Ein sterbendes Theater, ein ausgebrannter Schauspieler – das Theater am Kurfürstendamm macht kurz vor dem Abriss im Mai seine eigene Situation zum Thema. Peter Lohmeyer gibt den „Entertainer" in der Regie von Fabian Gerhardt.
Auf der Bühne liegt eine Matte, daneben ein paar Kleidungsstücke und Flaschen, sonst nichts. Es erinnert an einen Schlafplatz unter der Brücke. Peter Lohmeyer schlendert herbei, gekleidet in einen abgewrackten Bademantel. „Ich ziehe jetzt hier ein und bleibe so lange, bis die Abrissbirne kommt", sagt er. Und macht seiner Empörung Luft: Ein Stück West-Berlin gehe hier zugrunde, ein Ort, wo einmal volkstümliche Kunst geboten wurde. Ein Theater, das vor knapp 100 Jahren von dem berühmten Architekten Oskar Kaufmann gebaut wurde und jetzt einem Casino Platz machen muss. Spiel oder Ernst?
So beginnt das Stück „Der Entertainer" von John Osborne, das Regisseur Fabian Gerhardt auf die Situation des Theaters am Kurfürstendamm umgeschrieben hat. Dass es um einen erfolglosen Künstler in einem sterbenden Theater geht, gab für die Produktion den Ausschlag. John Osborne hatte in seinem Stück 1957 den Niedergang eines Zeitalters in Form einer Music-Hall-Revue beschrieben. Es spielt im Jahr 1956, zu Zeiten des Ungarn-Aufstands, der Bürgerrechtsbewegung in den USA und der Suezkrise, die als der Anfang vom Ende des Britischen Empires gilt. Der Entertainer Archie Rice und sein Vater Billy haben noch die große Zeit der Music Hall erlebt. Doch das populäre Showformat liegt im Sterben. Archie kämpft mehr schlecht als recht um das Überleben seiner Show. Seine Tochter Jean beteiligt sich an Antikriegsdemonstrationen. Seine Frau Phoebe hängt an der Flasche, der Sohn fällt bei einem Kampfeinsatz in Ägypten.
Osborne zeichnet eine Welt, in der sich Familienstrukturen in Dekadenz und Alkohol auflösen. Am Anspruch, die Show zu retten und trotzdem das private Glück zu suchen, geht Archie zugrunde. „Wie in der klassischen Vorlage geht es aber auch um die Angst des Kleinbürgertums vor dem sozialen Abstieg", sagt Regisseur Gerhardt. „Das Geld ist weg, die Energie ist weg, man fühlt sich abgehängt." Und beschuldigt die „Fremden". „1956 machte man verächtliche Witze über die Araber, heute sind es die Muslime."
Lohmeyer spielt die Hauptrolle des Archie Rice, immer schwankend zwischen Zynismus und Zoten. Er gibt den unsympathischen Säufer und sentimentalen Familienvater. Lohmeyer spielt zum ersten Mal den „Entertainer" und zum ersten Mal steht er auch mit Hologrammen auf der Bühne. Denn mit einem Mal steht eine ganze Figurengruppe wie aus dem Nichts aufpoppend hinter ihm. Man ahnt schon, dass da etwas nicht stimmen kann, aber die Personen beginnen zu sprechen, unterhalten und bewegen sich. Wie geht das?
Anke Engelke als Archies alkoholsüchtige Frau Phoebe ist dabei, Werner Rehm als sein Vater Billy, Nicolas Lehni als sein Sohn Frank. Und später tritt in einer Extrasequenz auch noch Harald Juhnke auf. Ivan Vrgoc, der Techniker der Bühnencrew, erklärt die optische Täuschung als uralten lllusionstrick mit Spiegeln, der im 19. Jahrhundert als „Pepper’s Ghost" bekannt war. Für die „Entertainer"-Inszenierung habe man diesen nur verfeinert, sagt er, und bittet auf die Bühne.
3D-Technik funktioniert perfekt
Tatsächlich steht man da vor des Rätsels Lösung: Ein Projektor wirft das Bild auf eine Leinwand auf dem Bühnenboden. Der ist so abgesenkt, dass er von vorne nicht einsehbar ist. Von dort wird das Bild durch eine transparente Polyprimär-Folie auf die Bühne gespiegelt. Und schon tanzt Anke Engelke täuschend echt, wenn man sie „einschaltet". Lohmeyer durchbricht im Stück mehrmals die ganze Illusion, indem er einfach hinter das Hologramm tritt – es wird sofort durchsichtig.
Dennoch funktioniert die 3D-Technik so perfekt, dass sich das Auge des Betrachters schnell daran gewöhnt und man sich im Zuschauerraum total überrumpeln lässt. „Wir haben das ganze Stücke im Voraus mit den echten Schauspielern gefilmt", erklärt Ivan Vrgoc. „Peter Lohmeyer wurde am Ende herausgeschnitten, die anderen zu Hologrammen verarbeitet." Für den Schauspieler bedeutet das natürlich, dass er an das Timing der gefilmten Figuren gebunden ist. „Ich kann mir keinen Hänger erlauben", sagt Lohmeyer. „Und wenn, muss die Improvisation lebendig wirken." Wie gut das funktioniert, zeigt sich, wenn Lohmeyer herrlich schräg den Klassiker „I started a joke" (von den Bee Gees) singt und Anke dazu schwungvoll die Beine schwingt, aber immer geschickt über die Whiskyflasche steigt, die sie zuvor auf den Boden gestellt hat.
Berlin, sagt der Hamburger Lohmeyer, kenne er seit seinem ersten Engagement am Schiller-Theater. Auch das habe ja schließen müssen, erinnert er sich. „Und so etwas habe ich an mehreren Bühnen gerade im Osten erlebt, die kurz vor der Pleite standen oder schließen mussten." Lohmeyers Archie Rice kann böse sein und abstoßend, manchmal sentimental und auch mal charmant. „Ich erzähle von jetzt, wenn ich abends auf die Bühne komme, und da hat Archie Rice eben ganz schlechte Laune, wenn Schalke verloren hat", grinst der Schauspieler.
Regisseur Fabian Gerhardt hat seinen Hauptdarsteller in Hamburg kennengelernt – für beide ein glücklicher Zufall. Lohmeyer arbeitet gern in Berlin, und der Abriss der beiden Theater geht ihm wirklich ans Herz. „Man muss sich das vorstellen, ein Theater, an dem Max Reinhardt inszeniert hat, das Marlene Dietrich, Therese Giese, Gustav Gründgens eine Bühne bot – das wird einfach abgerissen? Wie ist so etwas möglich?"
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Seit der Ku‘damm wieder boomt, lässt sich an der früheren Luxusmeile wieder Geld verdienen. Mehr Geld, als jedes Theater abwerfen würde. Die Konsequenz: Der aktuelle Eigentümer, die Cells Bauwelt aus München, will beide Bühnen und das sie umgebende Kudamm-Karree abreißen und an der Stelle ein neues Einkaufszentrum bauen lassen. Wo jetzt der Theatersaal ist, wird ein Casino entstehen. Ein neuer Saal soll in den Keller eingebaut werden. Das Theater am Kurfürstendamm zieht in das Schiller-Theater um. Und wenn alles nach Plan geht (wann tut es das in Berlin?) kehrt es 2021 wieder an den Ku‘damm zurück. Martin Woelffer, Intendant des Hauses in der dritten Generation, hat dazu nur eines gesagt: „Ich verstehe bis heute nicht, wie die Politik das zulassen konnte."