Mit Mathias Gidsel haben die Füchse Berlin einen der begehrtesten Spieler Europas verpflichtet. Der dänische Shootingstar soll mit seinen Fähigkeiten helfen, den Angriff auf den Titel endlich mit Erfolg zu krönen.
Mathias Gidsel ist schon mittendrin bei den Füchsen Berlin. Als es galt, die neuen Trikots für die anstehende Saison 2022/23 auf den Social-Media-Kanälen zu bewerben, pickte sich die Marketing-Abteilung natürlich den prominenten Neuzugang heraus. Und so machte Gidsel in einem Werbeclip zusammen mit den deutschen Handball-Nationalspielern Fabian Wiede und Paul Drux sowie dem serbischen Abwehrrecken Mijajlo Marsenić auf Straßengang. Mit seinem roten Fischerhut und coolen Posen kam der Däne noch am lässigsten rüber. Gidsel postete das kurze Video auch auf seinem Instagram-Account, dem immerhin fast 100.000 Fans folgen. Dazu schrieb er: „Die Füchse ziehen wieder los!"
Und dass die Füchse möglichst Richtung Tabellenspitze, zumindest aber in die Champions-League-Ränge ziehen, diese Hoffnung ist ganz eng mit dem Namen Mathias Gidsel verknüpft. Für Sportvorstand Stefan Kretzschmar ist der Rückraumspieler „eines der größten Talente unserer Zeit". So ganz passend ist diese Aussage aber nicht, denn der 23-Jährige hat trotz seines jungen Alters den Status eines Talentes längst verlassen. Gidsel ist ein Star. Bei seinem WM-Debüt 2021 in Ägypten hatte er maßgeblichen Anteil am Titelgewinn der Dänen, im Sommer darauf wurde er beim olympischen Handball-Turnier mit Silber und der Auszeichnung zum MVP („Most Valuable Player") für seine herausragenden Auftritte (46 Treffer und 34 Vorlagen) belohnt.
Große Hoffnungen durch die Verpflichtung
Diese Ehrung sahen die Verantwortlichen der Füchse mit Unbehagen, denn sie machte „die ganze Sache nicht einfacher für uns", wie Kretzschmar verriet: „Das waren noch mal schwierige Tage für ihn, weil ihn alle haben wollten." Doch Gidsel hatte damals schon den Berlinern mündlich für einen Wechsel in diesem Sommer zugesagt – und er stand zu seinem Wort. Auch daran haben die Club-Bosse erkannt, dass Gidsel neben der sportlichen Qualität auch viel Charakter mitbringt. Nicht, dass es sie besonders überrascht hätte. Schon während der Gespräche mit dem von zahlreichen Top-Vereinen umworbenen Handballer wurde deutlich: Gidsel hat Mentalität. Warum er sich trotz finanziell und sportlich lukrativerer Angebote für die Füchse entschieden habe, wollte Geschäftsführer Bob Hanning in einem jener Gespräche wissen. Gidsels Antwort: „Weil ihr euch am meisten bemüht habt. Und zum anderen, weil ich etwas gewinnen will, was ich nicht geschenkt kriege."
Der Shootingstar, der in seiner Heimat als legitimer Nachfolger der Handball-Ikone Mikkel Hansen gilt, geht den schwierigen Weg. „Ich mag es, wenn man härter arbeiten muss als beispielsweise Clubs, die mehr Geld haben", sagte er: „Wenn wir was erreichen wollen, müssen wir uns immer weiter verbessern. Und das ist genau mein Ansatz." Es macht für ihn den Reiz aus. Er habe sich „bewusst für Berlin entschieden", sagte er, „weil mich das Konzept begeistert hat und es Spaß machen wird, sich mit dieser Mannschaft weiterzuentwickeln". Er selbst will dabei vorangehen. „Ich möchte gerne so eine Art Anführer in dieser Mannschaft werden", sagte Gidsel. Diese Rolle habe er auch schon bei seinem Heimatverein GOG aus Gudme zuletzt übernommen: „Der letzte Ball endete immer bei mir. Ich mag diese Verantwortung und auch den Druck."
Das hören sie gern in der Füchse-Chefetage, und auch Trainer Jaron Siewert ist begeistert. Der Linkshänder werde „unser Niveau anheben", meinte der 38-Jährige, der vor allem von einer Fähigkeit angetan ist: Auf Gidsel ist in engen Spielsituationen Verlass. „Er ist einer, der bewiesen hat, dass er in der Crunchtime wenig Fehler macht und eine extrem hohe Effizienz hat", sagte Siewert: „Das sind genau die Punkte, die wir bei uns verbessern wollen." Diese Fähigkeiten, das ergab die interne Analyse, haben bislang für den ganz großen Wurf bei den Füchsen gefehlt. Mit dem Transfer des Weltmeisters soll die Lücke zu den Top-Teams geschlossen, der Angriff auf den Titel endlich von Erfolg gekrönt werden. Zumindest Tabellenplatz zwei und damit die Qualifikation zur Champions League ist in der neuen Saison das Ziel.
Für die ambitionierten Pläne des Hauptstadtclubs wolle er „ein Teil des Puzzles" sein, meinte Gidsel. Doch als Messias sieht er sich nicht: „Ich bin nicht Superman." Er alleine könne gar nichts bewirken, nur im Zusammenspiel mit den neuen Kollegen sei Erfolg möglich. „Letztendlich geht es um das Team und nicht nur um mich." Umso glücklicher ist Siewert, dass die Integration von Gidsel und den anderen Neuzugängen Max Darj und Wiktor Kirejew in der Vorbereitung prächtig voranschreitet. Vor allem das einwöchige Trainingslager im Spreewald sei dafür sehr hilfreich gewesen. „So ein Trainingslager ist ja auch immer eine gute Chance, sich kennenzulernen. Und sie sind menschlich top und sehr professionell. Da haben wir, glaube ich, die richtigen gefunden", urteilte der Coach.
Gidsel muss sein Spiel umstellen
Gidsel braucht die intensive Vorbereitung auch. In Berlin muss er sein Spiel etwas umstellen, weil er hier als Halbverteidiger agiert, „was bei uns eine sehr tragende Rolle ist", wie Siewert erklärte. Der Däne ist taktisch so versiert, dass er neue Aufgaben schnell adaptiert. Doch der Trainer warnte auch vor einer zu hohen Erwartungshaltung an den Neuzugang, der erstmals in seiner Karriere im Ausland angeheuert hat: „Er ist noch jung, und auch ihm muss man die Zeit geben und den einen oder anderen Fehler zugestehen."
Dass Fehler und Erfahrungen den hochtalentierten Rückraumspieler nur noch besser machen, davon sind sie in Berlin fest überzeugt. Gidsel sei ein „absoluter Arbeiter, der immer vorangeht", schwärmte Kretzschmar. Starallüren werde es keine geben: „Er wird auch unserer Teamchemie guttun." Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass sich im Kader in Hans Lindberg, Lasse Andersson und Jacob Holm gleich drei dänische Landsleute befinden. „Das hat bei der Entscheidung geholfen", gab Gidsel zu: „Es ist schön, auch ab und zu mal seine Heimatsprache sprechen zu können." Vor allem mit Holm ist er eng befreundet, beide haben die deutsche Hauptstadt schon bei einigen Ausflügen gemeinsam erkundet. Der Wahl-Berliner muss sich von seinem früheren Dorfleben in Dänemark umstellen. Das sei „nicht einfach", gab er zu. Aber es sei auch an der Zeit gewesen, „in eine der spannendsten Städte Europas zu gehen. Die ersten Wochen hier waren auch echt aufregend für mich."
Ab dem 4. September hat Gidsel deutlich weniger Zeit, Berlin zu erleben. Dann beginnt mit einem Heimspiel in der Max-Schmeling-Halle gegen Frisch Auf Göppingen die neue Saison. Drei Tage später wartet schon das erste Auswärtsspiel bei der HSG Wetzlar. Gidsel will einen erfolgreichen Start hinlegen und sofort beweisen, dass die vielen Vorschusslorbeeren gerechtfertigt waren. Den Titel gibt er zwar nicht öffentlich als Ziel aus, aber zumindest die Chance darauf ist ihm wichtig. „Für mich ist es entscheidend, dass es diese Ambitionen gibt", sagte er. Damit liegt er ganz auf Kurs der Clubführung. Die Füchse haben viel Geld in ihren Kader und in die Infrastruktur investiert, um diesen lang gehegten Traum zu verwirklichen. Und Gidsel ist – wie er selbst sagt – ein wichtiges Puzzleteil dafür. Deswegen kann Trainer Siewert sein Startfieber kaum noch kontrollieren: „Die Vorfreude auf das, was jetzt kommt, ist groß."