Als erster Europäer, der nie in einem High-School- oder College-Team gespielt hat, schaffte es Moritz Böhringer in die NFL. Zumindest so halb. Der Hype war nach dem Draft groß. Dass die US-Profiliga ein hartes Geschäft ist, musste aber auch der gebürtige Stuttgarter schnell erfahren.
Rückblick 2016:
In der sechsten Runde, beim insgesamt 180. Pick, war es so weit: Die Vikings wählten Böhringer im Draft und sorgten damit für die historische Premiere. Der ehemalige Receiver der Schwäbisch Hall Unicorns hatte stets betont, dass Minnesota sein Lieblingsteam ist – immerhin kam er zum Football, indem er sich Youtube-Videos von Vikings-Star-Running-Back Adrian Peterson angeschaut hatte.
Wenige Minuten bevor Minnesota zuschlug, wurde Böhringer noch im NFL-Network-Interview vorgestellt und berichtete: „Ich habe mich zum ersten Mal mit Football beschäftigt, als ich 17 Jahre alt war. Ich habe versucht, hier an einer Uni unterzukommen, aber das hat leider nicht geklappt – ich weiß nicht, warum.“ Anschließend bestätigte er mehrere Treffen mit den Vikings und erzählte einmal mehr, dass Minnesota sein Lieblingsteam ist. Dann wurde es rückblickend kurios: NFL-Draft-Experte Mike Mayock richtete das Wort über die Kamera direkt an die Vikings-Verantwortlichen inklusive Head Coach Mike Zimmer und forderte sie scherzend auf, Böhringer zu picken. Wenige Minuten später schlug tatsächlich Minnesota zu. Die Gänsehaut-Story bekam so noch einen zusätzlichen Touch, Vikings-Coach Mike Zimmer erklärte wenige Minuten nach dem Pick: „Wir haben uns mit ihm zum Essen getroffen, waren bei seinem Workout und haben eine Weile lang über ihn gesprochen. Ich glaube, darum geht es beim Draft auch – Träume wahrzumachen.“
Alles habe mit einem Youtube-Video begonnen, „aber wir haben viel mit ihm und seinem Berater gesprochen und ihn kennengelernt. Wir haben mit ihm über vieles gesprochen, er ist ein wirklich schlauer Junge. Er spricht gut Englisch, er versteht Football. Er hat natürlich noch viel Arbeit vor sich, aber es macht Spaß mit ihm. Wir haben ihn getestet und ihm viele Fragen gestellt, sodass wir ihn kennenlernen konnten.“ Auch Böhringer selbst durfte, als frisch gebackener Wide Receiver der Minnesota Vikings, nochmals vor die Kamera: „Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich fühle. Es ist überwältigend. Ich bin einfach glücklich, dass ich gedraftet worden bin. Ich denke jetzt an meine Familie und all die Leute, die mir geholfen haben, an diesen Punkt zu kommen.“
Dass er mit seinem großen Idol zusammenspielen konnte, sei „das Coolste, was hätte passieren können.“ Darüber hinaus wandte er sich auch auf Deutsch an seine Fans in der Heimat: „Hallo an alle in Deutschland, vielen Dank für die Unterstützung! Ich hoffe, dass ich irgendwann im Fernsehen bin und spielen darf.“
Gegenwart 2017:
Diese Aussage konnte das deutsche Talent jedoch nie wahr machen. Zwar bescheinigen ihm die Coaches stets einen enormen Willen. Die nötige Qualität, wirklich in den Kader zu rutschen, konnte der 23-Jährige jedoch nie aufbringen. Nach einem Jahr im Practice-Squad schaffte er es in diesem Jahr erneut nicht unter die letzten 53 Mann. Böhringer wird entlassen, ist nun also Free Agent. Gänzlich abgeschrieben ist er zwar noch nicht, wahrscheinlich ist ein Durchbruch in Amerika aber nicht mehr. Zwar wurde er von den Cincinatti Bengals und den Detroit Tigers zu einem Probetraining eingeladen, eine Verpflichtung ist dennoch unwahrscheinlich. So steht am Ende des Abenteuers NFL für Böhringer lediglich ein einziger Catch in einem Pre-Season-Game zu Buche. Europäer haben es in der NFL schon immer schwer. Dass es jedoch nicht gänzlich unmöglich ist, auch als deutscher Footballer in Amerika Fuß zu fassen, bewies Sebastian Vollmer, der als einziger Deutscher sogar den Super Bowl gewann. Als Beschützer des Star-Quarterbacks Tom Brady machte sich der Hüne einen Namen, zählte auf seiner Position durchgehend zu den Besten seiner Zunft. 2016 verletzte sich der Offensive-Line-Spieler jedoch schwer. 2017 gab er seinen Rücktritt bekannt. Ob jemals ein deutscher Spieler wieder den Super Bowl gewinnen wird, ist durchaus unwahrscheinlich.
„Er spielt großartig“
Dass die Karriere von Vollmer die Ausnahme ist und die eines Moritz Böhringer eher die Regel, zeigt sich auch an den anderen Deutschen, die momentan ihr Glück in der National Football League versuchen. Als Einziger hat es der Hamburger Kasim Edebali in den Kader eines Teams für die neue Saison geschafft. Der 28-jährige Edebali hat sich vom deutschen Zweitligisten Hamburg Huskies hochgearbeitet und sich in der härtesten Football-Liga der Welt einen von 53 Plätzen im Kader der Denver Broncos erkämpft. „Er spielt großartig“, sagte Broncos-Star Von Miller in der „Denver Post“ über die Leistung Edebalis im Trainingslager. Ausruhen können sich Spieler auf so einem Lob aber nicht. Jeden Sommer versuchen Hunderte von US-College-Spielern einen der begehrten Plätze im Kader der 32 Profi-Mannschaften der Liga zu ergattern. Der Konkurrenzkampf ist groß und die Verletzungsgefahr allgegenwärtig. Nur wenige schaffen es nach oben. Und wer es schafft, bleibt meist nicht lang. Nur 3,3 Jahre dauert eine NFL-Karriere im Durchschnitt. Wie schnell es vorbei sein kann, hat auch Edebali schon erfahren. Vor seinem Neustart bei den Broncos hatten ihn die New Orleans Saints nach drei Spielzeiten aussortiert.
Als einziger deutscher Spieler, der in der Startformation gelistet wird, wird ihm nun auch mehr Aufmerksamkeit zuteil. An seinem Leben lässt er seine Fans aber durchaus teilhaben. Edebali ist ein Spaßvogel, sein Instagram-Account ist voll von Bildern und Filmen, in denen er sich selbst nicht ganz so ernst nimmt. Besonders gern setzt sich der Glatzkopf Perücken auf und legt die ein oder andere Tanzeinlage hin.
Auch im Seventies-Outfit mit Afroschopf, Sonnenbrille und Zigarette im Mund macht Edebali in der Roller-Disko eine gute Figur. „Ich bin vom Charakter her der typische Linebacker: Unterhaltsam, ab und zu ein bisschen laut“, sagt er. Seinen Job allerdings nimmt Edebali zu 100 Prozent ernst. Disziplin sei das A und O. Schon als kleiner Junge hat Edebali für seinen großen Traum sehr hart gearbeitet. Während andere Jungs aus seiner Hochhaussiedlung in Hamburg-Osdorf auf die schiefe Bahn gerieten, gab es für Edebali immer nur Sport. Ein Freund hatte ihn vor 18 Jahren mit zum Training der Hamburg Flag Huskies genommen. Seitdem ist Football seine große Leidenschaft. Großen Einfluss hatte auch seine Mutter. „Sie hat einen schwarzen Gürtel in Kung Fu, da hatte ich immer Respekt“, erzählte Edebali, der ohne seinen Vater aufwuchs. Für die Hamburg Huskies war Edebali zunächst als Quarterback im Einsatz.
2007 erhielt er ein Stipendium für die Kimball Union Academy in New Hampshire und schulte zum Linebacker/Defensive End um. Dort verpassten seine Mitschüler ihm auch seinen Spitznamen „Kasim, the dream“. Später am Boston College überzeugte Edebali auf ganzer Linie, sodass sich 2014 sein großer Traum erfüllte. Er unterschrieb als ungedrafteter Free Agent bei den Saints. Über die Saints, bei denen er viel Lehrgeld bezahlte, ging es nun in die Startformation der Denver Broncos. Dort spielt er mit All-Star Von Miller Seite an Seite. So schnell kann es in der NFL gehen.
Schwerer als Edebali haben es die anderen Deutschen. Ebenfalls beendet ist das Abenteuer für Björn Werner. Nach drei Spielzeiten bei den Indianapolis Colts versuchte er einen Neustart bei den Jacksonville Jaguars, scheiterte aber und beendete dann ebenfalls seine Karriere. Mark Nzeocha hat unterdessen aber eine neue Heimat. Nachdem der 27-Jährige zuletzt im Practice Squad der Dallas Cowboys unterkommen musste, wurde er von den San Francisco 49ers verpflichtet und versucht dort nun sein Glück.
Das Patentrezept, wie der Durchbruch in der NFL gelingen kann, gibt es nicht. Kleinigkeiten entscheiden, Glück spielt ebenfalls eine große Rolle. In einer Dokumentation über die Arizona Cardinals zeigt sich, dass es nicht immer nur sportliche Gründe für eine Entlassung gibt. Ein Rookie parkte auf einem Parkplatz eines Verantwortlichen. Er wurde sofort suspendiert. Danach war sein Name auf keiner Liste mehr zu finden. Das Geschäft ist hart und herzlos, das würde jeder Footballer unterschreiben. Dennoch versuchen jährlich Unmengen junger Männer, den Schritt in den Profi-Football zu schaffen. Denn wenn der Schritt geschafft ist, winkt schnell das große Geld.
Die NFL ist ein Unterhaltungsmonster, das jeden verschlingt, der nicht nach seinen Regeln spielt. Helden der letzten Saison können die Verlierer der neuen Saison sein. Die deutschen Spieler haben bisher beide Seiten der Medaille kennengelernt. Einem Super-Bowl-Gewinner stehen ein Kaderspieler und viele an den ersten Hürden gescheiterte gegenüber. Davon abhalten, wieder den großen Sprung zu wagen, wird das trotzdem niemanden.