Klasse schlechter.“ Das traf auch auf ihn und die anderen Führungsspieler zu. Nationalspieler Fabian Wiede zum Beispiel kassierte früh eine erste Zeitstrafe wegen eines unglücklichen Ellenbogen-Checks gegen Michael Damgaard. Die Magdeburger nutzten die Überzahl zu einer frühen 3:0-Führung aus, die Berliner liefen danach immer einem Rückstand hinterher. Der wuchs bis zur Halbzeit sogar auf sieben Tore an – eigentlich war die Partie da fast schon gelaufen. Nichts erinnerte an den herausragenden Halbfinalsieg gegen die Rhein-Neckar Löwen (35:32) nur 24 Stunden zuvor. Der dänische Weltmeister Lasse Andersson zum Beispiel war kaum wiederzuerkennen, das Angriffsspiel der Füchse stockte.
„Wir haben zu wenig Herzblut gezeigt“
Lag es am kräftezehrenden Halbfinale? Danach seien „alle müde“ gewesen, verriet Andersson, „aber Magdeburg hatte auch ein hartes Spiel“. Die Magdeburger hatten sich in der Runde zuvor gegen den polnischen Erstligisten Wisla Plock zu einem 30:29-Erfolg gemüht. In einem Finale ist aber weniger der Körper entscheidend, sondern der Kopf. Und die Füchse schienen mental nicht topfit zu sein. Trainer Siewert kritisierte, sein Team habe „keine wirkliche Tiefe und Zug zum Tor gehabt“, dafür aber „viele Fehlwürfe und einfache Fehler“. In der zweiten Halbzeit habe man sich zwar wieder herangekämpft, hatte „dann aber nicht das Glück“. Denn im Tor der gegnerischen Mannschaft stand ein Mann, der an diesem Abend das ganze Glück gepachtet zu haben schien: Jannick Green. Der 32-Jährige hielt mit 17 Paraden den Pokal für sein Team fest. Im Vergleich dazu: Berlin kam nur auf sieben Torhüterparaden. „Wir haben Green auch noch zum König geschossen“, sagte Drux gefrustet. Doch genau wie Siewert erkannte auch der Nationalspieler an: „Mit der Leistung im Finale ist Magdeburg der verdiente Sieger.“ Die dritte Pleite im dritten Saisonduell gegen den SCM war mit Sicherheit die bitterste. Magdeburg stand nach 14 Jahren mal wieder in einem europäischen Endspiel und wirkte über die gesamte Partie gesehen etwas hungriger auf den Titel, die Siegprämie von 100.000 Euro und das automatische Startrecht für den Europapokal in der kommenden Saison. Erfolgreichster Torschütze des Gewinners war Omar Ingi Magnusson mit sieben Treffern. Dem Isländer fehlten aber zwei Tore, um die Torschützenkrone in der EHF European League zu erhalten. Die geht nun an Emil Jakobsen vom dänischen Klub GOG.
Die Füchse gingen komplett leer aus, dabei hatten sie sich so viel vorgenommen. „Dadurch, dass es bisher eine sehr durchwachsene Rückrunde war, hast du mit einem Titelgewinn die Chance, nicht nur etwas gerade zu rücken, sondern Geschichte zu schreiben“, hatte Sportvorstand Stefan Kretzschmar im Vorfeld gesagt. Bei einem Sieg könne man „ein ganz anderes Resümee“ ziehen. Doch daraus wird nun nichts. Die Enttäuschung war auch deshalb so groß, weil der Halbfinalsieg gegen die Löwen andere Erwartungen geweckt hatte. Man hatte dem Gastgeber nicht nur sein „Finale dahäm“ verbaut, sondern endlich auch mal einen „Großen“ geschlagen. Die Füchse spielten hochkonzentriert, schnell, konsequent und präsentierten sich von allen Positionen enorm treffsicher. Vor allem die Rückraumspieler Wiede und Andersson waren „on fire“. Außerdem erwischte Dejan Milosavljev im Tor einen starken Tag. „Auswärts bei den Löwen 35 Tore zu werfen ist schon eine starke Leistung“, hatte Siewert gelobt. Man habe auch in der zweiten Halbzeit, als die Löwen das Spiel ausgeglichener gestalten konnten, „immer die Ruhe bewahrt“. Spielmacher Jacob Holm meinte: „Das wird jetzt ein wenig besser und jedem ist bewusst, was seine Rolle ist.“ Das stimmt auch Bob Hanning milder, obwohl der Geschäftsführer mit der Platzierung in der Bundesliga natürlich nicht einverstanden ist. „Was in der Mannschaft für ein Potenzial steckt, zeigt sie jetzt aber von Spiel zu Spiel immer besser“, sagte Hanning. Auch Kretzschmar hat wohlwollend registriert, dass das Selbstvertrauen der Spieler „in den letzten Wochen gestiegen“ sei, weil die „Jungs jetzt wieder wissen, wie es sich anfühlt, auch gegen gute Mannschaften zu gewinnen“.
Transferoffensive wird es nicht geben
Doch das verlorene Endspiel gegen Magdeburg ist ein herber Rückschlag auf dem anvisierten Weg zu einem internationalen Topclub. Vielleicht ist der Kader noch nicht so gut, um zeitnah wirklich Kiel, Flensburg und die Löwen attackieren und Titel gewinnen zu können. Eine Transferoffensive der Füchse wird es in diesem Sommer aber nicht geben. Geschäftsführer Hanning hat sich Zurückhaltung auf die Fahnen geschrieben, weil die Corona-Saison ein tiefes Loch (rund 1,5 Millionen Euro) in die Kassen reißt und die Rückkehr der Zuschauer für die neue Spielzeit noch nicht sicher ist. Und selbst wenn: Volle Hallen und damit volle Kassen wird es so schnell nicht geben. Weitere Staatshilfen lehnt Hanning zwar nicht ab, aber mit den öffentlichen Geldern will er eigentlich keine neuen Stars holen. „Mag sein, dass das opportun ist, ich mache das aber nicht“, sagte der Funktionär bei Sky. Er wolle nicht „drei neue Spieler holen“ und zugleich andere Spieler bitten, auf Gehalt zu verzichten. „Das bin ich nicht.“ Und so wird Hanning Spielern auch keine Steine in den Weg legen, sollten sie den Club verlassen wollen. So wie der 35 Jahre alte Abwehrspieler Jakov Gojun, der nach sechs Jahren in Berlin zu seinem Stammverein RK Zagreb zurückkehrt.
Die Löwen dürften es derweil als kleinere Provokation empfunden haben, dass sie trotz des enormen Wettkampfstresses in dieser Saison noch um den völlig unbedeutenden dritten Platz beim diesjährigen Final Four kämpfen mussten. Der Bundesliga-Dritte gewann das „kleine Finale“ gegen Wisla zwar mit 32:27, doch den Frust über den K.o. in der Runde zuvor löschte dieser Sieg nicht mal ansatzweise. „Ich spüre gerade gar nichts, ich bin tot im Herzen“, sagte Löwen-Torwart Andreas Palicka. „Ich weiß wirklich nicht, was passiert ist. Wir sind so schwach gestartet und konnten unser gewohntes Niveau nicht erreichen.“