Speerwerfer Johannes Vetter gilt als einer der Topfavoriten auf Olympia-Gold. FORUM sprach mit ihm während seines Türkei-Trainingslagers über den Alltag eines Sportlers in Corona-Zeiten.
Zum Zeitpunkt des Interviews sind es in Belek 18 Grad. Eine willkommene Abwechslung für einen wintergeplagten Sportler, oder blendet
man das komplett aus?
Na ja. Ich glaube, jeder Freiluftathlet arbeitet gern unter optimalen Bedingungen. Hier ist das Wetter überwiegend gut, sodass wir auch mit dem Speer viel im Stadion arbeiten können. Der Winter zu Hause in Offenburg war ja teilweise doch sehr kalt, sodass wir eher in der Halle waren.
Nun dient ein solches Trainingslager ja der Wettkampfvorbereitung. Gleichzeitig wird allenthalben vor Reisen gewarnt, um das Infektionsrisiko gering zu halten. Welche Vorsichtsmaßnahmen haben Sie getroffen?
Wir befinden uns schon ein wenig in einer Bubble, man umgibt sich immer mit denselben Leuten. Zur Einreise hat man einen negativen PCR-Test benötigt, gleiches gilt für die Ausreise. Während des Trainingslagers wurden wir alle drei, vier Tage getestet. Wir tragen außerhalb unserer Einzelzimmer Masken, wir versuchen alle Hygienemaßnahmen einzuhalten. Aber aufgrund meiner vielen Reisen bin ich ohnehin vorsichtig. Ich habe da schon ein paar eklige Dinge erlebt, sodass ich eigentlich versuche, keine Türklinken mit der Hand anzufassen.
Sie sind gerade 28 Jahre alt geworden und haben auch ein Leben abseits des Spitzensports. Wie gehen Sie mit dem Olympia-Traum auf der einen, aber mit dem Wunsch nach sozialen Kontakten auf der anderen Seite um?
Ich habe die geltenden Kontaktbeschränkungen nicht ausgereizt. Natürlich hat mich auch mal ein Familienmitglied besucht. Aber ich habe auch das Glück, dass ein Freund im IT-Bereich arbeitet und gefühlt sein ganzes Leben im Homeoffice ist. Ein anderer ist im Innendienst bei der Polizei. Da konnte man sich mal treffen, um ein bisschen Playstation zu zocken. Außerdem gibt’s ja auch die digitalen Möglichkeiten, um Kontakt zu halten. Ich fühle mich nicht so, als wäre ich vereinsamt.
Die Olympischen Spielen hätten ja schon im Vorjahr stattfinden sollen. Dann kam Corona. Jetzt ist immer noch kein Ende in Sicht. Was macht das mit einem Athleten?
Ich bin Gott sei Dank ein Mensch, der gelernt hat, sich mit gewissen Dingen zu arrangieren. Es bringt mir nichts, wenn ich mich über Sachen aufrege, die ich nicht beeinflussen kann. Das würde mir zu viel Energie rauben. Wie gesagt, ich versuche mich so gut wie möglich zu schützen. Aber eine Garantie gibt es für nichts. Jeder Leistungssportler ist im Jahr eigentlich zwei, drei oder auch mal vier Wochen verletzt. Ich kann mir nicht über alle Eventualitäten Gedanken machen.
Dennoch war das Vorjahr mit ihrem Wurf auf über 97 Meter herausragend. Platz zwei in der ewigen Bestenliste und Gold-Kandidat
bei Olympia. Fällt nun der Weltrekord von Jan Zelezny, der ja auch schon 25 Jahre alt ist?
Also von mir aus kann der durchaus noch ein paar Jahre halten, wenn ich dafür Olympia-Gold gewinne. (lacht) Nein, ernsthaft. Eine solche Weite kannst Du nicht planen. Es gibt keinen Wettkampf, in den Du gehst und dann sagst ,,heute werfe ich Bestweite‘. Das funktioniert nicht.
Im vergangenen Herbst haben sie in Chorzów (Polen) die zweitbeste Weite aller Zeiten geworfen. Jan Zelezny hat mal gesagt, ihm sei sofort bewusst gewesen, dass sein Wurf nahezu perfekt war. Wie haben Sie Ihren Rekord wahrgenommen?
Man sieht es eigentlich auf den TV-Bildern ganz gut. Ich habe ja schon halb gejubelt, als der Speer noch in der Luft war. Du hast ja schon ein Gespür für die Situation. Bei uns kommt es auf so viel an. Jede Tausendstel ist wichtig im Bewegungsablauf. Da bekommst du schon mit, ob der Wurf nahezu perfekt war.
Gibt es ihn? Diesen einen perfekten Wurf?
Ich halte das für einen zu großen Begriff. Manchmal sind auch äußere Faktoren zu beachten. Zelezny hat den Weltrekord damals in einem offenen Stadion mit viel Wind geworfen. Mein Trainer Boris Obergföll, der damals auch an diesem Wettkampf teilgenommen hat, meinte, mein Wurf wäre unter ähnlichen Bedingungen über 100 Meter geflogen. Bei großen Wettbewerben in geschlossenen Arenen ist es ein wenig schwieriger, die ganz große Weite zu erzielen. Ich sage es mal so: Ich arbeite jeden Tag hart, dass ich viele Würfe habe, die der Perfektion nahekommen.
Sie haben unmittelbar nach dem Wurf erklärt, dass sie nun olympisches Gold im Visier haben. Ist so ein Erfolg überhaupt planbar?
Die Konkurrenz ist da, auch im eigenen Land. Aber man muss sich Ziele setzen. Ich habe nun 97 Meter geworfen. Da kann ich schlecht sagen, dass ich künftig mit 88 Metern zufrieden bin. Ich trainiere intensiv und bin seit einem Jahr verletzungsfrei, was mir sehr gut tut. Nach diesem Trainingslager setzen wir die Vorbereitung in Offenburg fort, danach geht es noch einmal in die Türkei, wenn die Bedingungen das zulassen. Im Mai beginnt dann die Wettkampfserie mit der Olympiaqualifikation.
Sie sind der beste deutsche Speerwerfer aller Zeiten und dennoch nicht sicher für Olympia qualifiziert? Was soll denn noch schiefgehen?
Die genauen Regularien sind noch nicht festgelegt. Aber wir haben in Deutschland fünf Athleten mit internationaler Klasse. Nur drei werden maximal nach Tokio fahren. Also geschenkt bekomme ich nichts.
Mit Olympia verbinden Nostalgiker immer noch ein Fest der Jugend und ungezwungenes Beisammensein. Wie soll das unter den derzeitigen Umständen durchführbar sein?
Wir tappen natürlich auch noch ein bisschen im Dunkeln. Grundsätzlich hoffen wir, dass die Spiele wie geplant stattfinden werden. Es wird sicher weniger los sein im olympischen Dorf, als man es von anderen Spielen her kennt. Ich glaube auch nicht, dass es möglich sein wird, einfach mal Wettkämpfe anderer deutscher Athleten zu besuchen. Das ist schade, weil Olympia ja auch immer eine Gelegenheit zum Netzwerken ist, aber ist eben nicht zu ändern. Es werden andere Spiele, aber es bleiben dennoch Olympische Spiele.
Fast zwangsläufig müssen wir auch über das Thema Impfen sprechen. Wenn man alle Athleten impfen würde, würde doch kein Problem mehr bestehen?
Es gibt aus gutem Grund eine Priorisiertenliste, und der Sport sollte sich da nicht vordrängeln. Das IOC hat ja an die nationalen Olympischen Komitees geschrieben, dass diese mit den jeweiligen Regierungen abstimmen sollen, ob die Athleten bis zu den Spielen geimpft werden können. Aber dazu muss erst einmal genügen Impfstoff für die Allgemeinheit da sein. Klar ist aber auch, dass es sich bei uns um einen sehr überschaubaren Personenkreis handelt.
Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge hat vorgeschlagen, Fußballer sollten geimpft werden, um Impfvorbehalte abzubauen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Ich verstehe schon, was er meint. Aber es sollte natürlich nicht der Eindruck entstehen, dass wir vorgezogen werden. Wir können auch Werbung für eine Impfkampagne machen, wenn wir noch nicht an der Reihe sind. Aber ich weiß aus der Kommunalpolitik, dass es schon relativ viele Menschen gibt, die an der Sinnhaftigkeit einer Impfung zweifeln. Da können prominente Sportler sicher etwas bewirken.
Sie haben es angesprochen: Sie sitzen seit 2019 für die Freien Wähler im Offenburger Stadtrat. Können Sie Ihr Mandat derzeit überhaupt ausüben?
Ich versuche es, so gut es geht, und die Fraktion unterstützt mich auch sehr dabei. Ich werde ja ab September sicherlich wieder mehr Zeit haben.
Die Freien Wähler sind Mitte März in den Landtag von Rheinland-Pfalz eingezogen, in Baden-Württemberg haben Sie es nicht geschafft. Haben Sie den Wahlausgang verfolgt?
Ich muss da mal klarstellen, dass die Freien-Wähler-Gruppen auf kommunaler Ebene nur bedingt etwas mit der Landespartei zu tun haben. Aber ich habe es schon wahrgenommen, fand auch das Auftreten des Spitzenkandidaten in Rheinland-Pfalz ganz interessant. Ich hatte im Vorfeld der Landtagswahl in Baden-Württemberg auch die Anfrage, ob ich Lust hätte zu kandidieren. Aber ich habe abgelehnt.
Warum? Ein populärer Sportler eignet sich doch bestimmt als Wahlkampf-Lokomotive? Oder heben Sie sich das bis nach Ihrer Karriere auf?
Als aktiver Sportler kommt es natürlich nicht infrage. Und nach der Karriere? Ich habe immer noch großes Vertrauen in unsere Entscheidungsträger und sehe, dass sie derzeit viel abbekommen. Es ist ja auch immer eine Frage der Lebensqualität.