Emmanuel Macron tritt mit einer langen Agenda die EU-Ratspräsidentschaft für sechs Monate an. Gleichzeitig erwartet ihn zu Hause ein herausfordernder Wahlkampf.
Klotzen statt kleckern, das ist die Devise von Emmanuel Macron. Der französische Staatspräsident hat sich in den sechs Monaten seiner Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union sehr viel vorgenommen: Das Motto der neuen Ratspräsidentschaft für die nächsten sechs Monate lautet „Aufschwung, Stärke, Zugehörigkeit". Macron sagte, ein neues europäisches Wachstumsmodell müsse nach der CoronaKrise Innovationen und das Schaffen von Arbeitsplätzen vorantreiben, Wettbewerbsfähigkeit sichern und im Einklang mit Klimaschutzzielen stehen. Ins Zentrum der Ratspräsidentschaft will Frankreich die Bereiche Klimaschutz und Digitalisierung rücken. Auch die Stärkung der europäischen Souveränität und das Thema Mindestlohn stehen auf der Agenda. Der Vorsitz des Ministerrats wechselt alle sechs Monate zwischen den 27 Mitgliedsländern der EU.
Bereits kurz vor Weihnachten hatte Macron in einem gemeinsamen Schreiben mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi eine leichtere Schuldenaufnahme der EU gefordert. Damit sind die Zeiten der viel kritisierten Merkelschen Austeritätspolitik endgültig passé, und Macron tritt aus ihrem Schatten. Mit der erstaunlich geräuschlos agierenden Technokraten-Koalition in Rom verbindet Macron, wie auch viele europäische Südländer, der Wunsch, die finanziellen Herausforderungen gemeinsam zu stemmen.
Angesichts massiver neuer Schulden wegen der Corona-Pandemie und bevorstehender Investitionen in den Klimaschutz wird auf EU-Ebene derzeit über eine Umgestaltung der EU-Schuldenregeln gestritten. Der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt sieht vor, dass EU-Staaten insgesamt nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung an Schulden aufnehmen. Zudem ist in den auch als Maastricht-Kriterien bekannten Vorgaben geregelt, dass Haushaltsdefizite bei drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gedeckelt werden sollen. Der Pakt wurde aber – wegen der hohen Corona-Kosten – bis 2023 ausgesetzt. Nach Angaben der sogenannten Eurogruppe wird die Verschuldung der Euro-Länder in diesem Jahr 100 Prozent des BIP erreichen, die Defizitquote 7,1 Prozent. Doch nicht alle EU-Länder wollen die Kriterien reformieren. Sparsamere Staaten – etwa die Niederlande oder Dänemark – sind dagegen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu seiner Zeit als Finanzminister betont, die Regeln seien flexibel genug.
Schulden, Sicherheit und Migration
Doch nicht nur die Schuldenregelung soll neu verhandelt werden. Ein EU-weiter Mindestlohn, eine CO2-Steuer auf Importe und die Neuregelung des Schengen-Raumes als Grundlage einer europäischen Armee stehen auf Macrons Agenda. Vieles davon sind keine neuen Ideen, Ideen, die Macron bereits seit Langem hegt, Ideen, die an der gewichtigen deutschen Position in der EU in Person Angela Merkels gescheitert wären. Der Zeitpunkt ist günstig, Macrons starke europäische Agenda voranzutreiben und aus dem Windschatten Merkels herauszutreten – seine letzte Gelegenheit ohnehin als französischer Staatspräsident.
Gleichzeitig erwartet ihn zu Hause eine zweite Herausforderung: die französischen Präsidentschaftswahlen am 10. und 24. April.
Fünf Frauen treten gegen Macron an, darunter Valérie Pecresse, die überraschend gegen ihre parteiinternen Herausforderer der Les Républicains gewonnen hatte. Law and Order verspricht die ehemalige Ministerin des Kabinetts Fillon zu Zeiten der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy und unterscheidet sich damit gar nicht so sehr von der harten Agenda, die Sarkozy im Hinblick auf die Banlieues, die bis heute unruhigen Trabantenstädte, aufgestellt hatte. Anne Hidalgo, auf der die Hoffnung der Sozialisten ruhen, gilt zwar als erfolgreiche und progressive Bürgermeisterin von Paris. Außerhalb der Stadt aber kennt sie niemand. Die Zustimmungswerte dümpeln entsprechend im einstelligen Bereich vor sich hin.
Mehr Chancen auf die Stichwahl darf sich eine alte Bekannte machen: Marine Le Pen, Rechtsaußen-Kandidatin des Rassemblement National. Sie gibt sich als Geläuterte nach Skandalen und dem angeblichen Bruch mit dem rechtsextremen Milieu, hat allzu radikale Positionen aus dem Programm der Partei gestrichen. Damit macht sie gleichzeitig Platz für noch extremere Positionen wie die von Eric Zemmour: Der Publizist hängt der Verschwörungstheorie des Bevölkerungsaustausches an, seine Wahlkampfveranstaltungen geraten zum Aufmarschgebiet französischer Neonazis.
Macron selbst spielt in dem oftmals stark polemisierenden und polarisierenden Wahlkampf mit, möchte Ungeimpften das Leben gern schwerer machen. Oder genauer, sie „mit Scheiße bedecken", wie er es ausdrückte. Kein leuchtendes Vorbild an Integration für das stark polarisierte Frankreich. Doch laut Umfragen kann er sich derzeit die besten Chancen ausrechnen, eine zweite Amtszeit von den Franzosen zu erhalten.