Fast drei Jahrzehnte lang erkundete Theodor Fontane das Umland Berlins zu Fuß und setzte der Region in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ein Denkmal. Eine besondere Rolle spielten dabei auch Touren entlang oder auf den Flüssen und Flüsschen der Mark.
Im Zeitalter der Billigflieger rast ein jeder durch die Welt, wie es ihm gefällt. Aber warum in die Ferne schweifen, befand schon Goethe, das Gute liegt oft so nah! Einer, der wie kaum ein anderer den Nahraum erkundete, war der Schriftsteller Theodor Fontane (1819–1898). Im Juli 1859, als 40-Jähriger, brach er auf zu ausgiebigen Wanderungen, die ihn in alle Ecken und bis in die verborgensten Winkel Brandenburgs führten. Diese Unternehmungen sollten ihn lange auf Trab halten, bis ins hohe Alter: 27 Jahre lang erwanderte er das Umland Berlins, erkundete zunächst seinen Geburtsort, Neuruppin und das Ruppiner Land, danach folgten das Oder-, Havel- und Spreeland. Den Orten und Landschaften setzte er in den fünf Bänden seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ein Denkmal. Das Werk wurde schon zu Lebzeiten so populär, dass etliche Zeitgenossen auch die Romane Fontanes so lasen, als wären die darin vorgestellten Territorien real. So rief im Sommer 1882 der Berliner Geschichtsverein nach dem Vorabdruck der Erzählung „Schach von Wuthenow" zu einer Exkursion von Schloss Wuthenow auf. Ein dicker Fauxpas, über den sich der Dichter zunächst amüsierte, dann, als auch noch die Rezensenten falsche Schlussfolgerungen zogen, maßlos ärgerte, denn das Schloss existierte schlichtweg nicht. Genauso wenig wie das Gutshaus des Dubslav von Stechlin, das die Touristen immer wieder am gleichnamigen See suchen.
Ansonsten aber lohnt es sich, dem Beispiel Fontanes zu folgen. Zu Fuß wäre eine feine Sache. Auch per Fahrrad. Doch ein Boot ist eigentlich noch besser, spielen doch, wie schon die Titel der „Wanderungen" zeigen, die Gewässer eine zentrale Rolle. Wir nehmen das Kajak und setzen es 300 Meter südöstlich von Schloss Rheinsberg ein. Hier fließt der nach dem Rhein benannte Rhin. Ein anmutiges Flüsschen. Ach was, wir wollen ein wenig übertreiben, ein gefährlicher Strom! In jedem Fall wild, irgendwie. Denn der Rhin hat Gefälle, rauscht durch die „Ruppiner Schweiz" zu Tal, macht Fahrt. Das gefällt den Paddlern – kein Wunder, dass hier vor allem an Sommerwochenenden ordentlich Betrieb ist. Kanu- und Kajakverleiher machen ein gutes Geschäft.
Auf der kilometerlangen, kurvenreichen Fahrt durch zauberhafte Schwarzerlenwälder kommt es hier und da zu Staus, immer dann, wenn umgefallene Baumriesen den Weg versperren und nur kleine, durch Verwirbelungen anspruchsvolle Durchfahrten freigeben. An solchen Nadelöhren braucht es, bis auch die weniger Geübten ihren Kahn in Position gebracht haben. Oder auch nicht. Irgendwie durch, lautet dann die Devise, egal wie. Manch einen sieht man so unfreiwillig mit dem Heck voranströmen.
Fontane selbst spricht von der „schäumenden Jugend" des Rhins, der „erst an der Südspitze des Molchow-Sees seine Hügelheimat aufgibt, um in das Schwäbische Meer dieser Gegenden, in den Ruppiner See, einzutreten, wo er bis zum Stillstand ruhig wird."
Bei seinen Niederschriften ging Fontane differenziert zu Werk. Ein billiger Lobgesang auf die Mark – das war sein Ding nicht. Wer das Besondere will erschauen, der muss seinen Blick schärfen, „seine Seele fertig machen", Geschichte studieren, um hinter das bloß Vordergründige zu kommen. „Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen", schrieb Fontane 1864 im Vorwort zum ersten Band seiner „Wanderungen", „auch die häßlichste – sagt das Sprichwort – hat immer noch sieben Schönheiten."
Per Kanu durch die märkische Idylle
Die Nuthe ist so ein Fall. Zunächst kaum mehr als ein Rinnsal. Und wenn man mit dem Kajak in Potsdam startet, wo die Nuthe unbemerkt oder, wie es bei Fontane heißt, „unter Sumpf und Wiesen versteckt" in die Havel fließt, dann ist das, als würde man das Tor zur Unterwelt aufstoßen. Nach einigen harmonischen Paddelschlägen durch den Nuthepark folgen heutzutage betonierte Auto- und Bahnbrücken, tief hängend, finster, voller verrosteter Abwasserrohre und sonstigem Unrat. Die Eintönigkeit des schnurgerade ins Bett gebannten Flüsschens, auf den sich sogar ein paar Stand-up-Paddler verirren, hält viele Kilometer an – bis man einige Wehre bezwungen und die beiden lärmenden Autobahnen des Berliner Rings unterschifft hat. Von nun an wird die aus dem Hohen Fläming kommende Nuthe schön und erhebt an der Gabelung zur Nieplitz sogar den Anspruch, malerisch zu sein. Leider ist die Nieplitz für Wassersportler gesperrt, aber es lohnt sich, das Boot am Ufer zu vertäuen und von hier einen Spaziergang bis Blankensee anzutreten. Wo wieder einmal ein Schloss lockt, das auch Fontane 1869 besuchte, eigentlich eher ein Herren- und Gutshaus. Das gehörte einst dem Dramatiker Hermann Suderman. Ungemein idyllisch. Und ein klein wenig verwunschen durch den von Peter Joseph Lenné entworfenen, sich an die Seitenarme der Nieplitz anschmiegenden Park.
Wasserwandern auf den Spuren Fontanes – das ist vielerorts ergiebig. Dazu gehört auch Wohlbekanntes. Die Havel mit der Pfaueninsel zum Beispiel, die Sakrower Kirche, das Kloster Lehnin, von dem aus sich das inselreiche Biosphärenreservat der Osthavelniederung zwischen Ketzin und Brandenburg erobern lässt. Und, was nicht fehlen darf: der Spreewald, den auch der Dichter mit einem Flachkahn befuhr und in aller Lebendigkeit schilderte mit badenden Kindern, vorübergleitenden Heukähnen, Spreewaldprodukten und der Tracht der Sorben.
Auf der Fahrt, bei der auch damals schon ein guter Vorrat an Alkohol mit an Bord war, passierte er die Dörfer Burg und Leipe. Vor allem Lehde tat es ihm an: „Gleich die erste halbe Meile ist ein landschaftliches Kabinettstück, es ist die Lagunenstadt im Taschenformat, ein Venedig, wie es vor 1500 Jahren gewesen sein mag."
Der Flachkahn ist heute noch das probate Mittel der Fortbewegung. Aber sportlicher und unabhängiger für das Spreewald-Labyrinth ist auch hier ein Kajak oder Kanu. Es braucht nur etwas Muskelkraft, auch um die zahlreichen Sportbootschleusen zu öffnen. Und etwas Geld, um in einem der rustikalen Gasthäuser einzukehren. Apropos Geld. Die Wanderungen waren für Fontane in einer Zeit finanzieller Not kostspielig. Vor allem die Zubringdienste der Kutscher gingen ans Eingemachte. Die Aufwendungen etwa für die Spreewaldreise standen in keinem Verhältnis zum Ertrag seiner Artikel in den Feuilletons. „Der Spreewald", klagte Fontane seiner Frau, war „ein ziemlich trauriges Business."