Die besten Handball-Clubs kämpfen um Europas Krone – und Deutschland bleibt nur die Gastgeberrolle. Topfavorit auf den Titel sind die noch ungeschlagenen Stars des FC Barcelona.
Für Aleksander Ceferin ist und bleibt Fußball der „König" unter den Sportarten, doch das hindert den Uefa-Präsidenten nicht, auch mal den Blick über den Tellerrand zu werfen. Und beim Handball gefällt ihm vor allem das Final Four, bei dem der Champions-League-Sieger ermittelt wird. So eine Turnierform der vier besten Teams würde Ceferin auch lieber heute als morgen in der Königsklasse der Fußballer einführen. „Ich persönlich möchte, dass es gemacht wird", sagte der Slowene der französischen Sport-Tageszeitung „L’Equipe". „Es könnte großartig werden."
Das Final Four war auch für den deutschen Handball lange ein Fest der Freude. Nach der Premiere zum Abschluss der Saison 2009/2010 war die Handball-Bundesliga HBL bis 2016 immer vertreten, oft sogar mit zwei Clubs. Doch zuletzt war die selbst ernannte „beste Handball-Liga Europas" beim Showdown um Europas Krone meist nur noch Zuschauer – so wie in diesem Jahr. Wenn am 13. Juni in der Kölner Lanxess Arena der neue Champions-League-Sieger im Konfettiregen gekürt wird, bleibt Deutschland nur die Gastgeberrolle. Bei vier der letzten fünf Finalturniere waren HBL-Clubs nicht mehr vertreten. Zufall ist das mit Sicherheit nicht. Die Ligen in Frankreich, Ungarn und Spanien mögen in der Breite nicht so ausgeglichen besetzt sein wie die Bundesliga, aber die Topclubs sind zum Teil sogar besser besetzt als zum Beispiel Deutschlands Aushängeschild THW Kiel. Der Rekordmeister scheiterte bei seiner Mission „Titelverteidigung" im Viertelfinale an Paris Saint-Germain und konnte den ewigen Final-Four-Fluch nicht beenden: Seit Einführung des Finalturniers in der Königsklasse ist noch keinem Club eine erfolgreiche Titelverteidigung gelungen.
So weit voraus denken die aktuellen Final-Four-Teilnehmer nicht, sie wollen zunächst einmal den europäischen Handball-Thron erklimmen. Die Auslosung in Wien ergab, dass der Dänische Meister Aalborg Handbold und Frankreichs Renommierclub Paris Saint-Germain das erste Halbfinale am 12. Juni austragen, und Spaniens Rekordchampion FC Barcelona gegen Frankreichs zweiten Vertreter, den HBC Nantes, das zweite. Das Turnier wird coronabedingt ohne Zuschauer stattfinden. FORUM stellt die vier Teams vor.
AALBORG HANDBOLD
Für den Club aus der jütländischen 210.000-Einwohnerstadt ist es eine Premiere, noch nie stand er auf der ganz großen Champions-League-Bühne. Etwas überraschend sicherte sich das Team von Trainer Stefan Madsen im Viertelfinale gegen die SG Flensburg-Handewitt das Halbfinal-Ticket, ein Tor machte am Ende den Unterschied. Der schwedische Nationalspieler Felix Claar sorgte mit seinem finalen Treffer für riesengroßen Jubel bei den Dänen. Schon jetzt hat der Underdog alle Erwartungen übertroffen, doch nur dabei sein ist ihm nicht genug. „Wir sind endlich hier, zum ersten Mal in der Clubgeschichte", sagte Kreisläufer Magnus Saugstrup. „Das ist für uns auch die Möglichkeit, zu beweisen, dass wir hier hingehören." Auf Saugstrup sollten vor allem die Fans des SC Magdeburg achten, denn der Däne wechselt im Sommer zum SCM. „Magnus ist ein Allround-Kreisläufer, sehr stark auf beiden Seiten, in Angriff und Abwehr", sagte Aalborgs Co-Trainer Arnor Atlason, der auch eine Magdeburger Vergangenheit als Spieler hat. Saugstrup sei „sehr beweglich", verhalte sich „taktisch klug" und „klaut viele Bälle". In einer 6:0-Abwehr stehe er solide, seine Stärken habe er aber in der vorgezogenen 5:1-Abwehr, so Atlason. „Da hat er auch eine Riesenqualität." Mit dem Mentalitätsspieler habe Magdeburg einen guten Fang gemacht, meinte Aalborgs Co-Trainer: „Er hat sich in den letzten Jahren super entwickelt, und ich bin davon überzeugt, dass er seine Entwicklung beim SCM fortsetzen will."
PARIS SAINT-GERMAIN
Zumindest Niklas Landin drückt PSG im Final Four die Daumen. Im Falle eines Triumphes könnten der Torhüter und seine Teamkollegen beim THW Kiel zumindest behaupten, im Viertelfinale gegen den späteren Sieger ausgeschieden zu sein. „Ich wünsche Paris das Beste für den Rest der Saison", sagte Landin. „Wir wussten, dass wir an unsere Topform herankommen müssen, um uns gegen Paris zu qualifizieren. Das haben wir leider nicht geschafft." Auch, weil die Franzosen clever und kompakt agierten. Und weil sie mit Elohim Prandi im Rückspiel den überragenden Akteur auf dem Parkett hatten. Der 22-Jährige erzielte neun Treffer und war von Kiel nicht zu stoppen. „Während des Spiels hatte ich viele Emotionen, vor allem hatte ich so viel Spaß", verriet der Rückraumspieler. Prandi will auch beim Final Four aufdrehen, doch der französische Nationalspieler weiß, dass er zum Glänzen ein funktionierendes Team braucht. Und das hat er in Paris. „Ich würde keinen von meinen Teamkollegen eintauschen", sagte er. „Ich habe von Anfang an an uns geglaubt. Ich bin mir sicher, dass wir noch sehr viel erreichen werden." Kann Paris seine geballte Offensivpower gewinnbringend ausspielen, dürfte sich Frankreichs Topclub gegen Aaalborg durchsetzen. Doch der Druck des Favoriten liegt nun bei PSG, im Viertelfinale gegen Kiel war das noch anders.
FC BARCELONA
Auf dem Papier spricht alles für die Katalanen. Sie sind mit neun Teilnahmen das erfahrenste Final-Four-Team, sie haben eine unvergleichliche Qualität im Kader – und einen fast schon beängstigend erfolgreichen Lauf: Barça hat in dieser Saison alle seine Champions-League-Spiele gewonnen. „So weit, so gut", sagte Linksaußen Casper Mortensen, „aber wir sind immer noch hungrig, ganz ehrlich. Wir wollen jedes Spiel gewinnen." Das klingt fast wie eine Drohung an die anderen Final-Four-Teams. Im Viertelfinale bekam HC Meshkov Brest die Extraklasse des spanischen Dauermeisters zu spüren, der zusammengerechnet mit 73:57 gewann. „Barça hat gezeigt, was für ein großartiges Team es ist", sagte Brest-Profi Simon Razgor. Die Motivation der Spanier kommt nicht von ungefähr, schließlich ist die Erinnerung an das verlorene Endspiel in der Königsklasse gegen Kiel im vergangenen Dezember noch frisch. Abseits des Parketts ist die Stimmung aber nicht nur gut. Der bis 2022 laufende Vertrag von Trainer Xavier Pascual Fuertes wird im Sommer aufgelöst – unabhängig vom Ausgang beim Final Four. Der neue Barça-Vorstand verspricht sich von dem Trainerwechsel „neue Impulse". Die Entscheidung überrascht vor allem mit Blick auf Fuertes Erfolge: Seit seiner Amtsübernahme 2009 hat der frühere Torhüter mehr als 50 Titel mit Barça gewonnen, darunter auch zweimal die Champions League (2011 und 2015). Ab Sommer tritt Antonio Carlos Ortega das schwere Erbe an – das zumindest verkündete Barcelona, ohne Ortegas aktuellen Arbeitgeber TSV Hannover-Burgdorf deswegen informiert zu haben. Geschweige denn, nach einem Ausstieg aus dem bis 2022 laufenden Vertrag zu fragen.
HBC NANTES
Im Halbfinal-Duell gegen Barcelona sind die Franzosen klarer Außenseiter. Schon das Erreichen der Vorschlussrunde war ein Erfolg und nur durch den Vier-Tore-Vorsprung aus dem Hinspiel gegen Telekom Veszprém HC möglich. Nantes ist zum zweiten Mal beim Final Four dabei. „Schon die Teilnahme bedeutet uns alles", meinte Rückraumspieler Alexandre Cavalcanti. Für HBC-Trainer Alberto Entrerríos und die Spieler Adriá Figueras, Valero Rivera, Eduardo Gurbindo und David Balaguer ist das Halbfinale noch bedeutsamer, schließlich kämpfen sie gegen ihre Landsleute. Balaguer wurde sogar bei Barcelona ausgebildet, ist aber seit sechs Jahren für Nantes aktiv. Er war im Viertelfinale eine große Stütze seines Teams und soll auch in Köln für viele Tore von Rechtsaußen sorgen.
Und die deutschen Clubs? Sie lecken ihre Wunden – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Corona-Saison hat die Bundesligaprofis besonders geschlaucht, weil die deutsche Liga größer ist als die der Konkurrenz. Weil in der Vorsaison keine Absteiger ermittelt wurden, gibt es nun 20 statt 18 Erstligisten. Die Kieler Mannschaft mit vielen Nationalspielern sei körperlich „total am Limit" gewesen, sagte Kreisläufer Patrick Wiencek, der selbst im Drei-Tages-Rhythmus Spiele absolvierte, bis ihn ein Bruch des Wadenbeins im Viertelfinal-Hinspiel gegen Paris stoppte. THW-Trainer Filip Jícha hatte versucht, die Belastungen möglichst gleichmäßig zu verteilen, Spielern Pausen zu gönnen – aber irgendwann „waren die Kräfte nicht mehr da", sagte er. Auch deshalb fühlten die Spieler nach dem Viertelfinal-K.-o. zunächst nichts als Leere. „Das Ausscheiden ist wirklich hart", sagte Torwart Niklas Landin Jacobsen. Auch die Flensburger, die im Viertelfinale an Aalborg gescheitert waren, hatten mit den Belastungsspitzen zu kämpfen und immer wieder verletzungsbedingte Ausfälle zu beklagen. Das Team wollte sich dennoch bis ins Final Four durchkämpfen – aber die Frische fehlte. „Für mich persönlich ist das die bitterste Niederlage meiner Trainerlaufbahn", sagte SG-Trainer Maik Machulla.
Die Lehre für die Bundesligaclubs müsste eigentlich diese sein: Den Kader breiter aufstellen, um der Terminhatz nicht wieder zum Opfer zu fallen. Aber die Corona-Saison ohne Zuschauereinnahmen hat tiefe Löcher in die Kassen gerissen, auch Spitzenclubs wie Kiel und Flensburg müssen jeden Euro zweimal umdrehen. Ohne eine Lösung in der Belastungsfrage könnten die deutschen Clubs aber auch in der nächsten Champions-League-Saison wieder nur zuschauen, wenn es zum Showdown kommt. Was man nicht vergessen darf: Als die Kieler im Dezember triumphierten, kamen sie aus einer zweiwöchigen Pause ausgeruht aufs Parkett zurück. Das Gesundheitsamt hatte den Club mit einer Corona-Quarantäne dazu quasi „gezwungen".