Die Verlagsleiterin Charlotte Kramer steht der weltgrößten Verlagsgruppe für Faksimiles, dem Verlag Müller und Schindler, dem Faksimile Verlag und Eikon Editores vor.
Frau Kramer, Ihr Ziel ist die „originalgetreue Wiedergabe eines Buches", dabei soll „das Faksimile auch Geist und die Anmutung des Originals erfassen und wiedergeben". Wie gelingt das?
Das gelingt durch die hohen Maßstäbe, die wir anlegen, das heißt, es dürfen nur qualitätsvolle Materialien verwendet werden, und durch unser kleines, weltweites Expertenteam, das in der Lage ist, die Reproduktion nach unseren Kriterien zu erfüllen. Wir organisieren mit dem Inhaber oder Eigentümer des Originals eine Ausstellung am Ende der Reproduktion, wenn unser erstes Buch fertig ist. Wir legen das Faksimile neben das Original, um beispielsweise zu vergleichen, ob die Farben ident mit dem Original sind.
Verwenden Sie dabei auch Gold?
Ja, natürlich. Wir verwenden manchmal Echtgold und sonst Foliengold für unsere Editionen. Wir haben auch eigens eine Technik entwickelt, um das Gold aufzutragen.
Diese Originale sind einzigartige Schätze. Welches Projekt war bislang das für Sie herausforderndste?
Jedes Projekt birgt seine Herausforderungen. Über die Jahre ist uns bewusst geworden, dass es kein einfach umzusetzendes Faksimile-Projekt gibt. Die besonderen Herausforderungen betreffen entweder die Farben, den Einband, den Beschnitt, das Gold oder den Farbschnitt des einzelnen Werkes. Besonders viele Herausforderungen brachte der Pariser Psalter mit sich, und zwar sowohl was das Gold betraf, wie auch den blau-goldenen Farbschnitt und das Buchhemd, das wir nachweben mussten. Auch die Holzkassette, in der das Werk aufbewahrt wird, geben wir wieder.
Verläuft der Entstehungsprozess überwiegend digital und weniger handwerklich?
In den ersten Schritten natürlich schon. Wir haben tolle Kameras zur Verfügung, die es uns ermöglichen, ein Faksimile mit hoher Qualität hervorzubringen. Die Repro-Arbeiten passieren alle am Computer. Kommen die Druckbögen aus der Maschine, ist ausschließlich Handarbeit gefragt.
Geht es Ihren Auftraggebern – Museen und Institutionen – hauptsächlich darum, Originale, die nicht mehr gezeigt werden, diese als Faksimiles der Öffentlichkeit präsentieren zu können?
Ja, man muss unterscheiden zwischen Auftragsarbeiten, wo die Institutionen auf uns zukommen, und uns bitten, dass wir Dokumente reproduzieren aus unserem eigenen Verlagsprogramm. Dafür treffe ich die Titelauswahl und gehe meinerseits auf die Institutionen mit der Bitte, ein Faksimile machen zu dürfen, zu. Argumente dafür sind, dass die wissenschaftliche Bearbeitung des Originals im Zusammenhang mit der Faksimileedition mit Begleitbänden wissenschaftlicher Texte geliefert wird, als auch, dass eine Handschrift durch eine Faksimileedition geschützt und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.
Sie haben den Papst besucht. Wie kam es dazu?
Unsere Edition des Bibeltextes, illustriert mit Miniaturen aus bedeutenden Handschriften, begeisterte den Papst so sehr, dass er das Vorwort eigens für dieses Werk verfasst hat. Ich habe ihm das erste Exemplar dieser wunderbaren Edition persönlich überreicht.
Auch Liebhaber können bei Ihnen exquisite Blätter erwerben. Beispielsweise den „Turmbau zu Babel". Dieses Kunstwerk weckt Assoziationen, gerade in dieser Zeit. Was geht Ihnen bei der Betrachtung durch den Kopf?
Ein wunderschönes Motiv von wunderschöner Farblichkeit! Das ist ein ganz reiches Bild, das Sie sich rausgepickt haben – es ist auch eines meiner Lieblingsmotive. Im Detail ist unglaublich viel zu entdecken und zu erkennen. Oben am Turm zum Beispiel wird gekämpft, unten erkennt man diese Szenerien bei den Bauarbeiten. Man kann dabei auch herauslesen, wie ein Bau zu diesen Zeiten vonstattengegangen ist. Was mir zeitgemäß dazu einfällt ist, dass es das Sprachengewirr natürlich auch zu unserer Zeit genauso gibt. Wobei wir es schon ganz gut schaffen, miteinander zu kommunizieren, zumindest sprachlich. Aber vielleicht auf kultureller und emotionaler Ebene nicht ganz so gut, das ist uns ein bisschen abhandengekommen. Insofern lässt sich das Motiv wohl auch als Parabel verwenden. Wir müssen wieder lernen, miteinander in verschiedenen Kulturen und verschiedenen Wertesystemen zurechtzukommen.