Josephina Neumann ist erst 13 Jahre alt, spielt aber für TTC Berlin Eastside bereits in der Tischtennis-Bundesliga. Sie gilt als eines der größten Talente in ihrem Sport – und auch ihr Ehrgeiz ist enorm.
Wunderkinder gibt es immer wieder, auch im Sport. Zumindest werden Athleten oder Athletinnen in den Medien als solche oft bezeichnet, wenn sie schon in sehr jungen Jahren zu außergewöhnlichen Leistungen fähig sind. Nicht alle dieser vermeintlichen Wunderkinder kommen mit dem plötzlichen Hype zurecht, andere wiederum stagnieren irgendwann aus anderen Gründen in ihrer sportlichen Entwicklung. Der Körper verändert sich, die Psyche spielt eine größere Rolle, die Ablenkungen im Alltag nehmen zu. Ob Josephina Neumann also ein Wunderkind ist, ist eine müßige Frage. Eines aber ist klar: Sie ist das „Supertalent Josi“ – dieser Titel einer ARD-Dokumentation über die 13 Jahre alte Tischtennisspielerin des TTC Berlin Eastside ist nicht zu hoch gegriffen. Experten halten Josi, wie Josephina Neumann von allen genannt wird, für eines der größten Tischtennis-Talente Europas. Wenn nicht gar für das größte.
„Sie ist schon verdammt weit“
„Sie ist schon verdammt weit“, sagte Timo Boll in der einstündigen Reportage des Hessischen Rundfunks, der die gebürtige Frankfurterin seit Jahren begleitet. „Ich weiß nicht, ob ich in dem Alter schon so weit war.“ Der 42-Jährige hat es in seiner Karriere zu beachtlichen Erfolgen gebracht, er gewann etliche Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften sowie Olympischen Spielen. Ob Neumann dies eines Tages auch gelingt, ist noch nicht abzusehen, den ersten großen nationalen Erfolg hat sie aber schon eingefahren: Mit ihrer gleichaltrigen Doppel-Partnerin Koharu Itagaki gewann Neumann Ende März sensationell Silber bei den Deutschen Meisterschaften. Im Finale verlor das junge Duo zwar klar gegen die hochfavorisierten Sophia Klee/Sabine Winter, doch allein schon der Finaleinzug hatte deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Immerhin hatten die Teenager auf dem Weg ins Endspiel unter anderem die Titelverteidigerinnen Chantal Mantz und Yuan Wan aus dem Weg geräumt. Auch die 30 Jahre alte Finalgegnerin Winter zollte den beiden Youngsters großen Respekt für ihren mutigen und technisch hochwertigen Auftritt bei der DM. „Die beiden Kleinen haben das sehr gut gemacht“, sagte Winter: „Das Kurz-kurz-Spiel haben sie da eindeutig besser beherrscht als wir.“
Zumindest bei Josi Neumann kommt der Erfolg nicht mehr ganz so überraschend, sie hatte schon in der Bundesliga bewiesen, dass sie mit den Erwachsenen mithalten kann. „12-Jährige rettet Tischtennis-Meister TTC Berlin Eastside Unentschieden“ betitelte Mitte November der RBB einen Artikel über den Sieg der Wahl-Berlinerin am siebten und letzten Spieltag der Hinrunde zum 5:5 gegen den TSV Langstadt. „Wir wollen mit ihr den Versuch starten, sie in relativ jungen Jahren in die Mannschaft und diese Atmosphäre zu integrieren, in der Hoffnung, dass sie in einigen Jahren eine Führungsspielerin bei uns werden kann“, sagte Eastside-Präsident Alexander Teichmann.
Das Konzept des Deutschen Meisters hat die Familie überzeugt, deswegen bekam Josephina den Segen für einen Wechsel nach Berlin. „Es geht nicht um Geld, nicht um Rekorde, nicht um höher, schneller, weiter, sondern darum, einen Verein gefunden zu haben, der richtig Lust hat, Josi aufzubauen“, sagte Mutter Cornelia Neumann-Reckziegel der „Frankfurter Neuen Presse“. Sie war einst selbst Bundesligaspielerin und hat ihre Tochter jahrelang trainiert. „Mit drei, vier Jahren hat sie schon ihre ersten Bälle gespielt“, erinnerte sich die Mutter zurück: „Ich habe gleich gesehen, dass sie sehr viel Ballgefühl hat. Und dass sie einfach Spaß hat, sich zu bewegen.“
Und Josi wird immer besser und besser. Ihr Spiel ist fast schon komplett, kleinere Schwächen bei der Vor- und Rückhand sind nur mit einem Kennerblick auszumachen. Und auch in Sachen Nervenstärke gewinnt der Jungstar mit jedem Match dazu. Wie groß ihr Ehrgeiz ist, bewies Neumann nach ihrer jüngsten Finalniederlage in der U13-Konkurrenz beim WTT Youth Contender in Berlin gegen Loy Ming Ying aus Singapur. Nach der missglückten Titelverteidigung warf sie gefrustet ihre Schläger in die Sporttasche und verschwand im Sportforum Hohenschönhausen schnell Richtung Kabine. „Das war schon ärgerlich. Der Kopf hat ein bisschen gefehlt“, sagte Neumann hinterher. Sie sei nicht zufrieden mit ihrer Vorstellung im Finale, „aber ich habe das ganze Turnier gut gespielt und habe gemerkt, dass ich mich weiter verbessert habe“. Auch die langjährige Bundestrainerin Jie Schöpp, die in der Halle zugeschaut hatte, meinte angesichts des deutlich stärkeren Teilnehmerfeldes: „Silber ist in diesem Jahr für Josi fast noch mehr wert als Gold im letzten Jahr.“ Im anschließenden U15-Wettbewerb des WTT Youth Contender hielt Neumann im Achtelfinale gegen die Chinesin Chang Lingfei gut mit, was Schöpp ebenfalls als Fortschritt wertete. „Wenn es gegen die Chinesinnen geht, merkt man, dass sie großen Respekt hat und vielleicht manchmal noch zu hektisch spielt.“ Diesmal aber nicht. Die Duelle gegen die jungen Spielerinnen aus China, wo Tischtennis ein Volkssport ist, sind für Neumann und die anderen deutschen Talente immens wichtig. „Wenn sie nach ganz oben gehen wollen, ist es wichtig gegen sie zu spielen und auch mithalten zu können“, sagte Schöpp, „auch wenn sie noch nicht gewinnen, hat das schon einen großen Wert für die Mädchen“.
Enormes Talent mit enormem Ehrgeiz
Während des internationalen Jugend-Turniers in Berlin wurde Josephina Neumann immer wieder von meist noch jüngeren Fans um Selfies gebeten. Die Rechtshänderin genoss das Rampenlicht, ungewohnt ist es für sie nicht mehr. Auch überregionale Medien haben längst über das Toptalent berichtet, die Interview-Anfragen stapeln sich. Dass die große Aufmerksamkeit in diesem jungen Alter nicht nur positive Effekte hat, ist allen verständlich. „Wir müssen jetzt alles tun, um den Hype zu reduzieren, der aufgetreten ist“, sagte Mutter Cornelia Neumann-Reckziegel: „Aber auch der wird irgendwann wieder vorübergehen, und dann ist das ganz normal.“
Bei ihrer Tochter sei es ein Vorteil, dass diese sich in sozialen Medien kaum aufhält. „Josi hat kein Instagram, sodass sie auch nicht alles lesen muss.“ Nach Niederlagen würde dort „in den entsprechenden Foren gleich darüber geschrieben, alle können es lesen und bekommen die Niederlagen mit. Bei einem Timo Boll wussten dies zu Beginn seiner Bundesliga-Zeit immer nur sehr wenige Leute“. Und nichts hasst Josephina Neumann mehr als Niederlagen. „Sie hat immer noch etwas Angst zu verlieren“, berichtete ihre Mutter. Das sei aber verständlich, weil jede Gegnerin das hochgepriesene Mädchen sportlich schlagen will. „Normalerweise bis du mit zwölf Jahren die Jägerin, aber sie ist schon die Gejagte.“
Niemand kann seriös vorhersehen, wie Josi mit diesem und allen anderen Problemen zurechtkommt und sich weiterentwickelt. Doch das Talent ist enorm – und ihr Ehrgeiz auch. „Sie möchte nach wie vor Profi werden“, sagte ihre Mutter: „Wenn das nicht klappt, hat sie durch Tischtennis bereits jetzt so viele Dinge erlebt wie sonst wohl kaum jemand in ihrem Alter.“