In Deutschland gibt es kaum noch Boxhelden, da ist der EM-Titel von Stefan Härtel schon viel wert. Zumal der Wahl-Berliner eine interessante Geschichte zu erzählen hat.
Ob Stefan Härtel mal ein guter Lehrer wird, muss die Zeit zeigen. Aber in jedem Fall werden die zukünftigen Schüler des aktuellen Lehramtsstudenten viel zu lachen haben. „Jeder Hausmeister hat irgendwelche verdammten Gürtel. Ich bin der einzige Profiboxer, der nur einen Gürtel an der Hose trägt", hatte Härtel vor dem bislang wichtigsten Kampf seiner Karriere gesagt.
Nach dem Fight am 11. Mai in der Magdeburger Stadthalle gegen Titelverteidiger Robin Krasniqi durfte sich Härtel endlich den ersten Box-Gürtel umschnallen. Es war kein WM-Gürtel der großen Verbände, aber dank des EBU-Titels im Supermittelgewicht darf sich der 31-Jährige immerhin Europameister nennen.
Das ist in Deutschland, in dem es so gut wie keine nationale Boxhelden mehr gibt, schon eine Menge wert. Vor allem für Härtel, dem auf dem Weg nach oben wirklich nichts geschenkt wurde. „Ich war ein Nichts im Profiboxen", sagt er selbst, „jetzt bin ich Europameister."
Viele seiner ehemaligen Schüler am Johann-Gottfried-Herder-Gymnasium dürften spät nachts vor dem Fernseher gesessen und mitgefiebert haben. Härtel absolvierte dort kürzlich ein Praktikum, er unterrichtete in den Klassen sieben bis zwölf Sport und Geschichte. Beim ersten Gang vor die Schüler habe er gezweifelt, „weil ich ja sehr schnell rede und manchmal ein bisschen undeutlich", sagte Härtel der „Berliner Zeitung": „Aber wenn man vor der Klasse steht, ist man automatisch Lehrerpersönlichkeit, man ist in einer Rolle drin."
Genauso ergeht es ihm, wenn er als Profiboxer in die Öffentlichkeit tritt. Dann ist vom distanzierten Lehrer in spe kaum noch etwas übrig, dann kommt der Klassenclown in Härtel durch. „Wenn ich ein Hund wäre, ich würde nicht nur bellen, sondern auch beißen", sagte er zum Beispiel vor dem Kampf gegen den favorisierten Krasniqi. Sprüche wie diese kommen Härtel leicht über die Lippen, er weiß, dass im Box-Business mehr gefragt ist als nur sportliche Klasse: „Ein bisschen Ballyhoo gehört dazu."
Härtel muss sich über sein Auftreten profilieren, weil ihm die große Lobby in der Szene fehlt. Seine Hoffnung nach dem Sieg über Krasniqi ist, dass Promoter Ulf Steinforth vom Magdeburger SES-Boxstall, für den er mittlerweile boxt, „sagt: Stefan ist jetzt mein Mann. Vielleicht lässt er sich sogar gut vermarkten, weil er Deutscher ist, weil er witzig ist", so Härtel.
„Seine Schläge taten immer weniger weh"
Steinforth habe ihn eigentlich nur als Konkurrenten für die eigenen Boxer geholt, verriet Härtel: „Seine Jungs können sich profilieren, wenn sie mich schlagen." So hatte es auch Krasniqi geplant. Der 32-Jährige hatte vor dem Kampf mit Blick auf seinen EM-Gürtel zu Härtel gesagt: „Du kannst nach dem Kampf weitermachen, und irgendwann kommst du vielleicht auch da hin. Aber dann bin ich vielleicht schon Weltmeister."
Jetzt steht Krasniqis Karriere vor dem Ende, und Härtel darf im Alter von 31 Jahren von Höherem träumen. Früher, als er noch für den Sauerland-Stall die Boxhandschuhe geschnürt hatte, bekam Härtel nie die Chance auf einen WM-Kampf. Und das, obwohl sein technisches Talent von Experten als herausragend bewertet wird. Doch es fehlt Härtel an Schlagkraft, von insgesamt 17 Profikämpfen hat er nur zwei durch K.o. gewonnen, „aber Knockouts sind ja das, was die Leute sehen wollen", weiß Härtel. An dieser Schwäche hat er hart gearbeitet, sagt der Supermittelgewichtlicher. Geholfen habe ihm dabei auch seine Arbeit als Boxtrainer am Schul- und Leistungssportzentrum Hohenschönhausen, dadurch habe er verstärkt auf seine Schlagtechnik geachtet.
Ein K.o.-Monster wie Arthur Abraham wird aus Härtel aber nicht mehr, doch sein eleganter und technisch sauberer Kampfstil, der an den von Ex-Weltmeister Jürgen Brähmer erinnert, könnte trotzdem die Fans begeistern. Zumal der Typ, der hier die Fäuste schwingt, authentisch und höchst unterhaltsam ist.
Leistung im Ring sei „auch wichtig, man kann nicht immer nur auf dicke Hose machen. Obwohl meine eigentlich immer so dick ist", sagte Härtel im ersten Interview nach seinem bislang größten Erfolg noch im Ring. Wer Härtel aber als reinen Sprücheklopfer abstempelt, unterschätzt den Brandenburger.
„Es ist ja nicht so, dass ich zum Training in die Halle fahre und wir uns ein, zwei Witze erzählen, und das war‘s. Wir arbeiten auch ab und zu mal", sagt er. Und das ist gründlich untertrieben. Härtel hat erkannt, dass ihm sein Sport noch einmal eine Chance auf eine große Profikarriere schenkt. Und die will er mit aller Macht nutzen. Der EM-Gürtel, das sagte Härtel ebenfalls in der Stunde des Triumphs, „ist hoffentlich nicht der letzte".
In seinem Kampfrekord steht bei 17 Fights bislang nur eine Niederlage, die hatte er am 3. März 2018 gegen Adam Deines kassiert. Einem SES-Boxer. Es ging um die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht, am Ende gab es Pfiffe und Buhrufe aus dem Publikum für das umstrittene Urteil.
Dieses Schicksal blieb ihm im Kampf gegen Krasniqi erspart, auch wenn es zum Ende des Zwölf-Runden-Fights nochmal eng für den Anfangs dominanten Herausforderer wurde. „Ich hatte ihn die ersten fünf, sechs Runden locker im Griff, seine Schläge taten immer weniger weh, da dachte ich, dass der Knockout drin ist", sagte Härtel. Am Ende ging ihm aber ein wenig die Puste aus, während Krasniqi die viel zitierte „zweite Luft" bekam.
„Wenn Robin mir verrät, wie er zurückgekommen ist", sagte Härtel, könne man über einen Rückkampf reden. Aber eigentlich hat er gar keine Lust darauf, stallinterne Duelle hat er nun oft genug bestritten. Härtel will im reiferen Boxalter selbst der Hauptdarsteller sein, selbst die größere Gage kassieren.
Helfen soll ihm dabei sein langjähriger Trainer Stephan Kühne, der seinen Schützling im Kampf gegen Krasniqi mit einem Duz-Versprechen gelockt hatte. „Ich glaube schon, dass das für Stefan eine Motivation war, denn er ist neben meiner Frau jetzt der Einzige, der mich duzen darf", sagte Kühne. Seinem Boxer traut der Coach in der Zukunft einen WM-Kampf zu: „Wenn man ihm noch etwas Zeit gibt und wir uns entwickeln können, dann kann er vielleicht noch mal um einen größeren Titel boxen."
Ein Problem hätte Kühne nur, wenn Härtel im Falle eines WM-Sieges auf die Idee käme, dass der Trainer den Athleten fortan siezen müsse. „Das wäre ganz schön hart für mich", sagte Kühne lächelnd.
Sollte Härtels sportlicher Weg ihn nicht auf den WM-Thron führen, bleibt ihm immer noch der Beruf des Lehrers. Nach seiner Magisterarbeit wird er wohl ein Referendariat an einer Schule in Berlin absolvieren.