Plastik-Taschen, die häufig verblüffende Ähnlichkeit mit Discounter-Einkaufstüten aufweisen, sind diesen Winter die heiß begehrten Promi-Bags. Der absolute Renner sind vor allem die transparenten Teile bei der Instagram-Community.
Als das Neusser Kaufhaus Horten im Jahr 1961 hierzulande die ersten Plastiktüten unter seine Kunden brachte, hätte sich wohl niemand selbst in seinen kühnsten Träumen vorstellen können, dass dieses Billigprodukt aus Polyethylen oder Polypropylen mal gut 50 Jahre später dank namhafter Designer zur It-Handtasche des Jahres aufsteigen könnte. In Windeseile sorgten damals die Plastiksackerl für das Verschwinden der bis dahin omnipräsenten Papiertüten in deutschen Landen, während in den USA bis heute die braunen, meist werbeaufdruckfreien Packpapiertüten in Gebrauch geblieben sind. Erst mit der Tragetasche des Wiener Fabrikanten Max Schuschny, der ihr neben zwei Henkeln auch einen festen Standboden verpasste, wurde sie für den Alltag gebräuchlich – auch wenn Schuschnys Erfindung zunächst nur für die feinen Accessoires der Wiener Nobelmode vorgesehen war. Womit wir elegant den Bogen zurück zur Fashion-Welt geschlagen haben.
Dass sich die Designer in Zeiten, in denen die globale Plastikverseuchung der Welt zu einem ganz zentralen Thema geworden ist und daher in Einzelhandel oder Supermärkten der Republik der Beutelverbrauch durch Erhebung von symbolischen Gebühren drastisch reduziert werden soll, ausgerechnet diesem gesellschaftlich umstrittenen Material zuwenden, wird in den Medien ziemlich kontrovers diskutiert. Generell herrscht allerdings der Tenor, dass die Luxus-Plastik-Beutel immerhin so hochpreisig sind, einige Hundert Euro Minimum, dass sie garantiert nicht so schnell auf dem Müll landen werden.
Völlig unklar sind jedenfalls die Beweggründe, die die Designer auf die Plastikroute geführt haben. Wollen sie einfach nur provozieren, indem sie den Umweltschutz konterkarieren? Oder wollen sie sich ganz im Gegenteil für die Ökologie starkmachen, indem sie teure Plastik-Taschen schaffen, die ähnlich wie Stoffbeutel den häufigen Gebrauch gewährleisten und keine schnelllebigen Wegwerfprodukte mehr sind? Die naheliegendste Erklärung dürfte sein, dass die Designer ganz strategisch auf der vor allem in Millennials- und Instagram-Kreisen derzeit besonders angesagten Anti- oder Ugly-Welle reiten möchten. Der zufolge ist gerade das absolut cool, was lange Zeit besonders uncool war. Anti-Fashion, Anti-Ästhetik und Bad Taste sind dafür die wesentlichen Orientierungspunkte. Logischerweise wird dann die ultimative Anti-Tasche namens Plastikbeutel zur neuen It-Bag auserkoren. Womöglich haben sich die Designer aber auch gar keine so tiefsinnigen Gedanken gemacht, sondern einfach mal wieder in der kulturhistorischen Vergangenheit gestöbert. Und sind dabei eventuell auf die Pop-Art gestoßen, deren Meister Andy Warhol vorgemacht hatte, wie die Alltagskultur auf die Spitze getrieben und dadurch in eine Kunstform verwandelt werden kann.
Es ist nicht richtig, dass Raf Simons als damaliger Kreativchef von Jil Sander im Sommer 2011 erstmals die Plastiktüten auf die internationalen Laufstege gehievt hatte. Dieses Verdienst gebührt vielmehr Marc Jacobs, der schon 2007 in der Sommerkollektion für Louis Vuitton karierte Plastiktragetaschen präsentiert hatte. Zwei Jahre später hatte König Karl für Chanel einen Coup gelandet. Wobei er seine „Essential Bag" allerdings nicht einer Plastiktüte nachempfunden, sondern als Vorlage die Original-Papiereinkaufstüte verwendet hatte, in der damals die Klamotten verstaut wurden, die vermögende Kundinnen im Pariser Flagship-Store der Edelmarke in der Rue Cambon erworben hatten. Für die waschechte Kopie aus feinstem Kalbsleder, erhältlich in Schwarz, Weiß oder Pink, mit unübersehbarer Signatur mussten damals 3.000 Dollar hingeblättert werden. Für die Miniatur-Ausgabe immerhin auch noch gut 1.500 Dollar.
2011 kam dann tatsächlich Raf Simons ins Spiel, der seine orange-rote Plastiktasche ganz bewusst als Statement gegen den It-Bag-Kult entworfen und daher auf Leder verzichtet hatte, um das Modell für vergleichsweise günstige 125 Euro auf den Markt bringen zu können. Simons Kreation war so etwas wie die erste Anti-Tasche, die allerdings, die Absicht des Designers komplett konterkarierend, schnell Kultstatus erlangte.
Vor zwei Jahren begann der Hype
2014 konnten dann Chanel mit tetrapakähnlichen Handtäschchen, Anya Hindmarch mit einer Clutch, die an eine Ariel-Waschmittel-Packung erinnert, Charlotte Olympia mit seidigen Doggybags, Moschino mit Taschen im Look von McDonald’s-Pappbechern und -Pommestüten oder Jean Paul Gaultier mit einer Konservendosen-Abendtasche in Sachen Bad Taste an Raf Simons Beutel locker vorbeiziehen. Luxustaschen in Discounter-Optik waren von da an quasi salonfähig geworden. Wobei das Label Ashish 2014 mit einem schlichten Plastikbeutel an den Start ging, der sich kaum von typischen Supermarkt-Behältnissen unterschied.
Spätestens seit dem Einstieg des Balenciaga-Chefdesigners und Vetements-Gründers Demna Gvasalia ins Plastiktaschen-Geschäft hat sich dieses zu einem regelrechten Hype entwickelt. 2016 lancierte er für Balenciaga einen riesigen gestreiften XXL-Shopper, mit dem man/frau früher eine beachtliche Menge von Altkleidern zu einer Sozialstation hätte transportieren können. Im Folgejahr leistete er sich eine Balenciaga-Kopie der bekannten blauen Ikea-Tasche „Frakta". Die „Arena Extra-Large Shopper Tote Bag" wurde für schlappe 2.000 Euro angeboten. Im Sommer 2018 präsentierte Gvasalia dann im Rahmen der Balenciaga-Herrenmode eine gelb-blaue Tasche, die den Edeka-Einkaufstüten zum Verwechseln ähnlich sah. Allerdings war das Balenciaga-Modell aus Leder gearbeitet und wurde preislich mit knapp 800 Euro angesetzt. Logo-Kasten und Strichcode am oberen Rand waren identisch, der Edeka-Slogan „Wir lieben Lebensmittel" war durch „The Power of Dreams" ersetzt worden. Natürlich ist Balenciaga auch im Winter 2018/2019 mit einer neuen Plastik-Bag am Start, die allover mit dem Markennamen verziert ist.
Auch Céline hatte schon 2013 eine Clutch im Plastik-Look gestaltet. Im vergangenen Sommer gab es dann zur Krönung einen transparenten Plastikbeutel für stolze 480 Euro, der, man mag es kaum glauben, wahnsinnig begehrt war. Er galt gewissermaßen als Abschiedsgeschenk der Designerinnen-Legende Phoebe Philo, den einfach jedes Modemädchen haben wollte. Neben dem Markennamen gab es auf der Tasche gleich auch noch Warnhinweise in vier Sprachen, auf Deutsch war zu lesen: „Achtung. Zur Vermeidung von Erstickungsgefahr bitte Kinder nicht mit dieser Hülle spielen lassen." Auch Chanel und Burberry (samt Riesenlogo in Babyblau) waren im Sommer mit transparenten PVC-Beuteln zur Stelle. Um die durchsichtigen Teile streetstyletauglich zu machen und nicht alle intimen Inhalte öffentlich zur Schau stellen zu müssen, wurde im Web sogleich empfohlen, ein kleineres, geschlossenes Täschchen im Plastikbeutel mitzuführen – als Bag in Bag-Kombi. Bunt und strapazierfähig waren die auf den Namen „China Bags" getauften PVC-Taschen von Dolce & Gabbana gehalten, auch der neue Shootingstar Marine Serre war auf den Plastik-Trendzug aufgesprungen.
In der aktuellen Wintersaison geht es in Sachen PVC-Beuteln und Einkaufstaschen munter weiter. Die schönsten haben wir in den Kollektionen von Michael Kors (schwarz-weiß gestreifter Shopper), Burberry (ähnliches Modell wie im vergangenen Sommer), Ashish (einfacher, transparenter Beutel), Victoria Beckham (XXL-Shopper, Ikea-Tasche beziehungsweise der Balenciaga-Kopie ähnlich) oder Marine Serre entdecken können. Wer eher die Ästhetik von Papiertüten bevorzugt, der sollte sich im Taschen-Sortiment von Simon Miller umschauen. Die „Lunchbag" hat das Potenzial zur neuen It-Tasche, sie ist aus feinstem Leder gestaltet und in verschiedenen Farben wie Orange, Blau oder Gelb erhältlich. Sie ist eine perfekte Alternative zur traditionellen Clutch. Übrigens: Raf Simons hatte 2012 für Jil Sander eine wahrhaftige braune Papiertüte als Taschen-Alternative designt. Den Boden zierten zwei goldene Metallösen, die Kanten waren sauber vernäht, das Logo war ganz akkurat in Schwarz gehalten. Kostenpunkt 230 Euro, garantiert nicht regentauglich. Lunchbag-ähnliche Taschen haben auch Monse und Alexander Wang in ihrem aktuellen Taschenprogramm.