In Zeiten von Facebook, Instagram oder Tiktok wird politische Kommunikation immer komplexer. Die neuen Verbreitungswege verändern zwar nicht die Politik, aber die Aufmerksamkeit der User. Eine Herausforderung für die Parteien.
Politische Kommunikation ist wie Geld anlegen: Die richtige Mischung macht’s! Noch vor zehn Jahren hieß die Parole der einschlägigen Agenturen: Raus aus der Printwerbung. Wahlkampf-Anzeigen in Zeitungen waren passé, das Internet sollte bespielt werden. Doch spätestens nach der Bundestagswahl im September 2017 wurde dieser Ansatz noch mal grundsätzlich überdacht.
Zum Auftakt des Wahljahres hatte die Saar-CDU unter Führung der damaligen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer bei den Landtagswahlen gegen den Schulz-Hype der SPD einen überraschenden 40-Prozent-Sieg einfahren können. Ein Ergebnis, von dem die Partei heute nur noch träumen kann. Das Zauberwort damals: Haustürwahlkampf. Ein halbes Jahr später, nach der Bundestagswahl, analysierten Wahlkampfstrategen die dramatischen Verluste und bescheinigten der Union, sie hätten die sozialen Medien nicht richtig bespielt. Gut zwei Jahre später, im Mai dieses Jahres, gelang der Bremer CDU ein Achtungserfolg bei der Bürgerschaftswahl. Carsten Meyer-Heder hatte 70 Jahre SPD-Vorherrschaft gebrochen, die Christdemokraten erstmals zur stärksten Kraft gemacht − die SPD konnte nur noch mit einem rot-rot-grünen Bündnis weiterregieren. „Wir hatten mit dem total unbekannten Carsten Meyer tatsächlich eine echte Aufgabe und haben uns zwar auf den Netz-Wahlkampf konzentriert, aber das dann nur im Einklang mit persönlichen Begegnungen mit den Wählern." Mit dieser Strategie bringt die Wahlkampfchefin der Bremer CDU, Rebekka Grupe, auf den Punkt, was Soziologen schon länger beobachten: Ausschließlich viraler Wahlkampf bringt überhaupt nichts, die Menschen brauchen die persönliche Ansprache. „Das ist das Geheimnis auch bei uns gewesen, die Menschen haben sich gefreut, wenn sie unseren Kandidaten kennengelernt haben. Wenn sie dieses persönliche Erlebnis dann auch noch im Netz mit Freunden teilen konnten, war es eine doppelte Freude", so die 35-jährige Pressechefin. Aber Grupe räumt auch ein: Komplexe Inhalte lassen sich in den sozialen Medien nicht so ohne weiteres darstellen, dazu sind sie einfach nicht gemacht. „Man kann sie zwar runterbrechen, aber vertiefen kann man sie dann nur im persönlichen Gespräch am Wahlkampfstand."
Womöglich hat genau diese „Schwäche" der sozialen Medien der AfD zu ihrer Stärke verholfen. Straßenwahlkampf der Partei trifft regelmäßig auf Proteste. Wahlkampfveranstaltungen in geschlossenen Räumen sind nicht so einfach zu machen, weil sich die Partei kaum noch irgendwo einmieten kann. Das Netz erschien also als idealer Ort, den die Strategen im Bundestagswahlkampf 2017 endgültig für sich besetzten. „Wir hätten sicherlich noch besser abgeschnitten, wenn wir den klassischen Straßenwahlkampf hätten bedienen können, aber die fast 13 Prozent im Bundestag sind trotz dieses Mankos schon beachtlich", bringt es der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski auf den Punkt. Dabei hat es die AfD als selbsternannte reine Oppositionspartei natürlich bei der Präsentation im Internet sehr viel einfacher als andere. Sie treten nicht für etwas ein, sondern sind einfach nur dagegen. Argumente gegen etwas kann man immer sehr viel einfacher darstellen, als für etwas zu argumentieren, gerade bei komplexeren Zusammenhängen. Dies musste auch die Linkspartei zur Kenntnis nehmen. „Soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte für alle" sind in Zeiten des Internets schwieriger darzustellen als ein Schlichtes: „Grenzen zu, Festung Europa".
Die Erkenntnis, dass Politik und demokratische Prozesse nur bedingt viral im Netz darstellbar sind, ist allerdings so neu nicht. Die Piratenpartei ging bereits 2006 mit einem digital-basisdemokratischen Anspruch an den Start – und ist gescheitert. Allein das Unterfangen, ganze Parteitage nicht nur mit Delegierten in einem Saal, sondern mit der ganzen Partei per Internet abzuhalten, war mehr als ambitioniert. Die Berliner Fraktion beerdigte nach zwei Jahren ihre basisdemokratischen Fraktionssitzungen, weil Beschlüsse beinahe unmöglich wurden. Ähnliche Erfahrungen machen derzeit die Bewegungen Fridays for Future (FFF) und Extinction Rebellion, die ebenfalls auf Schwarmintelligenz und digitale Basisdemokratie setzen. Bei der Aktionswoche von Extinction Rebellion in Berlin fiel eine spektakuläre Aktion, die den gesamten Hauptstadtverkehr komplett lahmgelegt hätte, wegen digitaler Überlastung aus. Zu viele Gruppen fütterten die Social-Media-Bots mit Informationen, so dass irgendwann niemand mehr durchblickte. Der Info-Gau im Netz verhinderte politische Aktionen auf der Straße. So hatten sich das die Verfechter der Schwarmintelligenz nicht vorgestellt. Ähnliche Probleme gibt es immer wieder bei Fridays for Future Deutschland.
Zur gemeinsamen Abstimmung wurde für jeden Sonntag eine telefonische Schaltkonferenz um 17.30 Uhr mit mehr als 100 Teilnehmern eingerichtet. Per Internet konnten dann noch Eingaben gemacht werden. Schon Telefonkonferenzen mit mehr als zehn Teilnehmern können schnell aus dem Ruder laufen. Die ersten FFF-Schaltungen dauerten Stunden und brachten wenig Erkenntnisgewinn. Seit Diskussionsbeiträge eingedämmt wurden und keine Eingaben über Internet mehr einfließen, schafft man so eine „Schalte" in gut einer Stunde. Aber die netzaffine FFF-Gemeinde meutert. Der digitale, basisdemokratische Ansatz ist dahin, so die Kritik. Nicht alles ist steuerbar.