Deutschland kam in diesem Sommer gehörig ins Schwitzen, weil die Temperaturen zeitweise bis 40 Grad stiegen. Aber auch Ökonomen und Politiker schwitzen derzeit, weil sich – so paradox das klingen mag – die Konjunktur abkühlt. Es droht eine Rezession.
Abgehängt. Diese Gefahr droht dem Saarland, geht man nach der aktuellen Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Berücksichtigt wurden verschiedene Faktoren, zum Beispiel Arbeitslosenquote, Kaufkraft, Durchschnittsalter der Bevölkerung, Verschuldung. Flankierend dazu lesen sich Nachrichten aus der saarländischen Wirtschaft wie Menetekel. In einer Mitteilung der Landesregierung vom 16. August heißt es: „Die von den saarländischen Industriebetrieben im ersten Halbjahr 2019 gemeldeten Auftragseingänge deuten auf eine wirtschaftliche Eintrübung hin." Die Bestellungen sinken, insbesondere die Nachfrage aus dem Ausland. Exakt einen Tag nach Veröffentlichung besagter IW-Studie am 8. August schreckte eine weitere Nachricht auf: Die Saarstahl AG, einer der wichtigsten Arbeitgeber dieses Bundeslandes, kündigte Kurzarbeit ab dem 1. September für drei Monate an. Die Begründung des Unternehmens: Ein drastischer Nachfrage-Rückgang mit entsprechend schwacher Auslastung der Anlagen lasse keine andere Entscheidung zu. „Die Stimmung ist verhalten", sagt dementsprechend IG-Metall-Sprecher Lars Desgranges. Die Zulassungszahlen der Autos in ganz Deutschland sinken. „Die Krise der Automobilindustrie war immer auch eine Krise der Stahlindustrie", so Desgranges. Und da Saarstahl mehr als die Hälfte ihres Stahls an Automobilhersteller verkauft, trifft es diesen Teil der SHS Holding härter als die Dillinger Hütte. Nun sollen Kosteneinsparungen und der Abbau von Doppelstrukturen helfen, so SHS-Vorstandschef Tim Hartmann. Ungemach droht aber auch von europäischer Seite: Der Konflikt zwischen den Umweltrichtlinien und den Interessen der Industrie kollidieren vor allem auf EU-Ebene. „Wir dürfen nicht zulassen, dass der Stahl künftig vor allem aus den Ländern kommt, die kaum Umweltauflagen besitzen", mahnt der IG-Metall-Sprecher.
„Die Stimmung ist verhalten"
Derweil droht auch das Autoland ungebremst ins Schleudern zu geraten. Bei Ford in Saarlouis ist der Personalabbau in vollem Gange. Insgesamt geht es um 1.600 Menschen. Die Nachtschicht wurde gestrichen. Mittels der Kostenreduzierung sei der Standort Saarlouis bis 2024 gesichert. Und nicht nur die Ford-Arbeiter leiden, auch bei Zulieferern knirscht es im Getriebe. Etwa 4.000 Mitarbeiter hat Bosch Homburg entlassen, wo bereits im vorigen Jahre 400 Menschen nicht mehr beschäftigt wurden. Auf einer Pressekonferenz klang durch, dass es in der Dieseltechnik-Sparte noch in diesem Jahr „Anpassungen" geben werde. Auch der schwäbische Autozulieferer Eberspächer streicht in seinem Standort Neunkirchen 200 Stellen, wobei die Belegschaft bereits seit mehr als einem Jahr unter dem personellen Kahlschlag leidet. Mit großer Mühe versucht sich Eberspächer am Wandel im eigenen Konzern, glänzt beim Umsatz von 4,6 Milliarden Euro, muss aber seine Strategie ändern.
Einzeln betrachtet, könnte man zu der Erkenntnis kommen, dass es sich zwar um Schicksale der betroffenen Mitarbeiter handelt, aber ansonsten alles im Lot sei. Kulminiert man diese Fakten, drohen Konsequenzen, die noch drastischer sein könnten als die Auswirkungen des Kohleausstiegs.
Bei den Entlassungen handelt es sich oftmals um Leiharbeiter. Andererseits wurden Festangestellte sozial verträglich bedient, was vor allem dem Einsatz der Betriebsräte und Gewerkschaften zu verdanken war. Erinnern wir uns der IW-Studie: Mit zunehmender Arbeitslosigkeit im Land sinkt die Kaufkraft. Wer weniger Geld zur Verfügung hat, muss sich nicht nur beim Autokauf einschränken, sondern schaut auch beim täglichen Bedarf auf preiswerte Angebote. Zum Beispiel beim Fleischkauf. Auf den Fleischpreis werden auch Angestellte eines anderen saarländischen Traditionswerkes künftig achten: Die Firma Schröder Fleischwaren kündigte 170 von 470 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ging in Eigen-Insolvenz. Etliche Filialen mussten geschlossen werden. Da wirkt der Abbau von 50 Angestellten in der Globus-Zentrale St. Wendel schon fast wie eine Fußnote, wenn es sich denn nicht um Menschen handeln würde.
Der Handelsstreit zwischen den USA und China, der Brexit sowie selbst verschuldete Konjunkturdellen wirken sich im Augenblick massiv auf die saarländische Wirtschaft aus. Vor Ort bemühen sich Verantwortliche um Schadensbegrenzung. So sprach Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger in einem FORUM-Interview die dringenden Themen an, zum Beispiel Strukturwandel, Bildung.
Handelsstreit und Brexit als Faktoren
Doch wo ist der erwähnte Strukturwandel? Fast manisch wird auf Erfolge hingewiesen, die vor allem zwei Namen haben. Der Autozulieferer ZF investiert weiter in Saarbrücken. Und dann gibt es das Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit CISPA. Für die Cybersicherheits- und Datenschutzforschung werden mehr als 500 Mitarbeiter benötigt, fast alle mit einer entsprechenden wissenschaftlichen Qualifikation. Das ist tatsächlich sehr positiv, zumal der IT-Sektor von der Landesregierung Unterstützung bekommt – wenn auch offensichtlich nur in einem sehr fragmentierten Rahmen. Das Saarland überaltert, liegt in glaubhaften Statistiken im Vergleich zu anderen Bundesländern an letzter Stelle. Junge und qualifizierte Arbeitnehmer ließen sich mit sogenannten weichen Standortfaktorern ins Land holen. Der Traum des Saarland-Marketings, allein, bislang verfängt er nicht.
Denn da hakt es wieder: Gibt es genügend kulturelle Angebote? Wie ist die Sportszene aufgestellt? Auf die Vereinsstruktur mit mehr als 400.000 Mitgliedern war das Saarland einmal stolz. Nun wurde der Sportlandesverband von Politikern gegen die Wand gefahren. Wer Top-Events in Sport und Kultur erleben will, muss sich nach Luxemburg, Trier oder Mannheim orientieren. Am besten mit dem eigenen Auto, denn die Zuganschlüsse sind alles andere als optimal. Zudem sind die Berlin-Flüge der Luxair in der Diskussion. Es fehlen: Investitionen.
Wirtschaftsministerin Rehlinger erklärte, die Schuldenbremse dürfe keine Investitions- und Wachstumsbremse sein. Bemerkenswert. Denn: Schon längst fordert die Oppositionspartei „Die Linke" erhebliche Investitionen. Vor allem Fraktionschef Oskar Lafontaine setzt sich dafür ein.
Doch woher soll das Geld kommen? Zum Beispiel aus Fördertöpfen des Bundes. Nachdem die Landesregierung ein Programm zur Entlastung der Kommunen beschlossen hat, kam Ministerpräsident Tobias Hans kürzlich auf die Idee, vom Bund mehr Geld zu verlangen – um die Altschulden der Kommunen zu tilgen und gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu erreichen, sei dies unumgänglich, so Hans in der gleichnamigen Kommission des Bundes. An anderer Stelle fließt Geld aus dem Digitalpakt ins Land, 60 Millionen, um die saarländischen Schulen auf die Digitalisierung vorzubereiten. Und Wirtschaftsministerin Rehlinger verlangt Geld von der Kohlekommission, um die Stillegung des Kohlekraftwerks Ensdorf abzufedern. Eine Milliarde Euro steht nun im Gesetzentwurf des Bundes, „doch deren Verteilung auf die betroffenen Kohleregionen und damit auch das Saarland ist noch unklar", so Julian Lange vom saarländischen Wirtschaftsministerium. Geld alleine wird es aber nicht richten. Der „große Wurf" für Bildung, Umschulungen, Investitionen ist gefordert. „Hauptsach gudd gess, geschafft hamma schnell" war gestern.