Fünf Spiele, fünf Siege: Die Füchse Berlin haben einen Saisonstart nach Maß hingelegt. Doch der wahre Gradmesser kommt erst jetzt: THW Kiel.
Für Bob Hanning ist Jaron Siewert der ideale Trainer. Nicht nur, weil dieser sich durch seine frühere Arbeit im Nachwuchsbereich schon seine Meriten verdient hat, und auch nicht unbedingt, weil der 27-Jährige schon vom Alter her für einen Aufbruch steht. Hanning schätzt an Siewert eine andere Qualität besonders. „Ich habe selten einen Trainer erlebt", sagte der Geschäftsführer der Füchse Berlin, „der auf der einen Seite so akribisch ist und auf der anderen Seite so ruhig und gelassen im Umgang mit Stress ist." Das ist beim Hauptstadtclub besonders schwierig, da hier mit Hanning und Sportvorstand Stefan Kretzschmar zwei absolute Alphatiere den Ton angeben. „Er ist in der Mitte eines Sturms", sagte Hanning über Siewert, „und dabei standhaft geblieben."
Nach einer nicht immer einfachen Premierensaison, die Siewert mit einem gelungenen Schlussspurt noch erfolgreich beenden konnte, läuft es in der neuen Spielzeit von Anfang an sehr rund. Fünf Siege aus fünf Ligaspielen, 10:0 Punkte, 163:118 Tore, dazu der Einzug in die Gruppenphase der European League. Das nennt man einen Start nach Maß – doch der wahre Gradmesser kommt erst jetzt. Das Topspiel am 10. Oktober (14.00 Uhr) in der heimischen Max-Schmeling-Halle gegen Meister THW Kiel wird zeigen, ob die Füchse in dieser Saison auch die ganz Großen ärgern und im Titelrennen vielleicht ein Wörtchen mitreden können. Denn das ist das mittelfristige Ziel, und das weiß Siewert auch. „Das wird einem immer deutlich mitgeteilt, dass in Berlin für Mittelmaß kein Platz ist", erklärte Hanning.
Kader nicht für Mittelmaß ausgelegt
Der Kader der Füchse ist auch überhaupt nicht für Mittelmaß ausgelegt. Inzwischen kann Siewert seinen Stammkräften die notwendigen Pausen gönnen, ohne dass der Qualitätsverlust durch die Nachrücker von der Bank zu groß ist. Diese Ausgeglichenheit ist auch ein Grund, warum die Füchse saisonübergreifend 17 Siege in Folge eingefahren haben. Diese Serie wollen die Berliner im schweren Heimspiel gegen Kiel mit aller Macht verteidigen. „Wir wissen, dass wir eine extrem gute Serie haben und super drauf sind", sagte Nationalspieler Fabian Wiede.
Das bewiesen sie auch beim 35:30-Heimerfolg gegen den HC Erlangen, der bis dato nur gegen Kiel verloren hatte. Gegen Berlin setzte es die zweite Saisonniederlage, auch wenn die Füchse etwas Anlaufzeit benötigten. „In der zweiten Hälfte haben wir richtig gut gefightet und den Vorsprung behalten", sagte Siewert: „Wir sind froh mit einem Sieg und dem guten Rhythmus." Auch Kretzschmar war sichtlich zufrieden mit dem Sprung auf Platz drei – direkt hinter Kiel: „Ich finde, wir haben es im Angriff sehr gut gelöst und technische Fehler direkt ausgenutzt." Nur so kann es auch gegen Kiel gehen.
Hanning setzt im Topspiel auch auf den Heimvorteil. Im Fuchsbau werden wieder über 3.000 Zuschauer ihr Team anfeuern und in schwierigen Phasen, die es gegen den Serienmeister aus dem hohen Norden mit Sicherheit geben wird, unterstützen. „Die Verbindung zwischen dem, was auf der Platte und auf den Rängen sich vollzieht, genieße ich am meisten", sagte Hanning: „Die Spieler genießen einen Heldenstatus, wenn sie ins Publikum gucken. Du kannst vielleicht noch den letzten Zentimeter gehen, auch wenn er noch so wehtut."
Für den Sprung in die Champions League, vielleicht ja sogar für den Meistertitel, müssen die Berliner konstanter werden. Auch beim gelungenen Saisonstart waren die Verantwortlichen nicht mit allen Phasen zufrieden, noch immer schleicht sich mitunter ein gewisses Phlegma ein. Doch an diesem Problem arbeitet Siewert, der in der Vorsaison seine erste Krise als Trainer bravourös gemeistert hatte, jeden Tag im Training. Er verlangt absoluten Siegeswillen und volle Konzentration.
Das Team versteht den jüngsten Trainer der Bundesliga immer besser, was auch daran liegt, dass die Mannschaft bis auf Abwehrchef Jakov Gojun zusammengeblieben ist. Die Säulen im Team bilden neben Torhüter Dejan Milosavljev auch die beiden deutschen Nationalspieler Wiede und Paul Drux, die immer stärker in die Führungsrolle hineinwachsen. Die Talente wie Valter Chrintz üben Druck auf die Etablierten aus, und Spieler wie Lasse Andersson und Marian Michalczik finden sich nach einem Jahr bei den Füchsen immer besser zurecht.
Der schmerzhafte Abgang von Gojun wurde bislang gut kompensiert. Die Lücke im Abwehrzentrum schließt vor allem der 2,10-Meter-Riese Marko Kopljar, der laut Kretzschmar „menschlich und auch sportlich einen Schritt nach vorne gemacht" habe. Unterstützt wird Kopljar inzwischen vom spanischen Neuzugang Viran Morros, der sich nach seiner Muskelverletzung bei Olympia in Tokio erst wieder herankämpfen musste. Gegen Erlangen bewies Morros nach seiner Hereinnahme, dass er der Mannschaft Stabilität und Emotionalität verleihen kann. „Er hat die Halle richtig zum Kochen gebracht", schwärmte Kretzschmar.
An der generellen Klasse des 37-Jährigen besteht in Berlin überhaupt kein Zweifel. „Er ist sehr kommunikativ und bringt sehr, sehr viel Erfahrung mit", sagte Siewert: „Wir hoffen, dass er Schritt für Schritt immer besser wird." In Topform wäre Morros ein Riesengewinn, allein schon seine Erfahrung dürfte in Duellen wie gegen Kiel von großer Bedeutung sein. Der Spanier ist Welt- und Europameister, er gewann dreimal die Champions League und ist in der Defensive fast immer eine Bank. Er sei „ein Iker Romero für die Abwehr", verglich ihn Hanning mit dem früheren Publikumsliebling der Füchse.
Morros muss sich nach Verletzung Wieder rankämpfen
Eigentlich hatte Morros gar nicht mehr vorgehabt, sich noch mal in jeden Zweikampf zu schmeißen. Weil sein Vertrag beim französischen Spitzenclub Paris Saint-Germain auslief, stellte er sich mental schon auf die Handball-Rente ein. Doch ein Anruf von Füchse-Profi Andersson, der einst mit Morros in Barcelona zusammenspielte, brachte ihn zum Umdenken. Die Aufgabe bei den Füchsen in der Bundesliga reizte ihn. „Die beiden sind gut miteinander befreundet", sagte der für Transfers zuständige Kretzschmar: „Ich wünschte, ich könnte sagen, ich habe diesen Coup von langer Hand geplant, aber das war wirklich alles sehr kurzfristig." Die Füchse nahmen das „Geschenk" aber dankend an. Schon in den ersten Tagen präsentierte sich der Weltstar aufgeschlossen gegenüber den Vereinsstrukturen, Trainingsmethoden und Teamkollegen. Das beeindruckt auch Drux, der Morros als „immer freundlich, immer gut drauf" und „einfach überragend" beschreibt. Selbst als Morros wegen seiner Verletzung zum Zuschauen verdammt war, coachte er das Team neben Siewert von der Seitenlinie aus. „Bei den Testspielen hat man schon gesehen, dass er hinter der Bank überhaupt nicht stillsitzen kann, sondern sich immer bewegt und Tipps gibt", sagte Drux dem RBB: „Und ich glaube auch, dass er mit seiner Erfahrung nicht lange brauchen wird, um uns zu helfen."
Genau das möchte Morros tun. „Ich will meine Energie und meine Erfahrung einbringen und meinen Mitspielern helfen, besser zu werden", so der 14-malige Meister in Spanien und Frankreich. Privat hat sich der Zweimeter-Mann zum Ziel gesetzt, während seiner Zeit in Berlin möglichst viel von der Stadt, die er „sehr, sehr" mag, zu erkunden.