Die jüngsten Vorgänge bei Facebook haben grundsätzliche Fragen über den Umgang mit Daten aufgeworfen. Der saarländische Justizstaatssekretär Roland Theis über die Frage, ob der Staat uns schützen kann, wo die Grenzen sind und ob künftig Computer Urteile fällen.
Herr Theis, wie sehr muss der Staat seine Bürger vor der Datensammelwut von Unternehmen schützen, wie viel Selbstverantwortung darf man den Bürgern beim Schutz ihrer Daten abverlangen?
Beim Schutz seiner persönlichen Daten ist zunächst einmal auch jeder Bürger selbst gefordert. Der Datenschutz verfolgt das Ziel, dass jeder Bürger im Rahmen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung selbst entscheiden kann, welche Daten er wem gegenüber preisgibt. Dem Einzelnen steht es dabei grundsätzlich frei, Daten anderen gegenüber zu offenbaren, solange tatsächlich frei und eigenverantwortlich gehandelt wird. Wer das Bild seines Nachwuchses, die Urlaubsbilder und sein tägliches Mittagessen bei Facebook einstellt, der gibt natürlich vieles über sich preis. Das mag im Einzelfall unproblematisch scheinen. Aus der Kombination all dieser dann frei verfügbaren Daten kann aber jeder ein Profil entwickeln und Rückschlüsse ziehen. Dessen muss man sich immer bewusst sein. Sonst geht der staatliche Datenschutz vollkommen ins Leere.
Müssen die Bürger selbst also sensibler werden?
Nicht nur. Frei über die Preisgabe der eigenen personenbezogenen Daten und die Einwilligung in die Datenverarbeitung entscheide n kann ja nur, wer seine Entscheidung in Kenntnis der entscheidungsrelevanten Umstände, also des Zwecks und der Reichweite der Datenverarbeitung, trifft. Im Internet, aber auch in der Offline-Welt – beispielsweise bei Kundenkartenprogrammen – scheint es aber so, als würde diese Kenntnis der entscheidungsrelevanten Umstände häufig nicht vorliegen. Zwar sorgen sich die Bürger in der Theorie ganz erheblich um datenschutzrechtliche Belange, und man könnte daher meinen, dass sie Dienste mit geringem Datenschutzniveau meiden und auch insgesamt sparsam mit ihren Daten umgehen. Ganz im Gegenteil aber geben sie faktisch ihre Daten hin, sobald sie hierdurch eine Leistung in Anspruch nehmen können oder sogar – wie im Rahmen von Gewinnspielen – lediglich die Chance auf eine Leistung erhalten. Man spricht vom sogenannten Privacy-Paradox.
Woran liegt das?
Zum Teil vielleicht an der verführerischen Bequemlichkeit schnell verfügbarer digitaler Angebote. Neuere Studien legen aber nahe, dass Menschen nur dann entgegen ihren theoretischen Bedenken handeln, wenn sie nicht verstehen, was in der Praxis mit den sie betreffenden personenbezogenen Daten geschieht. Anderenfalls handeln sie durchaus kalkuliert. Ihre Daten geben sie vor allem hin, wenn ihnen der Vorteil dieser Preisgabe zum Beispiel aufgrund der hierdurch in Anspruch nehmbaren Leistung größer erscheint, als ihr Nachteil. Für mich als Justizstaatssekretär und Rechtspolitiker stellt sich daher die Frage, ob das Auseinanderfallen von theoretischer Sorge und praktisch verbreiteter Hingabe von Daten auch daran liegt, dass Bürger die datenschutzrechtlichen Informationen häufig nicht zur Kenntnis nehmen und daher schlicht nicht wissen, in welche Datenverarbeitungen sie einwilligen. Ziel muss es sein, dass jeder Bürger eine aufgeklärte Entscheidung darüber treffen kann, was mit seinen Daten geschieht. Diese freie und eigenverantwortliche Entscheidung kann und darf man ihm nicht abnehmen. Wir müssen also überlegen, wie wir die Aufmerksamkeit der Bürger erwecken und sie besser dazu anhalten können, die datenschutzrechtlichen Informationen tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen.
Was muss, was darf der Staatregeln?
In der digitalen Welt entstehen auch im Hinblick auf die Daten von uns Bürgern sowohl Risiken als auch Chancen. Eine Politik, die die Daten der Bürger ungeschützt lässt, wäre mit dem Verfassungsrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar. Ein Datenschutz, der jedoch zu stark reguliert und damit auch beispielsweise innovative Geschäftsmodelle unmöglich macht, würde weit übers Ziel hinausschießen. Nicht vergessen sollte man auch den Aufwand, den Unternehmen, aber auch Vereine – nicht zuletzt viele Ehrenamtler – mittlerweile für den Datenschutz zu betreiben haben. Das Ziel von Politik muss es sein, beides in einen klugen Ausgleich zu bringen.
Welche Vorgaben macht die Europäische Union im Datenschutzrecht?
Die Datenschutzgrundverordnung stellt jeden, der mit personenbezogenen Daten arbeitet, vor neue Herausforderungen. Das sind neben Behörden und Unternehmen beispielsweise auch Vereine. Mein Eindruck ist, dass dort derzeit viel Unsicherheit herrscht. Wir wollen daher als Justizministerium gemeinsam mit der Wissenschaft und der Wirtschaft mit eigenen Fortbildungsangeboten dazu beitragen, alle Betroffenen im europäischen Datenschutzrecht fit zu machen und ihnen damit ein Stück weit die Angst davor zu nehmen. So veranstalten wir im April und Mai gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer, dem Institut für Rechtsinformatik, der Universität des Saarlandes und dem unabhängigen Datenschutzzentrum zwei intensive Fortbildungen mit vielen ganz unterschiedlichen Modulen zum deutschen und europäischen Datenschutzrecht.
Digitalisierung zieht auch in der Justiz ein. Nimmt der Computer künftig den Richtern die Arbeit ab?
Auch in der Justiz ist die Digitalisierung unserer Arbeit bereits heute das zentrale Thema, das vom Justizwirt bis zur Richterin jede und jeden umtreibt. Mit der Entwicklung der elektronischen Akte für gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Verfahren werden sich nicht nur Abläufe verändern, sondern wir müssen ganze Berufsbilder neu denken. Wir sind daher bereits heute in einem engen Dialog mit Wissenschaftlern, Praktikern und auch mit unseren Personalvertretungen. Wir müssen uns aber auch als Gesellschaft die Fragen stellen: Welche Entscheidungen wollen und dürfen wir Algorithmen überlassen und was behalten wir uns Menschen vor? Diese Frage stellt sich in ihrer Extremform bei richterlichen Entscheidungen, denn unser Grundgesetz verlangt die persönliche und sachliche Unabhängigkeit der Richter. Sie stellt sich aber auch in Bereichen, in denen eine menschliche Einzelfallentscheidung genauso wichtig ist, weil der eine Fall nun mal von den letzten zehn Fällen abweichen kann und dann nicht ebenso entschieden werden darf – etwa die Entscheidung einer Geschäftsstellenbeamtin oder eines Rechtspflegers. Ich bin der Auffassung, dass wir an diese Fragen behutsam herantreten sollten. Künstlich intelligente Systeme werden großartige Hilfsmittel für die Arbeit der Justiz. Ethische Fragen, Wahrheitsfindung oder die Suche nach gerechten Lösungen kann und darf der Rechtsstaat jedoch nicht Robotern überlassen.