Normalerweise schaut Boxprofi Alexander Lorch nicht zu seinen Gegnern auf. Aus physischen Gründen. Am 30. April in Hamburg wird sich das ändern, wenn er für seinen zwölften Profikampf in den Ring steigt.
Es ist die „wohl bekannteste Seitenstraße der Reeperbahn“ und vor allem an Wochenenden das Ziel vieler Partygänger und Touristen: die „Große Freiheit“ im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Wenn Alexander Lorch sich am 30. April dorthin begibt, hat er aber anderes im Sinn als einen Besuch der berüchtigten Nachtclubs – jedenfalls zunächst.
Der 27-jährige Box-Profi aus Saarbrücken hat vorher in der „Großen Freiheit 36“ einen Job zu erledigen. Inmitten der Vergnügungsmeile steigt er gegen den Leipziger Martin Friese in den Ring und will sich mit seinem dann fünften Sieg in Folge erneut für einen Titelkampf empfehlen.
„Das wird eine neue Erfahrung“
Seinen letzten Titelkampf, jenen um die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht, hatte Lorch verloren. Die Niederlage Mitte Juli 2022 im Maritim Hotel Magdeburg gegen Tom Dzemski war die erste seiner Karriere. Bis dahin hatte er alle sieben Kämpfe gewonnen – vier davon durch K. o. „Ich hatte mir während des Kampfes eine Verletzung in der Nase zugezogen. Ein Blutgefäß war aufgeplatzt und ich habe daraufhin fast keine Luft mehr bekommen“, blickt Lorch auf die verpasste Chance gegen Dzemski zurück. In den folgenden drei Kämpfen behielt der junge Saarbrücker wieder die Oberhand. Zuletzt gegen den erfahrenen Mazen Girke. In einem Vier-Runden-Kampf besiegte Lorch den 39-jährigen Berliner Ende Februar 2023 in Landau klar nach Punkten. Auch deshalb sieht er sich für seinen kommenden Gegner, den 32 Jahre alten Martin Friese, gut gerüstet. Obwohl ihm eine Umstellung bevorsteht. War der 1,81 Meter große Lorch bisher stets größer als seine Konkurrenten, so wird sich dies an „Hexennacht“ erstmals ändern. Gegner Friese misst fast 1,90 Meter, was sich auch auf den Boxstil der beiden auswirken wird. Während sich Lorch auch aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit bisher taktisch zurückhaltend und seine Gegner allein schon wegen des Größenvorteils leicht auf Distanz halten konnte, muss er dieses Mal selbst die Initiative ergreifen und offensiver vorgehen: „Das wird für mich definitiv eine neue Erfahrung, aber da muss ich jetzt halt ran und in den Angriffsmodus umschalten“, gibt sich Lorch kämpferisch.
Derjenige, der ihm den Angriffsmodus beibringen will, ist sein Vater und Trainer Uwe Lorch. Dafür gibt es keinen Besseren, findet der Sohn: „Mein Vater ist der beste Trainer im Saarland. Wir kennen uns in- und auswendig, und er sieht sofort und besser als jeder andere, was ich falsch mache und besser machen muss“, sagt er und weiß: „Mein Vater ist Perfektionist. Er weiß selbst, dass er vieles zu genau haben will. Aber sonst läuft das zwischen uns perfekt.“ Als Boxer sind die beiden „das totale Gegenteil“ voneinander: „Alexander ist ein Techniker und Taktiker, der versuchen muss, seine Kämpfe nach Punkten zu gewinnen. Ich war mehr der Kämpfer, der den vorzeitigen Knock-out gesucht hat“, erklärt Uwe Lorch und beschreibt damit beste Voraussetzungen, Sohn Alexander auf die neue Herangehensweise einzustimmen.
Der 56-Jährige war selbst schon Deutscher Meister im Cruisergewicht und ist schon lange ein Aushängeschild der saarländischen Boxszene. Er war selbst Profi, gewann acht seiner zwölf Kämpfe. Viele davon, auch zahlreiche Amateurkämpfe, hat Sohn Alexander hautnah miterlebt, alle Facetten der Sportart regelrecht aufgesogen und sie zu seiner Passion gemacht. Im Alter von zwölf Jahren trat Alexander schließlich dem ASC Dudweiler bei, für den er 55 Amateurkämpfe absolvierte, von denen er 40 gewann. Heute ist er selbst als Profi unterwegs und Vater Uwe über seine Aufgabe als Trainer hinaus auch als Punkt- und Ringrichter international tätig. In dieser Funktion ist er dem kommenden Gegner seines Sohnes, Martin Friese, schon mehrmals begegnet. „Er hält ihn für einen interessanten Boxer, der eine gute Ausbildung genossen und hat und der für mich eine echte Herausforderung sein wird“, sagt Alexander Lorch. Friese ist 32 Jahre alt, boxt für das Leipziger Gym „Sin City“ und hat zwei seiner bisher 22 Profikämpfe gewonnen.
Schon jetzt laufen bei den Lorchs die Planungen, wie es nach dem Kampf gegen Friese für Alexander Lorch weitergeht. Einen Sieg vorausgesetzt, versteht sich. Unter anderem hierzu waren Vater und Sohn gemeinsam zur „WBF Convention“ in die südafrikanische Metropole Kapstadt gereist. Bis Ende März stehen dort vornehmlich Schulungen, Seminare und Weiterbildungen für Ring- und Punktrichter auf dem Programm. Doch darüber hinaus wollten die Saarländer die Zusammenkunft wichtiger Entscheidungsträger dazu nutzen, um Netzwerke auf- und auszubauen. So stehen Treffen mit WBF-Präsident Howard Goldberg und dem für Europa zuständigen Deutschen Christian Rösen auf dem Plan. Es gilt „abzuklären, was in Zukunft möglich ist“, kündigt Alexander Lorch an und verweist auf ein Angebot der WBF für einen „großen Kampf“ – ohne dabei konkreter zu werden. Er sagt nur so viel: „Noch ist nichts spruchreif. Aber ich gehe mal davon aus, dass ich nach einem Sieg schon im Herbst 2023 wieder einen Titelkampf bestreiten werde.“
Nächster Titelkampf schon im Herbst?
Die WBF ist einer der einflussreichsten Box-Weltverbände, der pro Jahr weltweit rund 90 Titelkämpfe ausrichtet und unter anderem die WBF-Weltmeistertitel im Profiboxen verleiht. Prominente Titelträger des Verbandes sind beispielsweise Evander Holyfield, Roy Jones Jr., Johnny Nelson, Francois Botha, Christina Hammer, John Scully und auch der in Zweibrücken aufgewachsene Senad Gashi. Ob sich irgendwann auch Alexander Lorch in diese Liste einreihen darf, wird sich noch zeigen. Bis dahin wollen Vater und Sohn die gemeinsame Zeit genießen – auch in Kapstadt, einem „beeindruckenden Ort, an den man ja nicht alle Tage hinkommt“, wie es Lorch Junior beschreibt: „Ich freue mich sehr darauf, die Stadt und das Land kennenzulernen.“
Zurück in Deutschland liegt der Fokus auf der nächsten Metropole, die die beiden besuchen werden: Hamburg. Und damit auf dem bevorstehenden Kampf in der „Großen Freiheit 36“. Da es sich um einen Sechs-Runden-Kampf handelt und damit um einen zwei Runden längeren als bei seinem Sieg Ende Februar, konzentriert sich Lorch bei seiner Vorbereitung vor allem auf das Ausdauertraining. Es wird auch noch eine einwöchige Sparringsphase geben, „und dann sind wir eigentlich schon so weit durch“, verrät Lorch: „Bisher hat alles super gepasst, ich habe mich nicht verletzt und ich fühle mich auch sonst topfit und bereit für den Kampf.“ Erreicht er dabei seine Ziele, spricht nichts dagegen, sich die berühmteste Partymeile Deutschlands mal genauer anzuschauen.