Auch in unserem Nachbarland spielen soziale Netzwerke in der Politik eine immer größere Rolle. Dabei ähneln sie in ihrer Kommunikation denjenigen in Deutschland – Falschmeldungen inklusive.
Facebook, Twitter, Youtube: Auch in Frankreich läuft inzwischen bei Wahlen nichts mehr ohne die sozialen Netzwerke. Wer als Kandidat, ob nun bei Präsidentschaftswahlen, Wahlen zur Nationalversammlung oder bei der Europawahl, nur auf die klassischen Medien setzt, hat bei den Wählern von vornherein schlechte Karten. Natürlich ist es schwer zu sagen, ob sich ein Wähler tatsächlich bei der Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten durch ein bestimmtes Medium hat beeinflussen lassen. Aber es gibt belastbare Untersuchungen über das Nutzerverhalten im Netz, zum Beispiel welche Seiten auf Facebook von zur Wahl stehenden Politikern angeklickt werden, ob nur gelikt, geteilt, gefolgt oder kommentiert oder sogar diskutiert wird.
Prof. Karolina Koc-Michalska von der Audencia Business School in Paris hat das Verhalten der Franzosen vor Wahlen in sozialen Netzwerken untersucht. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 war es für Kandidaten wie Nicolas Sarkozy noch ein Novum, neue Medien wie Facebook als Kommunikationsplattform zu nutzen. 2017 sah das ganz anders aus. Insbesondere Linksaußen Jean-Luc Mélenchon mit seiner Bewegung La France insoumise und Rechtsaußen Marine Le Pen vom Front National, heute Rassemblement National, spielten nach Angaben des Instituts besonders geschickt auf der Klaviatur der sozialen Netzwerke. Schon 1996 war der rechtsextreme Front National im Internet bestens organisiert und die erste Partei Frankreichs mit eigenem Webauftritt. Nach Recherchen der „Zeit" hat Le Pen allein bei Twitter 1,4 Millionen Follower. Mélenchon erhielt beispielsweise auf Youtube für ein Video im Wahlkampf 2017 rund eine halbe Millionen Klicks, indem er sich als Hologramm in sechs verschiedene französische Städte gleichzeitig projizieren ließ.
Interessant ist aber vielmehr das Nutzerverhalten. So wird zwischen drei User-Profilen unterschieden: Internetnutzer, die nur liken; Nutzer, die kommentieren und folgen, und diejenigen, die sich informieren und diskutieren. So konnte das Team um Koc-Michalska feststellen, dass 2012 noch viele Franzosen zur dritten Kategorie gehörten, fünf Jahre später aber die meisten bereits zur zweiten Kategorie zählten. Brisant daran ist, dass sich die Nutzer der zweiten Kategorie so gut wie gar nicht mehr mit den anderen Kandidaten beschäftigen. Außerdem ist es für die Macher der Seiten ein Leichtes, nur noch Inhalte anzuzeigen, mit denen sich die Nutzer eh schon identifizieren. Die Gefahr zu manipulieren und Stimmung im Netz zu machen, ist also durchaus gegeben.
So kursierten vor den Präsidentschaftswahlen Videos im Netz von gewalttätigen Flüchtlingen, die Frauen angreifen und helfende Personen verletzen. Das Problem: Diese Videos stimmten inhaltlich nicht oder die Inhalte wurden aus dem Zusammenhang gerissen und in einen anderen Kontext gestellt.
Meinungsbeeinflussung mit neuer Qualität
Die Absicht, Falschmeldungen zu verbreiten und damit bestimmte Themen zu besetzen, ist klar: Medien verschweigen bewusst die Wahrheit, heißt es auch in Frankreich; die Migration bedroht Frankreich; die Kriminalität steigt. Drei Theorien, die besonders die Rechtsextremen um Marine Le Pen vertreten.
Aber auch andere Kandidaten wie François Fillon versuchten, im Wahlkampf Stimmung über neue Medien zu machen. So fand Kommunikationswissenschaftler Nicolas Vanderbiest von der belgischen Universität Louvain heraus, dass 1.800 Anhänger Fillons unter dem Hashtag #stopmacron gleichzeitig twitterten, um im Ranking bei Twitter vor Macron zu stehen. „Die Strategien, öffentliche Meinungen zu beeinflussen, haben eine neue Qualität erhalten", so Vanderbiest.
Sogar Russland soll sich über die kremlnahen Medien Sputnik und Russia Today in den französischen Wahlkampf eingemischt und Kandidaten diskreditiert haben, vermutet Staatspräsident Emmanuel Macron. Der Präsident habe angeblich ein Doppelleben mit einem männlichen Journalisten von Radio France geführt und sei von einer Schwulenlobby unterstützt worden. Es geht darum, das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben. Gleiches gilt für den Hashtag #MacronLeaks auf Twitter wenige Tage vor der Stichwahl gegen Marine Le Pen. Dort ging es um angebliche Offshore-Konten und die Steuerflucht Macrons. Alles stellte sich als gefälscht heraus.
So sehr Fake News in den sozialen Medien auch zunehmen: Fakt ist auch, dass laut Umfragen nur ein Viertel aller Franzosen private Newsseiten oder Blogs für glaubwürdig erachten.
Trotzdem nehmen die sozialen Netzwerke immer mehr Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Leben Frankreichs. Das beste Beispiel dafür lieferte die Gelbwesten-Bewegung. Sie wäre ohne Facebook, Whatsapp, Twitter und Co kaum denkbar, hat doch der Protest einer einzelnen Person gegen die geplante Steuererhöhung beim Sprit erst diese riesige Protestwelle im Netz losgetreten. Adhoc-Verabredungen im Netz für Protestaktionen, keine erkennbare Struktur mit direkten Ansprechpartnern, die Anonymität im Netz – all das hat Macron in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. „Die Menschen haben gelernt, der Regierung mit einfachen Mitteln und mithilfe der sozialen Netzwerke Erfolge abzuringen", so der Wirtschaftswissenschaftler Philippe Dessertine. So musste Macron einen Teil seiner Reformbemühungen aufgrund des Drucks der Straße und des Netzes zurücknehmen beziehungsweise zurückstellen. Die Big-Data-Firma Alto Data Analytics hat nach Angaben der „Tagesschau" rund zwölf Millionen französische Posts und Tweets der Gelbwesten auf deren Herkunft analysiert. Dabei zeigte sich, dass es einigen politischen Parteien wie dem Rassemblement National, den Eurokritikern Debout la France sowie La France insoumise gelungen ist, sich als wichtige Akteure in der Debatte um die Gelbwesten zu etablieren. So setzten beispielsweise einzelne Nutzer mehr als 700 Nachrichten an einem Tag zu einem Thema ab.
Die nächsten Jahre dürften vor allem hinsichtlich des Kommunikationsverhaltens der Parteien von links, rechts, aber auch von Macrons La République en Marche, spannend werden. Neben den Kommunalwahlen 2020 und den Regionalwahlen 2021 stehen 2022 Präsidentschaftswahlen an.