Burg Beeskow südöstlich von Berlin ist Ausstellungsort, Bühne und seit 30 Jahren das vorübergehende Zuhause für eine sogenannte „Burgschreiberin" oder einen „Burgschreiber". Das Amt tritt jetzt Autorin und Fotografin Franziska Hauser an.
Anfang Januar 2023 wird Franziska Hauser ihre Schreibkemenate auf der alten Burg der Ritter von Strele am Ufer der Spree beziehen. Sie hat dann fünf Monate Zeit, um ungestört zu schreiben. Freies Logis und ein monatliches Stipendium von 1.000 Euro halten ihr den Rücken frei – traumhafte Bedingungen, die vor ihr schon etliche Schriftstellerkolleginnen und -kollegen schätzen gelernt haben.
Die frohe Botschaft überbrachte ihr der Verleger André Förster, Vorsitzender einer sechsköpfigen Jury, per Telefon. Da war sie gerade bei einer Lesung und – wie sie heute gesteht – etwas verwirrt. Das Ganze hätte nämlich auch schiefgehen können. Ihre Familie in Berlin wusste zwar, dass sie sich um das Burgschreiberamt beworben hatte. Doch dass die Mutter zweier Kinder dann tatsächlich für rund ein halbes Jahr nicht zu Hause ist, wurde ihr erst in diesem Moment richtig klar. „Zum Glück hat sich der Familienrat zu meinen Gunsten geeinigt", verrät sie und freut sich nun auf die kommende kreative Auszeit in Beeskow.
Denn sie hat viel vor. Franziska Hauser, gebürtige Berlinerin, Jahrgang 1975, studierte zunächst Bühnenbild und Fotografie. Doch auf ihrer reich bebilderten Website findet sich auch ein überraschendes Video. Gefragt, was sie einmal werden wolle, sagt da die seinerzeit Elfjährige spontan: „Schriftstellerin!" Nun, das Leben nimmt eben gern Umwege. „Jedes Foto erzählt eine Geschichte", stellt sie fest, „und dann habe ich gemerkt, dass man ja auch aufschreiben kann, was man sonst fotografiert hätte."
Zweiter Roman landete auf Buchpreis-Longlist
Sie beginnt, Kurzgeschichten zu schreiben, erobert sich das Schreiben Schritt für Schritt, denn für die bekennende Legasthenikerin war es auch eine Hürde, die sie erst einmal nehmen musste.
Inzwischen tritt sie gern auf Lesebühnen auf, hat selbst eine mitbegründet, die Berliner Leseplattform „Des Esels Ohr". Auch ist sie freie Mitarbeiterin des schon zu DDR-Zeiten legendären Heftes „Das Magazin". Für diese Zeitschrift interviewt sie regelmäßig Menschen zu einem Thema des Monats, aktuell ist das „Faulheit". 2015 schließlich war die Zeit reif für ein größeres Erzählformat. Sie traute sich einen Roman zu. Ihr Debütroman „Sommerdreieck" erschien beim Rowohlt Verlag. Mit ihrem zweiten Roman „Die Gewitterschwimmerin", erschienen im Eichborn Verlag, landete sie bereits auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Ihrer Liebe zur Fotografie bleibt sie indes treu, veröffentlicht ihre Fotos in renommierten Publikationen wie der „Zeit" und der „Taz". Auch ein neuer Roman schlummert auf ihrem Schreibtisch, „Herbstarrest" heißt er und handelt vom rasanten Aufstieg und Fall einer Schauspielerin. Daran möchte sie auf der Burg in Beeskow weiterschreiben.
Das Städtchen Beeskow, aus Berliner Sicht ein Ort in der „Provinz", weit weg vom großen Weltgetriebe, hat sich dank einiger glücklicher Fügungen seit der Wende zu einem kulturellen Hotspot in Brandenburg gemausert. Der letzte Kulturminister der DDR, Herbert Schirmer, wurde hier in den 1990er-Jahren Burgdirektor und begann, DDR-Kunst zu sammeln. Das daraus entstandene Kunstarchiv Beeskow ist heute ein wichtiges Dokumentationszentrum dieses Erbes. Regelmäßige Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen sind ein Anziehungspunkt für Besucher aus ganz Deutschland, aber auch für Kunsthistoriker und Studierende.
Wolfgang de Bruyn, ab den 1990ern lange Jahre Amtsdirektor für Kultur, war es, der die Idee hatte, eine Burgschreiberstelle auszuschreiben und sorgte für eine gesicherte Finanzierung. Ein monatliches Salär von 1.000 Euro musste so eine kleine Stadt wie Beeskow erst einmal stemmen. Doch die Stadtverordneten versprachen sich davon einen Imagegewinn und stimmten dem Vorhaben zu. Inzwischen teilen sich Stadt und Landkreis den Betrag von insgesamt 5.000 Euro. Schon 1993 konnte mit dem Jugendbuchautor Gerhard Loschütz der erste Burgschreiber seinen „Dienst" antreten. Ihm folgten unter anderen der Drehbuchautor Martin Stade. Auch Henryk Bereska, ein engagierter Mittler zwischen deutscher und polnischer Literatur, hat auf der Burg gearbeitet. Die Publizistin und Kritikerin des DDR-Dopingsystems Ines Geipel schrieb hier an ihrem Essay über unterdrückte Literatur in der DDR. Wichtig war den Initiatoren immer, eine Brücke zwischen den Schreibenden und den Bürgern von Beeskow zu schlagen. Das funktionierte, meistens jedenfalls.
Erster Burgschreiber war Autor Gerhard Loschütz
Einer der aktivsten Burgschreiber der vergangenen Jahre war der Autor Armin Strohmeyr. Der Wahlberliner lernte Beeskow bei einem Ausflug ins Märkische kennen und bewarb sich danach für das Burgschreiberstipendium. Das war 2010. Kleine Ausschnitte aus seinem Roman „Ferdinandea", an dem er im Burgschreiberstübchen arbeitete, stellte er bei Lesungen vor und freute sich darüber, wie außerordentlich interessiert die Besucher seine Arbeit verfolgten. Viel war er mit dem Fahrrad in den umliegenden Dörfern unterwegs, um den angeblich so verschlossenen Märkern auf den Zahn zu fühlen. Ihm begegneten lauter aufgeschlossene, hilfsbereite, neugierige Menschen. Noch heute kommt Armin Strohmeyr gern nach Beeskow, pflegt alte Kontakte zu Freunden und ist seit Jahren Mitglied im Förderverein der Burg. Etwas weniger Glück hatte Martine Müller-Lombard, die ihr Amt als Burgschreiberin 2021 antrat, mitten in der Pandemiezeit! Die gebürtige Dresdnerin lebt seit langem im französischen Straßburg und wollte die Erfahrungen ihres Lebens in zwei Ländern gern mit den Beeskowern teilen. Dazu kam es aber nicht oder zumindest nicht so, wie sie es sich gewünscht hätte. Dennoch konnte sie mithilfe des engagierten Mitarbeiterteams den Kontakt zu einer Französischklasse am Rouanet-Gymnasium der Stadt herstellen. Sie berichtete den Jugendlichen von ihrem Alltag in ihrer Wahlheimatstadt Straßburg und von ihrer redaktionellen Arbeit für den deutsch-französischen Gemeinschaftssender Arte. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß erkundete sie die Region, besuchte Seen und Wälder und machte sich mit Kolumnen in der Regionalzeitung bemerkbar. Trotz aller Einschränkungen wegen der Pandemie nahm sich Bürgermeister Frank Steffen für sie Zeit, führte sie durchs Stadtzentrum. Denn Beeskow ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischem Stadtkern" und tut viel dafür, das betagte Gemäuer zu pflegen und im Zentrum das geschäftige Leben einer typisch märkischen Kleinstadt zu fördern. Trotz aller Widrigkeiten war der Aufenthalt auf Burg Beeskow für Martine Müller-Lombard bereichernd: In 13 Kurzgeschichten aus dem Osten Deutschlands hat sie ihre Eindrücke verarbeitet und sie – wieder daheim – ins Französische übersetzt.
Nun also wird Franziska Hauser ins Burgschreiberstübchen einziehen, sie ist die 30., die dieses Amt ausübt. Sie will in Beeskow an ihrem neuen Roman weiterschreiben, aber auch besonders das Gespräch mit jungen Leuten suchen, „weil die skeptisch sind und unangepasste Fragen stellen". Hauser verspricht: „Bei mir ist die Schreibwerkstatt immer offen!"