Der 1. FC Saarbrücken-TT greift in den Finals der Tischtennis-Champion-League nach dem größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte. Allerdings sind die Erfahrungen von Franziska und Co. gegen den Endspielgegner Borussia Düsseldorf nicht die allerbesten.
Ein wenig erscheinen Duelle zwischen dem 1. FC Saarbrücken-TT und Borussia Düsseldorf in Finalrunden oder gar Endspielen von wichtigen Wettbewerben wie die Tischtennis-Version des Hollywood-Klassikers „ … und täglich grüßt das Murmeltier“: Seit einer gefühlten Ewigkeit jedenfalls arbeitet sich das Team um Topstar Patrick Franziska am erfolgsgewohnten Branchenprimus vom Rhein ab, ohne die Führungsrolle von Timo Boll und Co. bisher ernsthaft erschüttert zu haben. „Wir sind“, konstatiert Franziska vor den Finals der Champions League am Freitag (31. März) in der Hermann-Neuberger-Halle und drei Tage später (3. April/Montag) in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt im FORUM-Gespräch, „wir sind schon längere Zeit Düsseldorfs Verfolger Nummer eins, und schlagen müssen sie uns auch erst einmal, denn Chancen haben wir gegen sie immer.“
„Chancen haben wir immer“
So berechtigt Franziskas Einschätzung von Saarbrückens Potenzial auch sein mag, so wenig hat seine Mannschaft in der Vergangenheit ihre durchaus vorhandenen Chancen genutzt: Von den insgesamt sechs Begegnungen der Saarbrücker mit dem deutschen Rekordmeister in Endspielen von Bundesliga, Pokal oder Champions League seit Franziskas Wechsel von der Borussia zum FCS vor sieben Jahren gewann Saarbrücken lediglich das Pokalfinale im vergangenen Jahr und in fünf weiteren Halbfinals in den gleichen Wettbewerben während desselben Zeitraums auch nur das Bundesliga-Play-off 2019.
Trotz dieser ernüchternden Bilanzen möchte Franziska den Dauerrivalen nicht als Angstgegner bezeichnen. „Sonst müssten ja praktisch alle Mannschaften in Europa einen Borussen-Komplex haben, aber auf keinen Fall hat Saarbrücken einen Düsseldorf-Komplex“, meint der Nationalspieler im Brustton der Überzeugung, „wir können immer ehrlich an unsere Chance gegen sie glauben.“
Die Aussichten für Franziska und seine Kollegen sind vor der Neuauflage des Königsklassen-Endspiels von 2021 auch tatsächlich besser als in den meisten Matches der vergangenen Jahre. Denn bei den Düsseldorfern stand bis zuletzt ein Fragezeichen hinter der Einsatzfähigkeit von Rekord-Europameister Timo Boll. Der 42 Jahre alte WM-Dritte laboriert seit mehreren Wochen an einer Schulterverletzung. „Wir werden nichts riskieren“, meinte Borussias Erfolgscoach Danny Heister zu Beginn der heißen Vorbereitungsphase zum Genesungsprozess des deutschen Idols.
Des einen Leid kann auch in diesem Fall des anderen Freud sein, hofft Franziska bei allem Mitgefühl für seinen Freund und Nationalmannschafts-Kollegen jedenfalls: „Timo ist für jede Mannschaft wichtig, egal auf welcher Position. Gegen uns hat er zuletzt oft nur das Einzel der Dreier bestritten, weil er da eine Bank war. Es kann für keine Mannschaft gut sein, auf solch einen Spieler verzichten zu müssen, denn Timo macht jede Mannschaft stärker.“
Dabei hat sich das Düsseldorfer Team sportlich längst vom Grandseigneur des deutschen Tischtennis emanzipiert. Allen voran ist der Schwede Anton Källberg im bisherigen Verlauf der Bundesliga-Saison mit 17:3-Siegen auf dem Weg, wie im Vorjahr zum erfolgreichsten Spieler des Oberhauses zu avancieren. Düsseldorfs Europameister Dang Qiu gehört mit 13:2-Erfolgen ebenso noch zu den Top Five in der Bundesliga wie Saarbrückens Europe-Top-16-Gewinner Darko Jorgic mit 15:3-Siegen (Franziska: 12:4).
Beinahe allerdings hätte das Team von Saarbrückens Trainer Wang Zhi im Kampf um Europas Krone gar nicht den Düsseldorfern gegenübergestanden, sondern dem TTC Neu-Ulm. Doch das hochfavorisierte Starensemble der neureichen Bayern um Routinier Dimitrij Ovtcharov scheiterte in den Semifinals nach einem legendären Rückspiel nach einem sogenannten „Golden Match“ – maximal drei Kurzduelle im Falle eines Gleichstands – an den Borussen.
In der kommenden Saison aber könnten die Blau-Schwarzen tatsächlich auf Neu-Ulm treffen – es wäre das Duell mit einem Paria des Sports. Neu-Ulm nämlich betreibt – mit dem Triumph in der Champions League als einzigem Ziel – seit über zwei Monaten eine gezielte Strategie der Abspaltung vom Spielbetrieb in Deutschland. Mit Stand Mitte März wird der Retorten-Club von der Donau für das bevorstehende Spieljahr als erste Mannschaft im europäischen Vereinssport ohne Einbindung in ein nationales Ligasystem an einem Europacup teilnehmen.
Die Posse sorgt in der Szene seit Wochen für Aufruhr. Mit tückischer List hat Neu-Ulm nur vier Jahre nach seiner Gründung und gleichzeitigen Aufnahme in die Bundesliga per Wildcard seinen schnellen Ausstieg aus der deutschen Eliteklasse zum Ende der laufenden Saison forciert. Als Rechtfertigung für diesen beispiellosen Schritt führte der TTC vorgeschobene Empörung über Strafen für vorsätzliche Regelbrüche und lächerliche Verschwörungstheorien an. Parallel hebelte Neu-Ulm ebenso schamlos die traditionell ausgerichteten Regelwerke des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) und des Europa-Verbandes ETTU für seine Interessen aus.
Neu-Ulm hebelt die Statuten aus
Angesichts einer oft langwierigen und in jedem Fall kostspieligen Aufbauarbeit für eine auch in der Champions League wettbewerbsfähigen Mannschaft – frag nach beim FCS – kaufte sich Neu-Ulm zwei Jahre nach seinem Bundesliga-Einstieg wiederum per Wildcard auch in die Champions League ein. Weil die Königsklasse im Tischtennis nur Ergebnisse auf europäischer Ebene und nicht zuvor auch nationale Resultate als Teilnahmekriterium heranzieht, konnte der Ovtcharov-Club den DTTB im Rahmen der gültigen Spielordnung zur Meldung des Teams für die neue Champions-League-Saison geradezu nötigen und den Verband damit zum Handlager seines sportwidrigen Vorgehens degradieren.
Der DTTB zog sich bei seiner Entscheidung über diesen Präzedenzfall auf Formalien zurück. Trotz der beispiellosen Konstellation würden die Regularien der beiden betroffenen Verbände keine Grundlage bieten, „anders zu entscheiden“, erklärte Verbandschefin Claudia Herweg. Zwar hätten sich Beobachter von Herwegs Organisation im Idealfall mehr Entschlossenheit zum Schutz von solide arbeitenden Clubs wie Saarbrücken oder auch Düsseldorf und nicht zuletzt des Sportsgeistes vor solchen Trickdieb-Methoden erhofft, doch hätte der Verband laut seiner Präsidentin eine juristische Auseinandersetzung über eine Verweigerung von Neu-Ulms Meldung „definitiv nicht gewinnen“ können. Ob geschäftliche Verstrickungen des DTTB mit Neu-Ulms Mäzen eine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben können, ist bisher reine Spekulation.
Immerhin betonte Herweg auch Unbehagen. Noch bei der Bekanntgabe von Neu-Ulms Champions League-Anmeldung kündigte die Kölnerin als Konsequenz aus dem „Fall Neu-Ulm“ für die übernächste Saison Veränderungen der DTTB-Vorschriften an. Die Teilnahme eines Clubs an der Champions League ohne Zugehörigkeit zu einer nationalen Liga sei „sicherlich nicht im Sinne des Mannschaftssports. Ich persönlich hoffe, dass es uns gelingt, die Lücken in den Regularien zu schließen“, stellte Herweg ihre Positionen für den nächsten DTTB-Bundestag im November klar.
Franziska würde ein solches Update der Regeln – trotz seiner Freundschaft zu Ovtcharov durchaus begrüßen. „Mich haben auch schon viele gefragt, was da im Tischtennis los ist, aber das kann man Außenstehenden eigentlich gar nicht erklären. Wenn die Regeln so sind, ist es erst einmal in Ordnung, aber wenn man die Regeln ändert, wird es auch in Ordnung sein, weil ich schon der Meinung bin, dass man sich in irgendeiner Form schon auch national für die Champions League qualifizieren müssen sollte“, meint der Mannschafts-Olympiazweite.
Ablenken vom großen Ziel lassen sich Wangs Spieler durch die sportpolitischen Ränkespiele und Intrigen allerdings nicht. In der Revanche für die missglückte Titelverteidigung bei der Pokal-Endrunde zu Jahresbeginn durch das Halbfinal-Aus gegen Düsseldorf winkt immerhin der vierte bedeutende Titel nach den Cup-Erfolgen 2012 und im Vorjahr sowie der deutschen Meisterschaft 2020. „Die Saison“, betont Franziska, „ist für uns bisher auch in der Champions League gut gelaufen, und jetzt wollen wir auch die Krönung erreichen.“