Ungewöhnliche Geschichten, historische Einblicke, schauerliche Fantasien – und der ganz gewöhnliche Mord um die Ecke: Beim Krimi-Marathon lesen mehr als drei Dutzend Autoren an „Tatorten" in Berlin und Brandenburg aus ihren neuesten Werken. Das literarische Verbrechen feiert sich vom 5. bis zum 18. November selbst.
Gäbe es eine passendere Jahreszeit für eine solche Veranstaltungsreihe? Wohl kaum. Denn Novemberregen, Nebel, trübes Licht und eisiger Wind bieten den passenden Rahmen für spannende Thriller und unheimliche Geschichten. Der diesjährige Krimi-Marathon wartet mit einem Skandinavien-Special auf – eine Hommage an die vielfältige Krimiszene in den nordischen Ländern. Aus denen kommen längst einige der erfolgreichsten Autoren des Genres – Arne Dahl mit seiner Serie über die sogenannte A-Gruppe für internationale Ermittlungen bei Europol beispielsweise, der Norweger Gard Sveen, Judith Arendt aus Dänemark und Max Seeck aus Finnland. Sie stellen am Sonntag, 11. November, bei einer „Nordischen Nacht" ihre neuesten Werke im Felleshus der Nordischen Botschaften vor. Patrick Baumgärtel von der Schöneburg Literaturagentur, der den Krimi-Marathon organisiert, freut sich auf diesen Abend: „Die nordischen Krimis thematisieren aktuelle Probleme, da wird auch kein Kommissar idealisiert – im Gegenteil. Und sie wissen, wie eine gute Story funktioniert."
Wie Kristina Ohlsson, die auch dabei ist und mit „Schwesterherz" die schwedische Bestseller-Liste anführt. Es ist die Geschichte von einem Anwalt, der die Verteidigung der fünffachen Serienmörderin Sara Texas übernimmt. Der Haken: Sara ist längst tot, aber ihr Bruder ist davon überzeugt, dass sie unschuldig ist und ihr Sohn noch lebt.
Doch auch Deutsche, Österreicher und Polen können natürlich Thriller schreiben, die einem vor Spannung den Schlaf rauben und wohlige Schauer über den Rücken jagen. Wie der mit dem Deutschen Krimipreis 2018 ausgezeichnete Andreas Pflüger, der beschreibt, wie die blinde Polizistin Jenny Aaron in Marokko auf den „gefährlichsten Mann der Welt" trifft, der ihr einst das Augenlicht geraubt hatte.
Weil das Genre „Kriminalroman" so viel Raum lässt, können die Autoren vieles darin unterbringen: Science-Fiction-Elemente, Heimatverbundenes, Sozialkritik, Liebe, schwarzen Humor, auch den Blick in die Vergangenheit oder Gourmet-Geschichten. So präsentiert der Kölner Autor Max Annas in seinem neuesten Polit-Thriller „Finsterwalde" eine Welt, in der es die EU nicht mehr gibt. Nationalisten und Fremdenfeinde haben das Sagen. Alle, die keine deutschen Wurzeln haben, sind in den geräumten ostdeutschen Städten interniert und warten auf ein Dritte-Welt-Land, das sie aufnimmt. Aber die weigern sich entschieden.
Timo Leibig hingegen stellt sich Deutschland im Jahr 2028 als ein Land vor, in dem die Menschen alles glauben, was ihnen die Regierung erzählt. Sie hat die Bevölkerung durch Nano-Teilchen in Lebensmitteln gefügig gemacht. Nur wenige sind resistent gegen diese Teilchen, darunter der Sträfling Malek. Er führt einen verzweifelten Freiheitskampf an („Nanos – sie bestimmen, was Du denkst").
Nicht nur in der Zukunft, sondern auch in der Vergangenheit sind viele der beim Krimimarathon vertretenen Geschichten angesiedelt. Der polnische Autor Zygmunt Miloszewski beispielsweise liest in Slubice, der Partnerstadt von Frankfurt (Oder). Und beschäftigt sich in seinem Kriminalroman mit einem Mord am Ende des Zweiten Weltkriegs. In der Wojewodschaft Ermland-Masuren, im Keller eines alten Bunkers, wird ein Skelett gefunden, dem zwei Finger fehlen, so die Ausgangssituation seiner Geschichte.
Blutüberströmt auf der Spreewald-Insel
Herbert Beckmann („Hotel ohne Wiederkehr") entführt uns in den November 1918. Im ganzen Land herrscht Revolutionsstimmung. Der jüdische Arzt Alfred Muesall kämpft in Berlin gegen die Spanische Grippe – da bittet ihn ein Rechtsanwalt, sich um eine ungewöhnliche Patientin zu kümmern: Rosa Luxemburg. Im Wien des „Fin de Siècle" hingegen spielt der Krimi „Mord im Balkanexpress" von Rainer Wittkamp und Matthias Wittekindt. Als Kellner getarnte Anarchisten verüben bei einer glanzvollen Premiere im Burgtheater einen Anschlag auf Kaiser Franz Joseph. Das Attentat misslingt, aber die Anarchisten planen schon den nächsten Coup. Ein deutsch-österreichisches Paar nimmt die Spur der Terroristen auf – es beginnt ein tödlicher Wettlauf, der im Balkan-Express nach Serbien endet.
Auch eine weitere Spielart des Genres, der Regionalkrimi, kommt im Rahmen der Veranstaltungsreihe zu ihrem Recht. Ein junger Mann wird blutüberströmt auf einer kleinen Spreewald-Insel gefunden. Kurz darauf entdecken Anwohner einen toten Obdachlosen in einer Datsche. Kriminalobermeisterin Klaudia Wagner steht vor einem Rätsel: Die beiden Männer kannten sich nicht, aber Indizien weisen darauf hin, dass die beiden Fälle zusammenhängen. Ihre Ermittlungen bringen Erstaunliches zutage … („Spreewaldrache" von Christiane Dieckerhoff).
„Mörderisches Michendorf" spielt hingegen im boomenden Speckgürtel Berlins und ist einer der beliebten Provinzkrimis von Beate Vera. Am Ende siegt nicht das Gute über das Böse, sondern die Pointe über die Moral. Und mit ihrem neuesten Buch „Der Tiergartenmörder" will Susan Carner dem Leser ein paar Denkanstöße zum Thema Flüchtlinge geben.
Wie bei jeder Ausgabe des KrimiMarathons werden unterschiedlichste Orte zur Bühne für bekannte Autoren und Newcomer – nicht nur Buchhandlungen oder Bibliotheken, sondern auch Theater, Schlösser, Landesvertretungen und Autohäuser. Manche der Locations könnten passender nicht sein. Im Landgasthof Hammers geht es um die Teltower Rübchenkönigin Marina Hunger („Todsicher – die Spur des Rübchens"). Im Württemberger Weinhaus wird der Fall eines vergifteten Winzers aus dem südpfälzischen Rittersheim verhandelt. In der Polizeihistorischen Sammlung stellt der frühere Fernsehjournalist Michael Opoczinsky mit „Schmerzensgeld" einen Roman vor, der zeigt, was geschieht, wenn Menschen zur Selbstjustiz greifen. Erstmals dabei sind auch die nordrhein-westfälische und die saarländischen Landesvertretung. In NRW geht es um ein stillgelegtes Bergwerk, im Saarland um den toten StarTenor des saarländischen Staatstheaters (Christian Bauer: „Zwei dicke Möpse").
„Wir haben auch eine Reihe bekannter Gesichter aus dem Fernsehen dabei", sagt Patrick Baumgärtel. So liest Wolfgang Winkler (Polizeiruf 110) gemeinsam mit der Schriftstellerin Bastienne Voss Gerichtsreportagen von Jutta Voigt. Adele Neuhauser (Tatort aus Wien) beleuchtet das Phänomen der bösen Briefe, die in vielen Krimis eine wichtige Rolle spielen. Und Claus Theo Gärtner („Matula" aus „Ein Fall für Zwei") stellt seine Autobiografie vor.
Noch finanziert sich das Krimifestival aus eigener Kraft. „Wir bekommen keine staatliche Unterstützung", erklärt Baumgärtel, „und sind auf die Sponsoren angewiesen". Wer das Programmheft zum Krimi-Marathon in die Hand nimmt, sieht denn auch, dass unter anderem Verlage, Buchhandlungen und Botschaften ihr Scherflein zum Gelingen beigetragen haben. „Aber wir müssen oft auch vierstellige Autorenhonorare zahlen", meint der Organisator, „da darf kein Sponsor abspringen. Und für Einladungen an Autoren aus den USA oder Kanada fehlen uns einfach die Mittel für die Reisekosten."
Weitere Infos: www.krimimarathon.de