Timo Boll ist bei der Tischtennis-Weltmeisterschaft ab Ostersonntag in Budapest der große Hoffnungsträger des deutschen Teams. Doch auch Patrick Franziska rechnet sich in Ungarn gute Chancen aus – nicht zuletzt im Doppel mit Boll.
Mit gemischten Gefühlen treten die deutschen Tischtennis-Herren ab Ostersonntag bei der Einzel-WM in Budapest an. Zwar ist Europameister Timo Boll als Nummer fünf der Welt einmal mehr der große Hoffnungsträger, doch das Idol kämpfte im Vorfeld der Titelkämpfe um seine Form. Hinter dem 38-Jährigen allerdings brennen der frühere Weltranglistenerste Dimitrij Ovtcharov und auch der ehemalige Doppel-Europameister Patrick Franziska vom Bundesliga-Play-off-Finalisten 1. FC Saarbrücken-TT auf das zweitwichtigste Turnier der Welt nach den Olympischen Spielen. Franziska darf sich im Idealfall sogar Medaillenchancen ausrechnen – mit Boll im Doppel.
„Ich bin nicht in bester Verfassung. Durch Schulterprobleme haben sich Fehler in mein Spiel eingeschlichen", beschrieb Boll im WM-Vorfeld seine persönliche Situation. Zudem musste der Rekordeuropameister zuletzt in der Bundesliga sowie kurz davor bei den Qatar Open in Doha zum Teil unerwartete und klare Niederlagen hinnehmen: „Solche Ergebnisse kratzen schon am Selbstvertrauen", gestand der Düsseldorfer. Allerdings können die Schwierigkeiten in der Vorbereitung für Boll auch ein gutes Omen sein. „Immer", meinte Boll schmunzelnd, „immer wenn ich vor einem großen Turnier nicht in Form war und ein schlechtes Gefühl hatte, ist daraus ein gutes Turnier geworden."
„Ich bin nicht in bester Verfassung"
Tatsächlich hat Boll schon öfters trotz Problemen auf dem Weg zu einem bedeutenden Wettbewerb überraschen können. Erst im vergangenen Herbst noch bei der Europameisterschaft im spanischen Alicante marschierte der Linkshänder trotz einer zuvor wochenlangen Zwangspause aufgrund von Nackenproblemen zu seinem siebten Einzeltitel durch. Doch selbst in Bestform wäre für Boll die zweite WM-Einzelmedaille nach Bronze 2011 keine Selbstverständlichkeit. Aufgrund der Setzliste ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der zweimalige Weltcup-Gewinner bei einem erwartungsgemäßen Verlauf des Turniers spätestens im Viertelfinalmatch auf einen der drei Top-Chinesen um den Weltranglistenersten und derzeitigen WM-Zweiten Fan Zhendong trifft.
Womöglich bessere Aussichten auf Edelmetall bieten sich Boll im Doppel nach zwei vergeblichen Versuchen mit Chinas Superstar Ma Long in Budapest mit Franziska. Beim hochkarätig besetzten WM-Probelauf in Katar schmetterten sich die beiden gebürtigen Hessen, die auch schon als Option für das Doppel im olympischen Mannschafts-Turnier 2020 in Tokio aufgebaut werden sollen, immerhin bis ins Finale. „Im Doppel sehe ich beinahe größere Chancen auf eine Medaille als im Einzel", betont der deutsche Rekordmeister jedenfalls seinen Glauben an die Stärke des Duos. „Immer wenn wir zusammengespielt haben, haben wir auch gut gespielt."
An Franziska soll es jedenfalls nicht scheitern. Der 26-Jährige spielt seit längerer Zeit auf einem konstant hohen Niveau und konnte in den Play-off-Halbfinals der Bundesliga sogar gegen Boll gewinnen. „Ich bin seit einiger Zeit gut unterwegs, und die Ergebnisse der vergangenen Wochen geben mir auch Selbstvertrauen", meinte Franziska vor der Abreise in die ungarische Metropole. Seine Stabilisierung auf Eliteniveau führt die Nummer 18 der Weltrangliste auf kontinuierliches Training zurück: „Außer dass ich am Jahresanfang kurz krank war, habe ich keine Verletzungen gehabt. Ich konnte deswegen auch durchtrainieren und mir auch die Pausen so nehmen, wie sie mir gutgetan haben."
Pausen darf Franziska in Budapest jedoch nicht allzu viele erwarten. Der Rechtshänder, der schon vor vier Jahren bei der WM in Suzhou/China durch seinen Einzug in die Runde der besten Acht große Erwartungen geweckt hatte, avanciert an der Donau zum Akkordarbeiter, denn Saarbrückens Nummer eins tritt außer im Einzel und Doppel auch noch im Gemischten Doppel mit der Mixed-WM-Dritten Petrissa Solja an. Das Mammutprogramm schreckt den früheren Düsseldorfer allerdings nicht: „Ich kenne das schon, und bisher habe ich das auch immer gut geschafft." Konkrete Ziele für die WM hat sich die deutsche Nummer drei nicht gesetzt: „Ich muss mich immer erst in ein Turnier hineinspielen. Ich hoffe aber natürlich, dass ich möglichst schnell auf Temperatur komme."
„Endlich weiter als nur bis ins Achtelfinale"
Richtig heiß sollen Boll, Franziska und Co. ohnehin erst in der zweiten Junihälfte zu den European Games in Minsk laufen. In Weißrussland kann sich das deutsche Europameister-Team durch einen Turniersieg direkt für Olympia qualifizieren und sich zudem schon die maximal zwei Plätze für das Einzel-Turnier in Nippon sichern, ohne in den folgenden Monaten bis zum Frühjahr 2020 weitere kräftezehrende und zermürbende Ausscheidungswettbewerbe bestreiten zu müssen. „Eine WM ist eine WM und hat sicherlich einen höheren Stellenwert als die Europaspiele. Doch in diesem Jahr ist Minsk für uns der wichtigste Wettbewerb. Ein Erfolg dort würde unsere Planungen und die Vorbereitung für Olympia erheblich erleichtern", verdeutlicht Bundestrainer Jörg Roßkopf die Prioritäten.
Mit gebremstem Schaum tritt dennoch keiner seiner Spieler zum Kampf um die WM-Medaillen an. Auch Europe-Top-16-Gewinner Dimitrij Ovtcharov lässt keinen Zweifel an seinem 100-prozentigen Ehrgeiz bei der WM: „Ich habe im vergangenen Jahr durch meine Verletzung viele Monate und damit zwischendurch einiges an Qualität verloren. Aber ich bin wieder da und will versuchen, endlich einmal weiter als nur bis ins Achtelfinale zu kommen."
Realistisch müssen sich der ehemalige Weltcup-Gewinner und seine Teamkollegen allerdings auf viel Konkurrenz einstellen. „Die Chinesen kommen mit fünf Topspielern, die Japaner und die Südkoreaner auch. Zusammen mit unseren drei Top-20-Spielern sind das schon fast 20 Kandidaten, die alle eine Medaille gewinnen können", erklärte DTTB-Sportdirektor Richard Prause die Ausgangslage. „Unter diesen Umständen eine Medaille als Ziel auszugeben, wäre vermessen."
Samira Manzke