Sie sind die nächste Stufe der Evolution: Quantencomputer. In Deutschland arbeitet Prof. Dr. Christian Ospelkaus an den Rechnern, die selbst die stärksten Supercomputer in den Schatten stellen sollen. Einer von ihnen wird im HITec-Institut in Hannover aufgebaut.
Unser Rechner unter dem Schreibtisch ist etwa so groß wie zwei Schuhkartons und vollgestopft mit Platinen, Transistoren und Plastik – so gibt es ihn seit Jahrzehnten, im Grunde die gleiche Technologie wie zu Zeiten von Konrad Zuse. Fieberhaft arbeiten Forscher jedoch bereits an der nächsten Evolutionsstufe der Computer: Quantenrechner können zwar Informationen in einzelnen Atomen ablegen, dafür müssen jedoch neben dem Haus zwei Sattelschlepper mit Lasertechnologie stehen, sagt Christian Ospelkaus. Der Professor für Experimentelle Quantenoptik arbeitet am Hannover Institute of Technology (HITec) mit Kollegen an einem Quantencomputer. Genauer: an einem Ionenfallen-Quantencomputer. Heutige Rechner arbeiten mit sogenannten Bits, einer Informationseinheit aus Nullen und Einsen. Durch die Stärke der anliegenden elektrischen Spannung an einem Transistor auf einem Computerchip erhält diese Einheit die Information, ob sie sich im Zustand „Null" oder „Eins", Strom an oder aus, befindet. „Auch in jedem Quantencomputer wird eine Art von Chip drinstecken", erklärt Ospelkaus. Der funktioniert jedoch anders – auf quantenmechanischer und nicht elektrischer Basis.
Rechner arbeitet mithilfe von Ionen
Im Falle der Ionenfallen-Technologie wird ein geladenes Atom über einer leitenden Fläche eingefangen. Zwei der Elektronenbahnen rund um das Atom werden als Null und Eins definiert – ein sogenanntes Qubit (Quanten-Bit). Damit diese Technologie funktioniert, arbeitet sie in einem Vakuum, jedoch bei Raumtemperatur. Andere Technologien wie der Supraleiter-Quantencomputer benötigen Temperaturen nahe des absoluten Nullpunktes bei minus 273 Grad Celsius, um die Quanten gewissermaßen „anzuhalten", und sind dementsprechend technisch aufwendiger.
Der Grund, warum ein Quantencomputer so viel leistungsfähiger als unsere heutigen Elektronengehirne ist, liegt in der Fähigkeit der Qubits, parallel in mehreren Zuständen gleichzeitig zu sein. Verdeutlicht wird dies oft am Beispiel einer Münze: Wirft man sie, landet sie entweder auf Kopf oder Zahl – wie ein Bit. Schnippt man sie in die Luft, befindet sie sich gleichzeitig in mehreren Zuständen: drehend, in Auf-und-Ab-Bewegung, mal auf Kopf, mal auf Zahl. Mit zwei Bits heutiger Rechner können Zahlen von 0 bis 3 abgebildet werden – nacheinander: Die Kombination 00 bedeutet 0, 01 bedeutet 1, 10 bedeutet 2 und 11 bedeutet 3. Qubits können sich wegen ihrer paral- llelen Zustände in 0, 1, 2 und 3 gleichzeitig noch in beliebigen Überlagerungen dieser Zustände befinden. Deshalb sind sie um ein Vielfaches schneller als unsere jetzigen Computer.
Prof. Dr. Ospelkaus und sein Team haben bereits einen ersten Ionenfallen-Quantencomputer gebaut – mit zwei Qubits. Wie gut ein Quantencomputer rechnen kann, hängt letztlich von der Umkehrbarkeit seiner Rechenoperationen ab. So werden Fehlerraten aufgedeckt, die bei guten Rechnern bei 0,01 Prozent liegen dürfen. „Die Schwierigkeit bei Quantencomputern ist also, dass man bei ihrem Bau vom Ende her denken muss", so Ospelkaus. Noch produziert der Zwei-Qubit-Rechner in Hannover eine Rate von 0,1 Prozent –
zu viele Fehler. „Dabei handelt es sich aber um technische Probleme, die wir in den Griff bekommen können." Nächster Forschungsschritt ist das Einfangen einer beliebigen Zahl von Qubits in der Ionenfalle. Jedes zusätzliche Qubit erhöht die Geschwindigkeit des Rechnens exponentiell.
Kann ein Quantencomputer also bald „im Vorbeigehen" Sicherheitssysteme knacken? Die Bedenken, dass diese Technologie die hochkomplexen Verschlüsselungen zum Beispiel von Finanzsystemen überflüssig machen, teilt Christian Ospelkaus nicht. „Diese Bedenken gibt es bei asymmetrischen, also Public-Key-Kryptografie-Verfahren, aber auch hier werden bereits Verfahren entwickelt, die ein Quantencomputer nicht knacken kann. Dazu bräuchte es Millionen von Qubits" – und dies ist technisch zwar vorstellbar, aber vorerst nicht machbar.
Klingt alles kompliziert – und ist es auch. Denn die Gesetze der Quantenmechanik sind völlig anders als diejenigen, die man noch aus Zeiten der Schulphysik kennt. Die Einsatzmöglichkeiten dieser Rechner seien aber vielfältig, so Ospelkaus. „Der Quantencomputer kann sicherlich all das, was unsere heutigen Rechner auch können, aber das wäre nicht hilfreich. Interessant ist sein Einsatz, wenn wir ein spezifisches Problem mit komplexen Datensätzen lösen wollen, am besten Probleme, die auch etwas mit Quantenmechanik, mit der molekularen Ebene unserer Welt zu tun haben." Zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Materialien, in der chemischen Industrie oder der Pharmazie. Auch im Hinblick auf die Forschung an Quantenrechnern in den USA oder China müsse man aufgrund der Chancen, die diese Technologie biete, mitspielen.
Perfekt für spezifische Probleme und viele Datensätze
Dabei sind Quantencomputer bereits seit Jahrzehnten keine Zukunftsmusik mehr, die ersten entstanden bereits in den 90er-Jahren, konnten allerdings nur einfache Gleichungen lösen. 2019 soll Googles erster Quantenrechner „Sycamore" mit 53 Qubits eine Rechenaufgabe in knapp drei Minuten gelöst haben, für die ein normaler Rechner 10.000 Jahre benötigt hätte. Chinesische Wissenschaftler vermeldeten 2020, ihr Modell Jiuzhang habe eine Rechenoperation in 200 Sekunden gelöst, für die der aktuell stärkste Superrechner Fugaku in Japan 2,5 Milliarden Jahre gebraucht hätte. Der chinesische Quantenrechner arbeitet mithilfe von Lichtteilchen, den Photonen.
Deutschland spielt international hier noch keine große Rolle – außer in der Lieferung von Komponenten. Derzeit steht der erste kommerziell nutzbare Quantencomputer Deutschlands mit 27 Qubits in Ehingen in einem Labor der Fraunhofer-Gesellschaft, ein riesiger Supraleiter-Quantenrechner, jedoch gebaut vom US-Computerpionier IBM. Das Industrieunternehmen Trumpf in Ditzingen bei Stuttgart investiert Millionen in die Produktion von Lichtquanten-Chips, die das Quantencomputing in herkömmlichen Rechnern nutzbar machen soll. Die Technische Universität München hat einen Halbleiter-Quantenchip vorgestellt, der Hard- und Software mit hoher Rechenleistung zur Verschlüsselung nutzt. Die Bundesregierung hat zwei Milliarden Euro für den ersten Quantenrechner aus deutschen Laboren bereitgestellt. Von diesem Geld profitiert auch die Forschungsgruppe in Hannover. Das Rennen ist also längst eröffnet. Ob der private Nutzer aber in Zukunft mit Quantenrechnern hantiert, ist für Ospelkaus fraglich: „Er wird definitiv so etwas wie ein Koprozessor für technisch-wissenschaftliche Anwendungen werden, der in speziellen Facilities bereitgestellt wird." Standard-Algorithmen, die auch heutige Rechner beherrschen, würden dadurch nicht schneller werden, oder einfacher formuliert: Textverarbeitung auf Quantenrechnern zu starten ist eine Verschwendung von Ressourcen.