Zum Auftakt ins Wahljahr 2022 hat die SPD mit Anke Rehlinger ein klares Ausrufezeichen gesetzt. NRW-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty will den Ball aufnehmen.
Anke Rehlinger ist derzeit viel gefragt. Im Saarland sowieso, wo die SPD-Wahlsiegerin kurz vor ihrer Vereidigung als Ministerpräsidentin steht. Am 25. April soll sie als erste SPD-Ministerpräsidentin im Saarland vom Landtag bestätigt und damit die Wachablösung besiegelt werden. Ende März hat sie bei der Landtagswahl der CDU nach mehr als zwanzig Jahren an der Spitze der Regierung eine bittere Niederlage beschert. Und das mit einem Ergebnis, das man angesichts der Entwicklungen der Parteienlandschaft in Deutschland eigentlich nicht mehr für möglich gehalten hätte: 43,5 Prozent – und die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag. Von einem solchen Ergebnis ist die SPD in Nordrhein-Westfalen weit entfernt, aber dass auch hier die SPD die (mit der FDP) regierende CDU ablösen könnte, ist nicht unrealistisch. Die letzten Umfragen deuten auf ein enges Rennen hin.
Da ist die erste große Wahlsiegerin dieses Jahres als Unterstützerin mehr als willkommen. Zum offiziellen Auftakt der NRW-SPD in die heiße letzte Wahlkampfphase steht Rehlinger eine Woche nach ihrem Sieg zwischen NRW-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty und Bundeskanzler Olaf Scholz mit Daumen hoch auf der Bühne in Essen. Und ihre Botschaft ist klar: „Ein Wechsel ist auch in NRW möglich. Es muss ja keine Alleinregierung sein, aber eine, bei der die SPD an der Spitze steht."
Es wäre nicht das erste Mal, dass vom Saarland ein politischer Stimmungstrend ausstrahlt. Bis heute legendär ist der Sieg von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) 2017, von dem allgemein gesagt wird, er habe den „Schulz-Zug" zum Start in das damalige Bundestagswahljahr gestoppt. Das Ergebnis damals mit einer herben Schlappe für die SPD ist bekannt.
Positives Signal für die Wahl in NRW
Diesmal ist die Bundestagswahl zwar schon ein gutes halbes Jahr her, mit dem Sieg der SPD und der ersten „Ampel" auf Bundesebene. Nach früheren Erfahrungen heißt das für die folgenden Landtagswahlen üblicherweise einen schweren Stand für die an der Bundesregierung beteiligten Parteien. Die ersten Zeugnisse, die bei Landtagswahlen ausgestellt werden können, fallen meist nicht allzu freundlich aus. Da sticht der Sieg von Anke Rehlinger, die als erste dran war, noch ein Stück mehr aus den bisherigen Erfahrungsschemata heraus. Die Wahl im Saarland stand in mehrfacher Hinsicht unter besonderen Vorzeichen und war auch eine sehr saarlandspezifische Wahl, mit einer SPD-Spitzenkandidatin, die über die letzten Jahre hinweg durch ihre Arbeit als Wirtschaftsministerin an Ansehen und Statur gewonnen und strategisch systematisch auf diese Wahl hingearbeitet hat. Gleichzeitig gab es einen schwachen Ministerpräsidenten als CDU-Spitzenkandidat und eine CDU, der die Verschleißerscheinungen nach der langen Regierungszeit deutlich anzumerken war.
Die Ausgangslagen in Nordrhein-Westfalen sind andere. Die Regierungserfahrung von Thomas Kutschaty liegt schon eine Legislatur zurück (Justizminister 2010–2017), und allzu lange ist er auch noch nicht Landesparteichef (seit März 2021). Als Herausforderer trifft er allerdings auf einen Ministerpräsidenten und CDU-Spitzenkandidaten, der ebenfalls erst relativ kurz im Amt ist. Hendrik Wüst ist seit Ende Oktober vergangenen Jahres Regierungschef, als Nachfolger des bei der Bundestagswahl gescheiterten Armin Laschet. Der Rücktritt von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser wegen einer umstrittenen Mallorca-Feier nach der großen Flutkatastrophe des vergangenen Jahres und die Teilnahme weiterer NRW-CDU-Prominenz an der Geburtstagsfeier auf der spanischen Urlaubsinsel haben Wüsts Wahlkampf fünf Wochen vor der Wahl in erhebliche Bredouille gebracht.
Kutschaty nimmt die Vorlage auf, spricht beim Wahlkampfauftakt in einem Wortspiel von „laschen und wüsten" CDU-Ministerpräsidenten (Armin Laschet und Hendrik Wüst).
Daneben Bundeskanzler Olaf Scholz und Anke Rehlinger. Dasselbe Bild wie wenige Wochen zuvor, im Wahlkampfendspurt im saarländischen Neunkirchen. Ein Bundeskanzler, der die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine einordnet, gleichzeitig weiß, dass die Wahl in NRW genau wie die zuvor im Saarland am Ende eine landespolitische sein wird bei allen überlagernden Entwicklungen.
Saarland und NRW, die beiden einst durch Kohle und Stahl geprägten Industriereviere, beide in einem massiven Strukturwandel, sind für die SPD von besonderer Bedeutung, so etwas wie die Herzkammer der alten Sozialdemokratie, und jetzt womöglich wieder Symbol für eine erneuerte Sozialdemokratie, die zwischenzeitlich schon mehr als einmal totgesagt wurde, nach dem Absturz in Folge der Agenda-Politik, dem langen Krebsen im Umfragetal von unter 20 Prozent, und dem phasenweise europaweit zu beobachtenden Niedergang der internationalen Sozialdemokratie.
Symbol für erneuerte Sozialdemokratie
Der Sieg von Olaf Scholz bei der Bundestagswahl hat die SPD mehr als beflügelt, auch wenn es ein Sieg in einer besonderen Situation nach dem Ende der Ära Angela Merkel war. Der Sieg im Saarland stand zwar auch unter spezifischen Besonderheiten, aber das (deutlich über) 40-Prozent Ergebnis erklärt sich nicht alleine durch die spezielle Konstellation der Wahlauseinandersetzung.
Die Saar-SPD unter Anke Rehliger hat es über einen längeren Zeitraum geschafft, Antworten in den Zeiten der Umbrüche zu finden, die ursozialdemokratische Orientierungen mit den aktuellen Herausforderungen verbinden, symbolhaft sichtbar an Listenaufstellungen, bei denen junge Gewerkschafter neben Fridays-for-Future-Aktivistinnen kandidierten. Und: Die Hälfte der neu gewählten Abgeordneten ist im Juso-Alter oder ganz knapp drüber. Rehlinger selbst ist gerade erst 46 geworden. Das liest sich nach Eckdaten für eine SPD, die auch in Zukunft den Anspruch auf Volkspartei erhebt.
Ein Wahlsieg in NRW wäre folglich nicht nur aus rein machtpolitischen Aspekten für die SPD eine wichtige Etappe, sondern auch für den Prozess, zu alter Stärke zurückzufinden. Und da ist Nordrhein-Westfalen aus beiden Aspekten der wichtigere der beiden Wahltermine im Mai. Nicht umsonst war Wahlkampfauftakt in Essen ein Stelldichein der Bundesspitze.
Spitzenkandidat Kutschaty jedenfalls darf sich über die Vorlage aus dem Saarland freuen, und tut das auch gebührend. Noch am Tag nach dem Wahlsonntag im Saarland erklärte er: „Ministerpräsidenten der CDU sind abwählbar, gerade auch die jüngere Garde der Ministerpräsidenten". Und dazu zählt neben dem im Saarland abgewählten Tobias Hans (44) auch der nordrhein-westfälische Amtsinhaber Hendrik Wüst (46). Und Kutschaty sieht noch eine Parallele: „Ein Ministerpräsident muss ein Land in dieser Krise gut führen. Da gab es offensichtlich im Saarland Schwierigkeiten. Ähnliches sehe ich in Nordrhein-Westfalen".
Anke Rehlinger hat es jedenfalls vorgemacht, am 18. Mai hat Thomas Kutschaty die Chance, der Vorlage zu folgen. Vermutlich wird man Rehlinger bis dahin noch öfter wahlkampfunterstützend sehen. Dann als neue SPD-Ministerpräsidentin.