Deutschlands Wirtschaft rutscht in eine Rezession – zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Land dies gar nicht leisten kann.
Ja, es deutet alles darauf hin: Die „technische Rezession", zwei Minus-Quartale in Folge, ist da. Zum ungünstigen Moment. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft, ohnehin gebeutelt durch Brexit, Wirtschaftskriege, eine schwächelnde und sich verändernde Maschinenbau- und Automobilindustrie, getrieben von der Digitalisierung, braucht Wachstum – nicht nur, um dem technologischen Umbruch wirksam zu begegnen, sondern auch, um die nach wie vor ächzende europäische Wirtschaft im Wettstreit der weltweiten Volkswirtschaften auf Kurs zu halten. Ja, die Exportbilanz des Landes ist deutlich im Plus, es wird mehr exportiert als importiert. Ja, Deutschland wird deshalb international angeprangert. Exportiert das Land in der Rezession weniger, stößt die Konkurrenz in entstehende Lücken – mehr Nackenschläge für deutsche Unternehmen. Politische Gegenmaßnahmen sind also nötig.
Droht eine Rezession, setzt sich die staatlich gesteuerte Gegenbewegung in Gang, um den Abschwung abzufedern, und diese hat Konsequenzen: Schon lange versucht die Europäische Zentralbank, den stotternden Eurozonen-Wirtschaftsmotor wieder in Gang zu bringen. Und die Bank wird ihre Politik absehbar nicht ändern. Geld bleibt billig, die Zinsen auf lange Sicht niedrig, womöglich kauft die EZB wieder Unternehmensanleihen. Gute Zeiten für die Börse, für Kreditnehmer, weniger für den Sparer. Nur wer in Aktien langfristig anlegt, kann noch Renditen von zwei, drei Prozent oder mehr einfahren – und wer clever Immobilien kauft. Das Baukindergeld, ein Konjunkturprogramm für die Baubranche, befeuert hier vor allem den Kauf von bereits bestehenden Immobilien. Die Kritiker hatten zum Teil recht: Das Geld fließt weniger in dringend benötigte Neubauten. Einige Märkte sind bereits leergefegt – es fehlen Wohnungen in der Stadt –, deutsche Häuslebauer und -käufer verschulden sich immer mehr, um an Wohneigentum zu gelangen, denn es ist ja gerade billig. Und in zehn Jahren?
Maßnahmen haben Konsequenzen
Ein weiteres Instrument sind Steuersenkungen. Die Idee dahinter: Beim Konsument bleibt mehr im Geldbeutel, das Geld gibt er im Binnenmarkt aus. Dies ist bei CDU und SPD derzeit im Gespräch, der Soli könnte zum Teil fallen. Aber dass Steuersenkungen automatisch zu mehr Wachstum führen, ist wissenschaftlich nicht gesichert, dafür gibt es zwischen Steuersenkung in der Rezession und dem Wiederaufschwung zu viele Unwägbarkeiten. Eine Senkung muss zudem gegenfinanziert sein – durch Streichung von Subventionen beispielsweise.
Gleichzeitig, so ein übliches Mittel gegen Rezession, zieht der Staat zum Beispiel Infrastrukturprojekte vor – Geld für die Wirtschaft, damit sich Auftragsbücher wieder füllen. Staatliche Gelder wären vorhanden, die Steuereinnahmen und Sozialbeiträge Deutschlands bilden einen Überschuss von 45 Milliarden Euro. Doch lehrt die Erfahrung, dass sich Unternehmen in schwierigen Zeiten lieber einigeln. Dazu gehört, Fachkräfte zwar zu halten, dafür aber weniger neue Fachkräfte einzustellen, Leiharbeiter freizusetzen, Kurzarbeit. Nicht schlimm, die Arbeitslosenquote ist auf einem historischen Tiefstand, könnte man sagen. Die Zahl der Ausbildungsstellen ist gestiegen, auch die der Azubis steigt mit. Einen Nutzen hat dies aber nur, wenn diese auch übernommen werden. Also: Gebrauchen kann Deutschland eine Rezession nicht –
als Garant einer stabilen Wirtschaft in Europa. Alle Anzeichen deuten derzeit darauf hin, dass es tatsächlich vielleicht nur eine Delle in der wirtschaftlichen Entwicklung geben wird. Wirklich aufzuhalten ist jedoch auch diese nicht.
Falk Enderle
Cool bleiben!
Ja, Deutschland ist wohl in der Rezession. Aber das heißt erst mal nichts. Und es ist vielleicht auch ganz gut.
Eine Rezession gilt als unerwünscht, schöner wäre die Konjunkturwelt ohne sie. Daher steuern Regierungen mit Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik und nicht zuletzt die Zentralbanken mit den Zinsen einer Rezession entgegen.
Dabei sagt „Rezession" erst mal gar nichts. Das Wort klingt zwar unheimlich, erinnert an hohe Arbeitslosigkeit, Schlangen vor Arbeitsämtern auf Schwarz-Weiß-Fotos. Manche denken gleich an große Wirtschaftskrisen, Pleiten, Bankencrashs, Notzeiten. Das wäre so, wie wenn man bei Fieber gleich an Malaria denkt. Dabei muss Rezession per se nichts Schlimmes sein. Kein Grund, gleich in Panik zu verfallen.
Auch in Deutschland bestehe die Gefahr einer Rezession, heißt es derzeit überall. Politiker sind sehr besorgt und sagen, es gehe nun darum „dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Rezession kommt" (Annegret Kramp-Karrenbauer). Andere fordern bereits wieder – aber eigentlich auch schon immer – große Investitionsprogramme, am besten gleich mit integriertem Klimaschutz. Wieder andere wollen endlich Steuersenkungen gegen die Rezession. Die Europäische Zentralbank hätte die Zinsen schon weiter gesenkt, wenn sie nicht ohnehin schon bei null stünden. Tatsächlich ist es wohl schon so weit, Deutschland befindet sich bereits in einer Rezession – bloß: Niemand merkt es wirklich. Es gibt Arbeit wie nie, die Beschäftigung liegt noch immer nahe am historischen Höchststand. Wie passt das zusammen?
Bislang nicht wirklich zu spüren
Es kommt daher, dass „Rezession" in Fachkreisen sehr genau definiert ist und sowohl etwas Harmloses als auch etwas ziemlich Heftiges bedeuten kann. Rezession heißt schlicht, die Wirtschaftsleistung geht in zwei Quartalen, also für die Dauer eines halbes Jahres, zurück – egal, wie weit. Diese Definition ist daher ziemlich sinnlos und sagt wenig aus. Im Frühjahr ist die deutsche Wirtschaft tatsächlich zurückgegangen, und zwar um sage und schreibe 0,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt schrieb – genauer um 0,07 Prozent. Das ist praktisch nichts und könnte auch ein Schätzfehler sein.
Weil es nun im Sommerquartal ähnlich aussah, ist das nun schon eine Rezession. Auch wenn die niemand spürt. Klar: Es kann schlimmer kommen, wie etwa im Jahr 2009, aber davon ist bisher jedenfalls nichts zu sehen. Das, was bisher zu erkennen ist, rechtfertigt keinen Aktionismus. Dass aus einer kleinen Rezession eine große werden kann, stimmt zwar, ist aber selten. Stattdessen kann eine Rezession durchaus auch etwas Gutes haben: Der deutsche Aufschwung der vergangenen zehn Jahre hatte auch Schattenseiten. Der Exportboom der Automobilindustrie hat Deutschland abhängig gemacht von Chinesen und Amerikanern – Dieselskandal und extremes Hängen am Export inbegriffen. Der Beschäftigungsboom in der Industrie hat die Fachkräfteknappheit in weiten Teilen des Handwerks verstärkt. Der Boom hat den Zuzug von Menschen in die Großstädte beschleunigt – dort werden Wohnungen knapp, und die Mieten gehen nach oben. In Kombination mit den niedrigen Bauzinsen hat das wiederum einen Bauboom zu teils absurden Preisen ausgelöst, von dem niemand weiß, ob er nicht eines Tages in sich zusammenstürzt. Klar ist, dass die seit vielen Jahren zu niedrigen Kreditzinsen viele Investitionen – auch Fehlinvestitionen – begünstigt haben, die sonst weggefallen wären. So spüren viele Menschen vor allem, wie die Kosten des Lebens steigen, während ihre Einkommen sich kaum verändern.
Historisch folgte auf eine lange Boom-Phase immer ein wirtschaftlicher Einbruch. Je schwächer der Rückgang, desto besser. Wenn es nun vor allem den Export trifft, ist das auch die Folge einer zu großen deutschen Abhängigkeit. Nun gleich mit großen Investitionsprogrammen kommen, für die die gut ausgelasteten Firmen momentan wenig Verwendung haben? Dafür ist der richtige Zeitpunkt, wenn die Firmen wirklich nichts mehr zu tun haben und die Leute auf der Straße stehen. Eine Rezession alleine heißt da noch nichts.