Weil Meistertrainer Aito Garcia Reneses eine Auszeit nimmt, ist bei Alba Berlin nun die Zeit für dessen einstigen Assistenten gekommen. Israel Gonzalez ist der natürliche Nachfolger.
Aito Garcia Reneses ist eine Trainer-Ikone im Basketball, doch viel Privates weiß man hierzulande über den Spanier nicht. Das liegt auch daran, dass Reneses ungern mit der Presse spricht. In einem Frage-Antwort-Spiel für den Hauptsponsor von Alba Berlin gewährte er vor ein paar Jahren aber doch mal einen kleinen Einblick ins Persönliche. Auf das Stichwort „Ich vergesse immer…" ergänzte der Coach: „…was vor zehn Minuten war. Alte Erinnerungen bleiben." Ab sofort wird Reneses auch über seine höchst erfolgreiche und spannende Zeit bei Alba in Nostalgie schwelgen, der 74-Jährige hat den Staffelstab an seinen Assistenten Israel Gonzalez weitergegeben.
Offiziell nur ein „Sabbatical"
Offiziell legt Reneses nur ein „Sabbatical" ein, so steht es auch in der Pressemitteilung des Vereins. Ausgeschlossen ist eine Rückkehr des Trainerfuchses, der so perfekt zum eingeschlagenen Weg des Clubs gepasst hatte, demnach nicht. „Jetzt ist die Zeit für mich gekommen, als Coach eine Pause einzulegen und meine Batterien wieder aufzuladen", sagte Reneses, der lange mit der Entscheidung über seine persönliche Zukunft gerungen hatte. Das lag auch daran, dass ihm Alba, der erste Club, den er im Ausland übernommen hatte, mächtig ans Herz gewachsen ist: „Ich habe es genossen in dieser Stadt, in diesem Club, mit den Fans und vor allem mit den Menschen, mit denen ich jeden Tag gearbeitet habe."
Und Alba profitierte enorm von Reneses, der in seinen vier Jahren beim Bundesligisten unbestritten eine Ära prägte. Noch bedeutender als die zwei Meistertitel, der Pokalsieg und das Finale im Euro-Cup war, dass Reneses dem Club zu einer Identität verhalf. Das schöne Spiel stand bei ihm immer im Vordergrund, junge Talente forderte und förderte er und verhalf Alba damit trotz geringerer finanzieller Mittel zu einem glänzenden Ruf in ganz Europa. An seiner Seite war stets ein Mann, dem Reneses blind vertraute und der nun sein schweres Erbe antritt: Israel Gonzalez. „Ich freue mich sehr für Israel", sagte Reneses über seinen Landsmann, „er hat bewiesen, was er kann."
Schon in der Vergangenheit war Gonzalez für den verhinderten Boss an der Seitenlinie eingesprungen, zum Beispiel, als Reneses wegen einer Corona-Erkrankung knapp einen Monat lang ausfiel. Es war eine Art Testlauf, ob der zum „Associate Headcoach" beförderte Gonzalez auch das Zeug zum Cheftrainer hat. Das Fazit fiel nicht nur mit sieben Siegen in elf Spielen positiv aus, auch die Art und Weise der Teamführung ließ die Verantwortlichen beruhigt in die Zeit nach Reneses blicken. Und die ist nun gekommen.
„Mit Israel als Headcoach schlagen wir bei Alba ein neues Kapitel auf", sagte Sportdirektor Himar Ojeda. So neu wird dieses Kapitel aber gar nicht, denn Trainer und Spieler sind nach vier Jahren Zusammenarbeit längst aneinander gewöhnt. „Alle haben großen Respekt vor ihm. Wir vertrauen ihm sehr als Headcoach", sagte Power Forward Luke Sikma, der dem 46-Jährigen schon bei seiner Interims-Zeit einen „großartigen Job" attestiert hatte. Auch Ex-Kapitän Nils Giffey, den es nach Litauen zu Zalgiris Kaunas zog, hat nur gute Erinnerungen an Gonzalez: „Ich mag ihn als Person. Er hat eine gute Gelassenheit und einen trockenen Humor." Und fachliche Qualitäten, denn: „Er ist von Aito geprägt".
Umstellungsprobleme sind nicht zu erwarten, Gonzalez lässt als Reneses-Schüler nahezu denselben Basketball spielen wie sein Vorgänger. „In sechs gemeinsamen Jahren habe ich sehr viel von ihm gelernt", sagte Gonzalez: „Ich möchte dieses schöne und begeisternde Basketballspiel weiter voranbringen und die großen Gefühle darum herum mit all unseren Fans teilen." Dass dem neuen Cheftrainer das gelingt, davon ist Ojeda komplett überzeugt: „Israel hat ein großes Spielverständnis, er teilt unsere Basketball-Idee und unsere Werte im Verein."
Ojeda kennt Gonzalez sogar noch länger als Reneses, ihn hatte er 2009 als damaliger Manager von BC Gran Canaria zum spanischen Zweitligisten geholt. Dort arbeitete Gonzalez auch zwei Jahre unter Reneses, ehe beide gemeinsam nach Berlin gingen. „Es geht nicht darum, Israel mit Aito zu vergleichen", meinte Alba-Geschäftsführer Marco Baldi. Gonzalez sei mehr als nur ein Schatten-Mann, er sei „ein Trainer mit Erfahrung, einer eigenen Persönlichkeit, einem eigenen Temperament". All das solle er nun „auch ausleben" dürfen, ohne „irgendeinem Schema hinterherzulaufen, das in den letzten Jahren super erfolgreich war", so Baldi.
Gonzalez eher als zurückhaltender Typ bekannt
Giffey meint, dass sich der neue starke Mann an der Seitenlinie in gewisser Weise auch von Reneses emanzipieren müsse, um das volle Vertrauen in der Mannschaft zu gewinnen. Mit markigen Sprüchen oder einer „Ich bin hier der Boss"-Einstellung ist aber nicht zu rechnen, Gonzalez will seinem eher zurückhaltenden Typ auch in der Chefrolle treu bleiben. „Hallo zusammen, ich bin der neue Trainer" – mit diesen schüchternen Worten stellte sich der Alba-Coach bei seiner offiziellen Präsentation vor.
Wichtiger sind ihm Inhalte. Und hier wird schnell klar, dass Gonzalez genau wie sein Vorgänger auf die Eigenverantwortung der Spieler setzt. „Das Spiel baut auf den Spielern auf" – so lautet sein Mantra. Er wolle die Mannschaft nicht in irgendein System reinzwängen, sondern „ihnen Dinge näherbringen, die sie in der Zukunft gebrauchen können." Hilfe zur Selbsthilfe, sozusagen. Das bedarf aber einer enormen individuellen Förderung, ohne dass mannschaftstaktische Pflichtaufgaben vernachlässigt werden. Sie erhalten in Berlin nur nicht so viel Aufmerksamkeit wie an anderen Standorten. „Wenn du bessere Spieler hast", ist sich Gonzalez sicher, „hast du auch ein besseres Team."
Und dieses Team soll – genau wie unter Reneses – unberechenbar und attraktiv spielen. Gonzalez will „zügige Gegenangriffe" und ein „schnelles Umschaltspiel" sehen, „das ist schön anzusehen fürs Publikum." Der Spanier nennt diese Art des Spiels „Fan-Basketball", und den wolle man „weiter pflegen". Gonzalez greift intern wie extern in seiner Kommunikation gerne auf Sprachbilder zurück. Wenn seine aktuelle Mannschaft zum Beispiel ein Anzug wäre, veranschaulichte er kürzlich, dann sei das „ein sehr schöner Anzug". Die Farbe gefalle ihm, der Stil auch. „Aber vielleicht muss man den Anzug an der einen oder anderen Stelle noch anpassen", ergänzte Gonzalez vielsagend.