Die deutsche Wirtschaft ist das zweite Quartal in Folge geschrumpft. Damit ist das Land in eine Rezession gerutscht. Die Gründe sind komplex: Die Unternehmen ächzen unter den Folgen des Ukraine-Krieges und der hohen Energiepreise.
Eine rasche Besserung scheint nicht in Sicht, so die Einschätzung von Ökonomen des Handelsblatt Research Institute (HRI). Dort rechnen die Fachleute in diesem Jahr mit einem Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent. Für 2024 prognostizieren sie ein Plus von 0,6 Prozent. Mit derartigen Wachstumsraten bildet Deutschland im europaweiten Vergleich das Schlusslicht.
Dabei steht auch die Eurozone als Ganzes nicht besonders prosperierend da: Die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorquartal ist gesunken, wie das Statistikamt Eurostat in Luxemburg mitteilte. Der Währungsraum ist damit in eine sogenannte technische Rezession gerutscht. Davon ist immer dann die Rede, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft.
Der Geschäftsklima-Index ist gefallen
Dass die wirtschaftliche Stimmung aktuell einen deutlichen Dämpfer erfahren hat, bestätigt auch das Wirtschaftsinstitut Ifo. Demnach ist im Mai der Geschäftsklimaindex auf 91,7 Punkte gefallen, nach 93,4 Punkten (saisonbereinigt korrigiert) im April. Die Stimmung drehte sich nach fünf Monaten wieder in den negativen Bereich. Der private Konsum hat die Konjunktur im ersten Quartal ausgebremst. Er ist angesichts der hartnäckig hohen Inflation um 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zurückgegangen. Dies ist der erste Rückgang nach sechs Anstiegen in Folge. Betroffen sind vor allem das verarbeitende Gewerbe, das Bauhauptgewerbe und der Handel.
Während Bundeskanzler Scholz ein Wachstum wie zu „Wirtschaftswunder“-Zeiten als Folge von Klimaschutz-Investitionen verspricht, warnen Unternehmen vor einer Deindustrialisierung. So klagt die deutsche Industrie-Lobby: „16 Prozent der befragten Unternehmen sind bereits aktiv dabei, Teile der Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern“, so Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). „Weitere 30 Prozent denken konkret darüber nach.“ Dies geht aus einer Verbandsumfrage im industriellen Mittelstand hervor. Der Verband fordert von der Politik ein „konkret umsetzbares Konzept“, das dauerhaft eine sichere Versorgung mit Energie zu international wettbewerbsfähigen Kosten gewährleistet.
Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck hingegen sieht den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht gefährdet. „Deutschland ist ein Leistungsbilanzüberschussland. Der Überschuss wird in diesem Jahr wieder 250 Milliarden betragen“, erläutert er im Gespräch mit FORUM. Dass der Überschuss im vergangenen Jahr nur halb so groß gewesen ist, sei „wie die Preissteigerungsraten ein temporäres Phänomen“. Tatsächlich hatte Deutschland allein im Monat April einen Exportüberschuss von 18,4 Milliarden Euro. Der Überschuss des Außenhandels wird unter Ökonomen teils positiv, teils negativ bewertet. Fest steht, dass die EU unter Mitwirkung Deutschlands einst festgelegt hat, dass kein Land dauerhaft einen Handelsüberschuss von über sechs Prozent erzielen soll. Die Überschüsse Deutschlands aber „verstoßen seit 20 Jahren gegen europäisches Recht“, moniert der Volkswirt.
Was die Rezession betrifft, prognostizieren einige Ökonomen eine längere Schwächephase: „Wir gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Gesamtleistung dieses Jahr spürbar sinken wird“, sagt der Ökonom Dennis Huchzermeier vom Handelsblatt Research Institute. Und auch wenn sich die Lage im zweiten Halbjahr voraussichtlich normalisieren werde, sei nicht davon auszugehen, dass Produktionsausfälle wieder aufgeholt werden könnten. Huchzermeier glaubt, dass Deutschland eine „dauerhafte Wachstumsschwäche“ droht.
Eine ähnliche Lesart hinsichtlich globaler Rezession äußerte auch der Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini, der schon die Finanzkrise 2008 vorausgesagt hatte. Der US-Ökonom vermutet in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“, dass die Zeit der kurzen Rezessionen vorbei sei und die beschriebenen Umstände sich viel länger drückend auf die Wirtschaft auswirken werden. „Der Krieg in der Ukraine wird nicht bald enden, die Probleme in den Lieferketten sind struktureller Natur, und die Preise für Energie und Rohstoffe bleiben weiterhin auf hohem Niveau.“ Die Europäische Zentralbank habe ein massives Problem: Erhöhe sie die Zinsen, verschärfe sie die Rezession und steigere den Druck auf stark verschuldete Staaten und Unternehmen. „Tut sie es nicht, erhöht sich die Inflation eventuell weiter.“
Demografischer Druck auf Wachstum
Auch Volkswirt Heiner Flassbeck sieht die europäische Zinspolitik kritisch: „Im Grunde läuft in ganz Europa eine falsche Finanzpolitik. Weder der Druck auf die Staatsschulden noch die Zinserhöhung waren gerechtfertigt“, sagt er. Die Gefahr der Inflation in Europa sieht er indes gebannt. Er spricht von „temporären Preissteigerungen“, die nun vorbei seien. „Die Erzeugerpreise für Europa liegen im Vorjahresvergleich nur noch bei einer Rate von einem Prozent. Erzeugerpreise, Großhandelspreise, landwirtschaftliche Preise und Dienstleistungspreise: Alle Preise sind von Monat zu Monat massiv rückläufig.
Eine Analyse von Bloomberg Economics prognostiziert Deutschlands Wirtschaft einen dramatischen Schwund aufgrund des Fachkräftemangels. Deutschland werde in den nächsten zehn Jahren einen größeren demografischen Druck auf das Wachstum verspüren als alle anderen westlichen Länder – mit Ausnahme Japans. Das werde das Wirtschaftswachstum schwächen und den Inflationsdruck erhöhen. Die beiden wichtigsten Hebel, die der Politik zur Verfügung stünden, seien die Erhöhung der Zahl der Arbeitskräfte und der bestmögliche Einsatz derer, die schon da sind.