Nach dem WM-Debakel in Budapest steht einmal mehr die Sportförderung in Deutschland im Zentrum der Kritik. Doch auch in den USA ist nicht alles Gold, was glänzt.
Im zurückliegenden Sommer ging die deutsche Leichtathletik-Nationalmannschaft zum ersten Mal überhaupt bei einer Weltmeisterschaft leer aus. In der ungarischen Hauptstadt Budapest holten die Athletinnen und Athleten des Deutschen Leichtathletik Verbands (DLV) nicht eine Medaille. „Das kam nicht ganz unerwartet“, findet Lothar Altmeyer. Er ist seit gut sieben Jahren der Präsident des Saarländischen Leichtathletik Bundes (SLB) und erläutert: „Schon im Vorfeld waren einige Hoffnungsträger ausgefallen. Allen voran Weitsprung-Weltmeisterin und Olympiasiegerin Malaika Mihambo, die eine sichere Medaillenbank ist.“
Doch Mihambo (LG Kurpfalz), die von Saarländer Uli Knapp trainiert wird, musste ihre Teilnahme verletzungsbedingt absagen. Marathon-Europameister Richard Ringer vom LC Rehlingen hatte im Vorfeld schon angekündigt, die „Hitzeschlacht“ in Budapest nicht mitmachen zu wollen, um sich auf seine Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 in Paris zu konzentrieren. Und Speerwurf-Europameister Julian Weber belegte zum dritten Mal hintereinander bei einem globalen Großereignis den undankbaren „Holzmedaillen-Platz“ vier.
Zurück zur alten Leistungsstärke
„Bei der hohen Leistungsdichte in vielen Disziplinen sind es oftmals Nuancen gewesen, die über den Gewinn einer Medaille entschieden haben – dieses Mal leider stets zu unseren Ungunsten“, stellt Altmeyer fest. Dazu beigetragen habe, dass viele Athleten anderer Länder regelrechte Leistungsexplosionen erlebten, während die Deutschen „nur“ gute Leistungen abrufen konnten. „In Summe führte das durchaus zu guten Platzierungen, aber eben leider nicht zu Medaillen“, weiß Altmeyer und merkt an: „Das kann bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris schon wieder anders aussehen.“ Dort könnten neben Richard Ringer, der die Olympia-Norm schon geknackt hat und sich aktuell auf Quali-Platz zwei der DLV-Rangliste befindet, auch die saarländischen Läuferinnen Sara Benfares (LC Rehlingen), Maja Schorr und Laura Müller (beide SV GO! Saar 05) mitmischen. Sofern sie nach langwierigen Verletzungen rechtzeitig zu alter Leistungsstärke zurückfinden.
Um auf den Punkt Top-Leistungen abrufen oder gar „Leistungsexplosionen“ erleben zu können, muss bei Leichtathletinnen und Leichtathleten schon im Rahmen der Vorbereitung alles passen. Nicht wenige Talente wählen deshalb den Weg in die USA. Dort herrschen traumhafte, nahezu perfekte Rahmenbedingungen: Die Sportler werden an den Universitäten und Colleges gefördert und genießen neben hochmodernen Sportanlagen, Top-Trainern und hochkarätigen Trainingsgruppen auch weitere Vorteile: „Im Gegensatz zu Deutschland ist dort die Vereinbarkeit von Studium und Leistungssport garantiert. Die Athleten in den USA müssen sich auch keine Gedanken über Ernährung, Sportausrüstung, Transportkosten und Ähnliches machen. Das wird alles vom College übernommen“, berichtet Altmeyer und zählt auf: „Sie haben rund um die Uhr unlimitierten Zugang zur Mensa, wo sie so viel essen und trinken können wie sie wollen, in die Krafträume, die wahre Sportpaläste sind und eine Sportsbar haben, an der es alle notwendigen Nahrungsergänzungsmittel wie Proteine und Mineralien gibt – man muss sich nur bedienen.“ Auch stehe ihnen Sportausrüstung „in Hülle und Fülle“ zur Verfügung: „Keiner muss überlegen, ob er sich ein paar neue Schuhe für 200 Euro leisten kann oder nicht. Man bekommt sie einfach.“
Doch das Fördersystem der USA hat auch einen gravierenden Schwachpunkt: Die hohe, manchen zu hohe Trainings- und Wettkampfbelastung. „Nicht jeder Körper ist dafür gemacht und das führt zu Verletzungen. Viele kamen deshalb schon nach kurzer Zeit wieder zurück nach Deutschland“, weiß Lothar Altmeyer. Der SLB-Präsident steht auch regelmäßig mit saarländischen Talenten in Kontakt, die ihr Glück in den Staaten suchen. Derzeit leben und trainieren mit Alexander Jung (LC Rehlingen) und Paula Grauvogel (SV GO! Saar 05, beide Mehrkampf), Läufer Jan Lukas Becker (LSG Saarbrücken-Sulzbachtal) und Speerwerferin Lilly Gerhard (LC Rehlingen) vier von ihnen in den USA. „Die Herangehensweise dort ist einfach eine andere. In den USA gibt es so viele Talente, da macht es nichts aus, wenn das eine oder andere auf der Strecke bleibt“, erklärt Altmeyer und stellt fest: „Diejenigen, die das harte Training durchhalten, werden Weltklasse. Das „Vogel friss oder stirb“-Prinzip eben.“
Mehr Fördermittel für Talent-Team
Statt viele seiner Schützlinge den Weg über den großen Teich antreten zu lassen, würde der Chef der saarländischen Leichtathleten lieber die Förderbedingungen in Deutschland verbessern. Als Leiter des Sportzweigs des Saarbrücker Rotenbühl-Gymnasiums, einer Eliteschule des Sports, kennt er die Sorgen und Nöte der Top-Talente. „In anderen Ländern sind die Top-Athleten Vollprofis, die sich komplett auf den Sport fokussieren können, während bei uns die meisten Spitzen-Leichtathleten parallel dazu eine andere berufliche Karriere in Einklang bringen müssen“, erklärt er und weiß genau, wo man ansetzen könnte: „Ich halte es für zwingend erforderlich und übrigens auch nicht für schwer umsetzbar, die Vereinbarkeit von Studium und Leistungssport herzustellen. Die Universitäten müssen den Spitzensportlern entsprechende Möglichkeiten einräumen. Es darf nicht von Professor zu Professor unterschiedlich gehandhabt werden.“
Außerdem fordert Altmeyer: „Man sollte die Möglichkeiten und Regelungen für Stipendien auch für Spitzensportler öffnen, um ihre finanzielle Absicherung zu verbessern. Das Fördersystem in Deutschland muss insgesamt flexibler werden.“ Vieles wirke wie kleine Tropfen auf einen heißen Stein.
Etwas Abhilfe im finanziellen Bereich wurde gerade im Saarland geschaffen. Kürzlich wurden mit Sofia Benfares, Abie Hensgen, Emily Krieger und Lennart Zehfeld (alle LC Rehlingen), Paula Grauvogel, Ksenia Helios und Maja Schorr (alle SV GO! Saar 05 Saarbrücken) sowie Benjamin Stumm (LSG Saarbrücken-Sulzbachtal) aussichtsreiche Talente in das aktuelle „IKK-Talent-Team“ des SLB berufen. War der finanzielle Zuschuss, den die Geförderten in den Jahren zuvor genießen durften, noch recht überschaubar, „so hat das Abschneidern bei der WM in Budapest tatsächlich den Anstoß gegeben, dass wir uns noch einmal mit der Spitze der IKK Südwest zusammengesetzt haben und eine Erhöhung der Förderung erreichen konnten“, berichtet Lothar Altmeyer. Immerhin mal „deutlich mehr“ als nur ein Tropfen auf den heißen Stein.