Bei der deutschen Basketball-Nationalmannschaft folgt ein Highlight auf das andere. Quali-Spiele, Supercup und die Heim-EM stehen im Spätsommer auf dem Plan. Der größte Star im Team ist besonders motiviert.
Für einen extrovertierten Typen wie Dennis Schröder übt die weltoffene Metropole Berlin einen enormen Reiz aus. Hier kann der Basketball-Superstar auch mal unerkannt die Vorteile des Großstadtlebens genießen. Doch ganz ungetrübt ist sein Verhältnis zur deutschen Hauptstadt nicht – und das hat sportliche Gründe. Rückblick: 10. September 2015, Arena am Ostbahnhof, fünftes und letztes Vorrundenspiel bei der Heim-EM gegen Spanien. Die Schlusssekunden laufen, Schröder steht an der Freiwurflinie und vergibt die Chance auf den Ausgleich und die Verlängerung. Das mögliche Achtelfinale ist dahin, das direkte Olympia-Ticket für Rio de Janeiro auch, und was die Niederlage besonders dramatisch macht: Es ist Dirk Nowitzkis 153. und letztes Spiel im DBB-Trikot.
Seine Karriere als Nationalspieler endet mit einer großen Enttäuschung. Schröder nahm schon damals die Schuld auf sich, und er hat nichts von all dem vergessen. „Im letzten Spiel gegen Spanien hatte ich drei Freiwürfe, habe nur die ersten beiden getroffen. Und wir haben verloren", sagte der 28-Jährige kürzlich bei einem Medientermin in der Arena am Ostbahnhof: „Wir haben hier noch eine Rechnung offen. Dafür trainiere ich täglich." Der Spielmacher will es bei der kommenden Europameisterschaft in Berlin und Köln im September viel besser machen und die deutsche Nationalmannschaft ins Halbfinale, wenn möglich sogar zum Titel führen. „Wenn wir als Team zusammenhalten, ist ganz viel möglich", sagte er: „Das Ziel Medaille ist natürlich hochgesteckt, aber wann sollten wir denn danach streben, wenn nicht bei einer Heim-EM?" Er sei „bereit, alles für Deutschland auf dem Parkett zu lassen".
Dass das nicht nur so dahergesagt ist, konnte man bei den jüngsten WM-Qualifikationsspielen sehen. Beim schwer erkämpften 93:83-Sieg in Bremen gegen Polen überragte Schröder, an dem sich seine verunsicherten Teamkollegen zu jeder Zeit aufrichten konnten. 38 Punkte steuerte der immer anspielbare und auch in der Defense sehr agile Point Guard in seinem 50. Länderspiel bei – persönliche Rekordausbeute im DBB-Trikot. Vor ihm waren nur vier Nationalspieler in einer Partie noch treffsicherer, darunter Nowitzki (47). Vergleiche mit dem Würzburger ist Schröder gewohnt, auch wenn sie sich aufgrund der höchst unterschiedlichen Spielweise und der verschiedenen Charakterzüge eigentlich verbieten. Trotzdem sagt Schröder über die Basketball-Ikone: „Die Zeit mit Dirk ist unbezahlbar. Ich durfte einen Sommer mit ihm verbringen, bei der EM 2015 mit ihm spielen. Das war top – für mich und meine Karriere.
Unter Nowitzki hat Schröder gelernt, was es bedeutet, Nationalspieler zu sein. Der hochtalentierte Regisseur geht mit spürbarem Stolz an die Sache, er stellt seine eigenen Ambitionen mittlerweile dem Teamerfolg unter. Wenn es aber darauf ankommt, zeigt Schröder seine individuelle Klasse. So wie gegen Polen im letzten Viertel, also in der Crunch Time, als er mit 17 Punkten von den Polen nicht mehr zu stoppen war. „Ich wollte das Spiel einfach nur gewinnen", erklärte Schröder, „da ist es egal, ob ich 30 oder 40 Punkte mache." Doch Bundestrainer Gordon Herbert wusste, dass die Solo-Show seines Starspielers dringend nötig war. „Wir brauchen Individualität", sagte der Kanadier, „aber das Team kommt immer an erster Stelle."
Herbert hat eine positive Startbilanz
Das sieht auch Schröder so, der mit Herbert „gute Gespräche geführt" habe. Ein gutes Verhältnis des neuen Bundestrainers mit dem Star ist essenziell für den künftigen Erfolg, da sind sich alle einig. Herbert muss Schröders unbestritten vorhandene individuelle Klasse hervorkitzeln und sie in ein funktionierendes Teamgefüge zur Geltung bringen lassen. „Er bringt etwas Einzigartiges mit, einzigartige Fähigkeiten", sagte Herbert über Schröder. Überzeugungsarbeit müsse er keine leisten: „Er will dabei sein und für sein Land spielen. Das liebt er."
Auch dank Schröder kann Herbert, der das Amt des Bundestrainers im September 2021 als Nachfolger von Henrik Rödl übernommen hat, auf eine positive Startbilanz blicken. Von den sechs Qualifikationsspielen für die WM 2023 in Japan, Indonesien und auf den Philippinen verlor die DBB-Auswahl unter seiner Regie lediglich das Premierenspiel gegen Estland (66:69), danach aber fand sich das Team und gewann die Gruppe D. Die zweite Quali-Runde gegen die Gegner Schweden, Slowenien und Finnland folgt Ende August.
Es wartet ein heißer Basketball-Spätsommer auf die Fans: Nach den nächsten Quali-Spielen folgt der Startschuss zur Heim-EM (1. September), davor findet der Basketball-Supercup in Hamburg (19. und 20. August) mit Gastgeber Deutschland, Serbien, Italien und Tschechien statt. „Basketball-Herz, was willst Du mehr?", frage der DBB auf seiner Internetseite. Alle Teams wollen in Bestbesetzung antreten. Serbien also mit dem zweimaligen NBA-MVP Nikola Jokic, Italien mit Danilo Gallinari und Luigi Datome, Tschechien mit Tomas Satoransky. DBB-Generalsekretär Wolfgang Brenscheidt kann das Mini-Turnier, das auch als Vorbereitung auf die Europameisterschaft einen „enorm hohen Stellenwert" habe, kaum noch erwarten. „Der Supercup hat in diesem Jahr eine Qualität wie nur ganz selten bisher, ein absolutes Highlight in diesem Basketballsommer", sagte Brenscheidt.
Auch Herbert freut sich auf das Turnier mit vier Teams aus den Top zwlf der Welt, bei dem er auf allerhöchstem Niveau für den Ernstfall EM proben kann. „Viele große Namen sind dabei, natürlich auch in unserem Team", sagte der Bundestrainer, der unter anderen mit Zusagen seiner NBA-Stars Schröder, Moritz und Franz Wagner, Isaac Bonga sowie Maximilian Kleber rechnet. „Alle haben ihre Bereitschaft geäußert, im Sommer mit dabei zu sein", verriet er. Sollten die Details in Vertrags- und Versicherungsrecht geklärt werden, stünden sie bereit.
„Wir wollen mit zwölf Spielern zum Supercup kommen, denn es ist wichtig, früh ein Team zu bilden", so Herbert. Der 63-Jährige, der zuvor schon die Auswahlmannschaften von Kanada und Georgien trainiert hatte, schreckt vor großen Zielen nicht zurück. Bei der EM wolle er „aufs Podium" und „eine Medaille" gewinnen, kündigte er selbstbewusst an. Wunschdenken sei das keineswegs, meinte Herbert, denn: „Wir haben großes Potenzial." Das erkennen auch seine Chefs im Deutschen Basketball-Bund (DBB), die die auch nach außen kommunizierten hohen Ziele der Mannschaft mitgehen.
„Wir haben ein exzellentes Team. Wenn wir nach Berlin kommen, ist alles möglich", sagte zum Beispiel DBB-Präsident Ingo Weiss: „Der Bundestrainer will eine Medaille gewinnen. Ich habe nichts dagegen." Als interner Heißmacher kristallisiert sich Schröder heraus. „Ich habe mit den deutschen NBA-Spielern gesprochen", verriet der Spielmacher: „Sie sind heiß. Daniel Theis hat richtig Lust, die Wagner-Brüder Franz und Moritz und auch Maxi Kleber." Schröder stellte aber auch klar: „Wer keine Lust hat, der muss erst gar nicht anreisen."
Er selbst verspürt eine Riesenmotivation – was auch mit seiner persönlichen Situation zusammenhängt. Da er mit den Houston Rockets die Playoffs verpasste und derzeit vereinslos ist, konnte Schröder viel Zeit mit der Nationalmannschaft verbringen. Schon Ende Juni feierte er fast drei Jahre nach seinem bislang letzten Länderspieleinsatz bei der enttäuschenden WM 2019 in China sein Comeback. Das lenkte ihn auch von seiner ungewissen Zukunft in der NBA ab, als Free Agent hängt er derzeit in der Luft. Panik schiebt er deswegen aber keine. Zumindest öffentlich nicht. „Wir werden sehen, wohin die Reise geht", sagte Schröder betont gelassen: „Alles wird gut." Sein Berater sei sehr engagiert und würde ihn „jeden Tag mit Updates" versorgen. Doch die dürften nicht sehr positiv ausfallen.
Einen Platz in der besten Basketballliga der Welt wird Schröder schon noch finden, doch wohl nicht zu den Konditionen, die er für sich selbst als angemessen hält. Vieles deutet darauf hin, dass Schröder wie im Vorjahr ein Not-Angebot annehmen muss. Damals unterschrieb er einen Einjahresvertrag über 5,9 Millionen US-Dollar bei den Boston Celtics, die ihn Mitte der Saison im Tausch gegen Nationalmannschafts-Kollege Daniel Theis aber nach Houston weitertransferierten. Bei den besten NBA-Teams, die den Titel gewinnen können, sind die finanziellen Spielräume fast schon ausgereizt.
Um dort trotzdem unterzukommen, würde Schröder weitere finanzielle Abstriche machen und sogar die Rolle als „Sixth Man", also die des scorenden Point Guards von der Bank, akzeptieren. Doch die Macher der Topclubs zögern, auch, weil Schröder nach seiner starken Zeit bei Oklahoma City Thunder in der NBA nicht mehr groß auftrumpfen konnte. Er würde das Spiel mit seinen Dribblings unnötig verlangsamen, kritisierten nicht wenige Celtic-Fans. Und die Konkurrenz auf seiner Position ist groß. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass seine Entscheidung, den 84-Millionen-Dollar-Vertrag für vier Jahre bei den Los Angeles Lakers abzulehnen, ein großer Fehler war.
Doch Schröder ist keiner, der zurückblickt. Nach dem frühen Saisonaus mit Houston habe er „einen Monat Pause" gemacht, die Zeit mit seiner Familie in Los Angeles verbracht. „Ich musste mental erst mal weg vom Basketball", gab er zu. Aber inzwischen ist er wieder „on fire", sein positives Auftreten auf dem Parkett und in der Kabine sind der Schlüssel für den Erfolg im deutschen Team. „Er tut unserer Gruppe zweifellos gut", sagte Herbert: „Er hat ein einzigartiges Talent, das wissen wir. Er kommt mit einer guten Einstellung und führt auch neben dem Feld."