Die Vorfreude auf die WM in Eugene ist riesig unter den Leichtathleten. Auch die deutschen Starter erhoffen sich die ein oder andere Medaille. Es gibt aber auch eine prominente Absage.
Wer ist die erfolgreichste Leichtathletik-Nation? Natürlich die USA. Das Land führt die ewige Medaillenwertung bei Freiluft-Weltmeisterschaften überlegen an, insgesamt gewannen die Amerikaner 380-mal Edelmetall, davon allein 169-mal Gold. Und deshalb überrascht es auch, dass die Leichtathletik-Supermacht noch nie Gastgeber einer WM war. Zumindest bis jetzt nicht. Die Titelkämpfe in Eugene (15. bis 24. Juli) sind eine Premiere – und der Weltverband IAAF hätte dafür bei der Vergabe keinen besseren Standort wählen können. Eugene im US-Bundesstaat Oregon ist mit rund 200.000 Einwohnern zwar eine vergleichsweise kleine Stadt, doch die Leichtathletik hat hier eine Riesentradition. Eugene wird auch „Track Town USA" genannt, weil hier regelmäßig die nationalen Meisterschaften und das Diamond-League-Meeting „Prefontaine Classic" stattfinden. Außerdem wurde hier der Sportartikelhersteller Nike gegründet, der die Sportart maßgeblich beeinflusst.
Nach der höchst umstrittenen WM vor drei Jahren in Katar ist die Vorfreude der Sportler und Sportlerinnen auf die Wettkämpfe in dieser Leichtathletik-Hochburg enorm – vor allem natürlich bei den US-Stars. Allyson Felix, Christian Coleman und Co. wollen im legendären Hayward Fiel zur Höchstform auflaufen und den Millionen Zuschauern, die dank der Premium-Übertragung von NBC vor den Bildschirmen mitfiebern werden, eine spektakuläre Show bieten. Doch auch die deutschen Starter haben sich viel vorgenommen, auch wenn einen Monat später mit der Heim-EM in München schon das nächste Highlight auf dem Programm steht. Auf welche Athleten ist aus dem ersten, 79-köpfigen WM-Aufgebot besonders zu achten?
MALAIKA MIHAMBO
Olympiasiegerin, Weltmeisterin, Europameisterin, dreimal in Folge Gewinnerin der Wahl zu Deutschlands Sportlerin des Jahres – die Heidelbergerin hat in ihrer Karriere alles erreicht. Entsprechend fliegt Mihambo auch mit einem anderen Gefühl nach Eugene als noch 2019 nach Doha. „In diese Saison gehe ich eher mit Zielen statt mit Träumen, denn meine Träume habe ich mir eigentlich schon erfüllt", sagte sie. Titeldruck verspüre sie keinen mehr, „ich kann die nächsten Meisterschaften jetzt mit viel mehr Freude begehen", so die 28-Jährige. Sie wisse, dass sie „nichts und niemandem mehr etwas beweisen" müsse.
Springt es sich dadurch leichter? Oder fehlt vielleicht etwas an Spannung? Sie strebe nach wie vor nach dem „optimalen Sprung", betonte Mihambo, die davon bei der DM in Berlin aber ein Stück entfernt war. 6,85 Meter reichten zwar für den Titel, an ihre Weltjahresbestleistung (7,09 Meter) aus dem Mai kam sie aber nicht heran. Kein Wunder, sie sei quasi „aus dem vollen Training heraus" gesprungen, auch deswegen hätte „in den Details nicht alles ineinandergegriffen". Sorgen müsse sich aber keiner machen: „Ich weiß, dass die Form sehr gut ist." Ihr Anlauf würde in diesem Jahr „viel besser" passen, zudem sei sie „wieder sehr schnell". Die vielen Sprint-Starts zu Beginn der Saison haben sich ausgezahlt.
Eigentlich hätten es Heim-Wettkämpfe für sie sein sollen, denn Mihambo wollte von Leichtathletik-Ikone Carl Lewis trainiert werden. Doch Corona verhinderte 2020 diesen Plan, sie blieb in Deutschland und arbeitete mit Weitsprung-Bundestrainer Uli Knapp zusammen. Geschadet hat es ihr nicht. „Wir haben sehr viel Spaß, lachen viel im Training, das ist einfach eine tolle Stimmung", sagte Mihambo über den Wohlfühlfaktor, der für ihre Leistungsfähigkeit so wichtig ist: „Ich stehe bei Uli immer als Mensch im Vordergrund. Und wenn mal ein Problem zwischen den Ohren sitzt, dann nimmt er das genauso ernst wie ein körperliches."
JOHANNES VETTER
In den letzten Wochen hat der Ex-Weltmeister einen kleinen Re-Start hinter sich. Der Fuß, Beinbeuger und vor allem die Schulter schmerzten, der Muskel-mann konnte seine Wucht nicht mehr auf den Speer übertragen. Weil die Probleme von technischen Fehlern stammen, von kaum sichtbaren Ausweichbewegungen, zog sich der Offenburger mit Trainer Boris Obergföll zurück. Training und Rehabilitation statt Wettkämpfe und Siegerweiten. „Toll ist das nicht", sagte der Speerwerfer, „aber wir haben schon ganz andere Sachen überstanden". Als Sieger der Diamond League hatte er sich im vergangenen Jahr eine Wildcard für die WM erkämpft, doch der freiwillige Startverzicht war am Ende wohl alternativlos. Mit den 85,64 Metern, die er bislang als Saison-Bestweite zu stehen hat, wird Vetter in Eugene nichts reißen können. Eine zweite Pleite nach Olympia in Tokio, wo der große Goldfavorit aufgrund riesiger Probleme mit dem weichen Belag schon im Vorkampf ausgeschieden war, wäre fatal gewesen. Nun will er wieder richtig fit werden.
JOHANNES WEBER
Er ist der Mann, der sich in Vetters Abwesenheit zur aktuellen Nummer eins unter den deutschen Speerwerfern gemausert hat. Im Juni kratzte der 27-Jährige an der 90-Meter-Marke und stieg damit zu einem Medaillenkandidaten auf. „Die 89,54 waren super, aber ich habe direkt gemerkt: Da geht noch mehr", sagte der Wahlberliner selbstbewusst. Sein Anlauf passe nun besser, er habe „sehr gut trainiert" und profitiere von „der Erfahrung und Routine der letzten Jahre", erklärte Weber seine Leistungssteigerung. Der neue Deutsche Meister freut sich enorm auf die Titelkämpfe in den USA: „Das wird bestimmt ein Riesending."
NIKLAS KAUL
Der Zehnkämpfer war neben Mihambo der einzige aus dem deutschen Leichtathletik-Team, der bei der vorangegangenen WM in Doha Gold gewinnen konnte. Seitdem wurde der „König der Leichtathleten" aber immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen, Anfang Mai musste er wegen Kopfschmerzen und Schwindel, die durch eine Verletzung im Halsbereich hervorgerufen wurden, das Traditionsevent in Ratingen abbrechen. Auch schon bei Olympia hatte Kaul nach einem Fehltritt im Hochsprung verletzungsbedingt vorzeitig aufgeben müssen. Die Bilder, wie er im Rollstuhl aus dem Stadion gefahren wurde, will er in Eugene gegen Jubel-Bilder tauschen.
„Ich habe in den vergangenen zwei Jahren so viel Pech gehabt, dass das jetzt erst mal aufgebraucht sein sollte", sagte der jüngste Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte. Der Vierkampf beim Deichmeeting machte Hoffnungen: Kaul trat nur in drei Disziplinen an und überzeugte beim Hürdensprint (14,34 Sekunden), über 200 Meter (22,16 Sekunden) und im Diskus (47,13 Meter). Es war eine mehr als gelungene Generalprobe für die WM, für die er sich als Titelverteidiger nicht extra qualifizieren musste.
KRISTIN PUDENZ
Sie war die größte deutsche Überraschung bei Olympia: Silber im Diskuswerfen mit persönlicher Bestweite von 66,78 Meter. Die hielt aber nur bis zur DM im Juni in Berlin, als Pudenz die Scheibe auf 67,10 Meter schleuderte. Damit reist sie als Weltranglisten-Dritte nach Eugene und ist eine der wenigen Medaillenhoffnungen des DLV. „Die Bestleistung habe ich nicht erwartet", sagte die 29-Jährige. Für Überraschungen ist Kristin Pudenz aber immer wieder gut.
GINA LÜCKENKEMPER
10,99 Sekunden – als die Sprinterin ihre Zeit bei der DM auf der Anzeigetafel sah, flippte sie aus. Lückenkemper schrie, weinte vor Freude und riss die Fäuste immer wieder in die Luft. Sie sei nun mal ein „unfassbar emotionaler Typ", und eine 100-Meter-Zeit unter elf Sekunden sei immer noch „etwas Besonderes". Denn es bedeutet: Sie ist zumindest europäisch wieder spitze. Manche Experten mag das angesichts der letzten Jahre überraschen – sie selbst nicht.
„Ganz viele Leute machen aus mir jetzt ein Comeback-Kid, aber ich finde ja: Ich bin nie weg gewesen. Ich habe einfach nur Verletzungspech gehabt", sagte Lückenkemper. Für eine WM-Einzelmedaille wird es dennoch nicht reichen, dafür sind die Sprint-Asse aus den USA und Jamaika zu schnell. Doch Lückenkemper und die anderen deutschen Sprinterinnen spekulieren etwas auf Staffel-Edelmetall.
KONSTANZE KLOSTERHALFEN
Die Langstreckenläuferin konnte wegen einer Corona-Infektion nicht bei der DM in Berlin starten. Es habe ihr „das Herz gebrochen", wie sie in ihren sozialen Medien schrieb, aber sie werde die Vorbereitungen für die WM vorantreiben. Denn dort will sie ähnlich auftrumpfen wie 2019 in Dubai, als Klosterhalfen auf spektakuläre Weise zu Bronze über 5.000 Meter gestürmt war. Da die Bonnerin seit mehreren Jahren in den USA trainiert, wird es eine Art Heimspiel für sie.
GESA FELICITAS KRAUSE
Die zweimalige Europameisterin trägt das Herz auf der Zunge, und so konnte sie ihre Enttäuschung über die verpatzte Generalprobe zwei Wochen vor der WM im TV-Interview auch nicht verbergen. „Das ist schon ein kleiner Schlag ins Gesicht", sagte die WM-Dritte von 2019 nach ihrem achten Platz über 3.000 Meter Hindernis nach 9:44,44 Minuten: „Das sind nicht die Zeiten, für die ich trainiere." Ihre Bestzeit liegt knapp 40 Sekunden darunter, doch zuletzt hatte sie eine Erkältung zurückgeworfen. Wenn aber jemand Steh-auf-Qualitäten besitzt, dann ist es Gesa Felicitas Krause. Abschreiben im Kampf um die Medaillen sollte man sie nie.
BO KANDA LITA BAEHRE
Mit seinem Satz von 5,90 Meter beim Deutschen Meistertitel in Berlin katapultierte sich der 23-Jährige auf Weltranglistenplatz fünf. „Dieser Wettkampf gibt mir gut Selbstbewusstsein vor der WM", sagte der Düsseldorfer. Nach Platz vier vor drei Jahren soll nun endlich eine Medaille her. Er sei „auf jeden Fall näher dran, vorne mitzumischen", berichtete Lita Baehre. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines kongolesischen Vaters ist mit seiner frischen und unverbrauchten Art ein Glücksfall für die deutsche Leichtathletik, der es an Stars mangelt. „Er ist authentisch und verstellt sich nicht, das bringt neues Flair in unsere Sportart", schwärmte Chefbundestrainerin Annett Stein.