Die politische Kommunikation über soziale Medien wird immer beliebter. Dr. Thorsten Klein, Senior-Kommunikationsberater und ehemaliger saarländischer Regierungssprecher, hat zu diesem Thema promoviert.
Herr Klein, welche Auswirkungen haben die sozialen Medien auf die politische Kommunikation?
Dank der sozialen Netzwerke erleben wir die revolutionärsten und tiefgreifendsten Veränderungen, die es in der politischen Kommunikation je gab. Per Definition sind soziale Netzwerke durch zwei Aspekte bestimmt: zum einen durch den User Generated Content. Also durch die von Nutzern erstellten Inhalte, wonach jeder Nutzer sowohl Produzent als auch Konsument ist. Deswegen nennt man ihn heutzutage auch „Prosument". Zum anderen aber auch duch die Interaktion. Soziale Netzwerke geben uns die Möglichkeit, mit dem Nutzer in direkten Kontakt zu treten. Ungefiltert. Eins zu eins. Früher waren die Medien als Art „Gatekeeper" zwischengeschaltet, als jene, die entschieden haben, welche Informationen den Menschen erreichen und welche nicht. Diese Rolle hat sich grundlegend verändert. Der Politiker kann nun direkt mit dem Bürger in Kontakt treten. Ich bin davon überzeugt, dass das erst der Beginn einer neuen Epoche ist. Inwiefern sich diese Revolution weiterentwickeln wird, hängt einzig und allein von uns Menschen ab – nicht von der Technik. Denn wir bestimmen die Technik, nicht umgekehrt.
Wie verändert sich der Wahlkampf durch die Digitalisierung?
Digitale Medien ersetzen die klassischen Medien nicht – sie ergänzen sie! Das bedeutet konkret für den Wahlkampf, dass man mehr Instrumente hat, die man nutzen kann. Dafür sind Aufbau- und Ablauf eines Walkampfs neu zu organisieren. Ein Wahlkampfteam braucht Köpfe, die die klassischen wie auch die neuen Medien verstehen und bedienen können. Zwischen ihnen sind Prozesse so zu definieren, dass sie viel schneller – quasi in Echtzeit – reagieren und antworten können. Wenn auf Facebook ein kritisches Thema aufkommt, kann nicht erst eine dreitägige Abstimmung in internen Kreisen abgewartet werden – es muss innerhalb einer Stunde reagiert werden. Um das umzusetzen, braucht es eine neue Denk- und Arbeitsweise. Verschiedene Untersuchungen zeigen aber auch, dass der Trend der letzten Jahre wieder mehr zum persönlichen Kontakt geht. Gerade auch bei der saarländischen Landtagswahl 2017 hat sich der Haustürwahlkampf als entscheidendes Mittel herausgestellt. Man sollte nicht das eine tun und das andere vernachlässigen – es empfiehlt sich, beides zu bedienen. Denn hier wie da geht es nur um eines: Deutungshoheit.
Welche Vorteile bringt die politische Arbeit mit Social Media?
Ein Politiker – gemeint sind übrigens immer auch andere Geschlechter – ist heutzutage in der Lage, mittels der Technik seine Botschaften direkt an die Bürger zu senden. Und zwar individuell und sortiert nach seinen Interessen – ohne dass Journalisten zuvor gefiltert haben. Das bedeutet auch, er hat ein probates Mittel zur Hand, um ganze Massen mobilisieren zu können. Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass dies insbesondere bei unterdrückten Völkern von großer Bedeutung war. Der Arabische Frühling ist ein gern genanntes Beispiel. In Deutschland hat man das Gefühl, dass sich die Nachteile häufen. Ich habe in meiner Dissertation die Theorie der affektiven Resonanz entwickelt. Dieser liegt zugrunde, dass jeder Mensch das Bedürfnis nach einer Resonanz hat. Wenn ich direkt mit jemandem kommuniziere, dann möchte ich auch direkt eine Antwort. Bekomme ich diese nicht, dann fordere ich sie mir ein – und zwar emotional, also aus dem Affekt heraus. Mit dieser Theorie lässt sich beispielsweise das Phänomen der AfD herleiten: Erst schirmt man sich von anderen Meinungen ab und sucht dann die Bestätigung der eigenen Meinung. Kommt mir jemand in die Quere, agiere ich emotional.
Sehen Sie sonst noch Probleme?
Die sozialen Netzwerke haben unser Leben schneller gemacht; wir können fast zeitgleich mehrere Whatsapp-Chats bedienen. Man hat als Politiker heute kein Wochenende mehr Zeit, über etwas nachzudenken. Um Jean-Claude Juncker zu zitieren: Es wird ein „sofortiger Sofortismus" erwartet. Es wird also in Echtzeit eine Antwort erwartet, was uns wieder an die Theorie der affektiven Resonanz erinnert. Das führt auch zum Irrglauben, ein Gesetz könne in drei Klicks bei Facebook verabschiedet werden. Wir wissen aber, dass das Gesetzgebungsverfahren ein sehr komplexer Vorgang ist, der aber gerade für eine repräsentative Demokratie essenziell ist. Es entsteht der Eindruck, dass vielen Menschen der Wert einer Demokratie nicht mehr bewusst ist. Das zu verändern, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es darf uns nicht passieren, dass durch Schnelligkeit die Sorgfältigkeit verloren geht. Dass es verloren geht, ein Thema auch in die Tiefe zu diskutieren. Man glaubt, nur weil man bei Facebook eine Überschrift gelesen hat, sei man im Thema drin. Wir fischen nur noch an der Oberfläche und gehen nicht mehr in die Tiefe. Das liegt aber nicht an den sozialen Netzwerken, sondern an uns selbst. Jeder von uns könnte hinterfragen: Warum ist etwas so, wie es ist? Die direkte Kommunikation über Social Media ist wunderbar, aber wenn sie nicht mehr in die Tiefe geht, kann dieser Vorteil schnell zum systemkritischen Nachteil werden.
Wie bewerten Sie das Phänomen der sogenannten Filterblase?
Wissenschaftlich gesehen ist die Theorie der Filterblase umstritten. Das hat den einfachen Grund, dass die Datenbasis sehr schwach ist. Es bräuchte mehr Input von Konzernen wie Facebook oder Google. Soziologisch und psychologisch betrachtet liegt es auf der Hand, dass es diese Filterblase gibt. Die gab es schon immer: Der Zeitungsleser hat schon immer entweder die „TAZ" oder die „FAZ" gekauft – selten bis nie beide zusammen. Das heißt, man bewegt sich als Mensch grundsätzlich in den Sphären, in denen man sich am wohlsten fühlt. Es liegt auf der Hand, dass wir Gleichgesinnte suchen. Wenn ein Algorithmus in sozialen Netzwerken uns aber nur das anzeigt, von dem er denkt, es könnte uns interessieren, befürchte ich, dass wir in demokratiekritische Phasen kommen. Denn die Basis der Demokratie ist die freie Meinungsbildung und der freie Zugang zu Informationen. Früher haben uns Journalisten anhand von Nachrichtenfaktoren Nachrichten ausgewählt, jetzt machen das aber Maschinen, von denen wir nicht wissen, wie sie arbeiten. Die Konzerne werden uns diese Arbeitsweise auch nicht offenlegen, denn sie ist deren ureigenes Geschäftsgeheimnis. Deswegen sehe ich das durchaus kritisch. Aber die Verantwortung liegt auch hier bei jedem einzelnen. Natürlich hat der, der diesen Algorithmus programmiert, Verantwortung – Stichwort: Verantwortungsethik –, aber auch der Nutzer selbst. Zur freien Meinungsbildung gehört für meine Begriffe auch die Pflicht, Augen und Ohren offenzuhalten, dass es auch noch etwas anderes gibt, als das, was mir im Internet angezeigt wird.
Fake News gab es ja auch schon immer. Welche neuen Probleme schafft die nun viel schnellere Verbreitung durch die sozialen Medien?
Die schnellere Verbreitung ist das, was die Falschnachrichten heutzutage gefährlich macht. Falschnachrichten gab es – genau wie Filterblasen – schon immer. Spätestens seit den gefälschten Hitler-Tagebüchern. Durch die Digitalisierung ist es nun möglich, Fake News binnen kürzester Zeit weltweit zu verbreiten. Die Digitalisierung hat nicht nur Zeit, sondern auch Raum aufgelöst. Die räumliche Zuordnung – egal ob regional, national oder international – spielt keine Rolle mehr. Auch hier ist es wissenschaftlich umstritten, wie viel Einfluss Fake News auf Meinungsbildung haben – die Wissenschaft ist noch am Anfang. In meiner Doktorarbeit konnte ich allerdings die Empfehlung herausarbeiten, dass ein Politiker sofort auf Falschnachrichten reagieren sollte. Das stellt ihn vor große Herausforderungen: Er muss erst einmal mitbekommen, dass jemand überhaupt etwas gesagt hat – und dann, ob es falsch oder richtig war. Ich darf aber auch als Nutzer nicht jeder Nachricht Glauben schenken, ohne einmal zu schauen: Wer oder was steckt dahinter? Der Blick ins Impressum hilft manchmal schon.
Macht der Auftritt im Internet eine Partei jugendfreundlicher oder wirkt es vielleicht etwas deplatziert auf die Jugend?
Das kann sehr peinlich werden. Es ist ein schmaler Grat, den die Parteien zu gehen haben. Sie kommen aus dem prädigitalen Zeitalter und haben unter ihren Mitgliedern oder Führungskräften viele, die keine „Digital Natives" sind und damit nicht mit digitalen Medien aufgewachsen sind. Dadurch haben sie auch nicht unbedingt die Empathie, direkt mit solchen Themen umzugehen. Das hat uns die CDU-Reaktion auf Rezo gezeigt. Auf ein Youtube-Video antwortet man sinnvollerweise nicht mit einem elfseitigen PDF-Dokument, sondern auf dem gleichen Kanal. Das vermeintliche Establishment wirkt wie ein schwerer Tanker, und es düsen ganz viele Schnellboote um es herum. Als großer Tanker in der digitalen Epoche trotzdem schneller lenken – also schneller auf Aktionen im Netz reagieren zu können –, das ist schwierig. Mein Eindruck ist, dass in der Union, in der SPD oder auch bei den Grünen genügend junge Köpfe bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht sollte man sie einfach mal machen lassen. Es empfiehlt sich den etablierten Parteien, verschiedene Plattformen mit verschiedenen Formaten für verschiedene Zielgruppen auszuprobieren. Nicht alles wird auf Anhieb funktionieren. Ich gehe so weit und sage: Nichts, was im Netz viral wurde, also eine große Aufmerksamkeit erregt hat, hat auf Anhieb funktioniert. Das Netz lebt vom Ausprobieren und Experimentieren. Junge Köpfe sind dabei freier, unverbrauchter und unvorbelasteter.
Wie wichtig ist die Wahl der Plattform und eines Formats für die politische Kommunikation via Social Media?
Wir arbeiten in der Kommunikation heutzutage viel näher an Zielgruppen und müssen uns an deren Interessen orientieren. Wichtig ist dabei auch die Plattform. Ich muss mir überlegen, welche Zielgruppe überhaupt auf welcher Plattform unterwegs ist. Aus Statistiken weiß man, dass in Deutschland Whatsapp gefolgt von Facebook und Instagram die stärksten Social-Media-Plattformen sind. In Amerika ist zum Beispiel Twitter für die politische Kommunikation systemrelevant – anders als hier in Deutschland. Zudem kommen auch immer neue Plattformen dazu: Snapchat, Tiktok.
Aber nur, weil etwas neu ist, ist es nicht zugleich sinnvoll. Zusammengefasst: Die politische Kommunikation via Social Media entscheidet nach Zielgruppe, Plattform und Format – ob ich beispielsweise eine reelle Bürgersprechstunde in meinem Büro einführe oder per Facebook live Fragen beantworte. Es gibt kein Richtig oder Falsch, es ist immer eine Abwägung.
Welcher Politiker oder welche Partei leistet denn auf sozialen Netzwerken eine besonders herausragende Arbeit?
Die AfD – mit Abstand. Das sieht man auch an den Statistiken: Die AfD hat derzeit rund 490.000 Facebook-Fans und damit mehr als CDU und SPD zusammen. Welche Reichweite die Partei hat, weiß man nicht, aber sie wird sich definitiv im zweistelligen Millionenbereich bewegen. Das bedeutet: Ein Facebook-Beitrag der AfD erreicht binnen weniger Sekunden Tausende von Menschen. Wenn wir auf Fake News und Filterblasen zurückkommen, ist dies das Beispiel par excellence, wie sich Falschnachrichten sehr schnell in enorm weite Kreise verbreiten können. Diese einzufangen ist fast unmöglich.
Zudem versteht die AfD es in Perfektion, die Theorie der affektiven Resonanz zu nutzen. Sie kommunizieren ausschließlich auf der emotionalen Ebene. Sie bedienen dort übrigens wunderbar ihre Opferrolle. Auf der anderen Seite hat eine Bundes- oder Landesregierung sachlich und wertneutral zu informieren – dazu gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1977. Die Kognition steht demzufolge im Vordergrund. Die größte Herausforderung der politischen Kommunikation des nächsten Jahrzehnts ist es, diese emotionale Ebene mit der informativen Ebene zusammenzubringen.
Ist die Arbeit mit Social Media die Zukunft der politischen Kommunikation?
Die Arbeit mit sozialen Netzwerken zu vernachlässigen ist so, als hätte man vor 30 Jahren das Telefon nicht benutzt. Die Digitalisierung ist keine Krankheit, die wieder weggeht. Sie ist genauso da wie auch die Globalisierung – damit müssen wir klarkommen. Für eine funktionierende Kommunikationseinheit in einem Unternehmen zählt die klassische Medienarbeit genauso dazu, wie die mit sozialen Medien. Ohne herauszuheben, ob das eine besser ist als das andere – es ergänzt sich. Die große Kunst ist es, daraus eine integrierte, synchronisierte und abgestimmte Kommunikation zu machen. Es ist wichtig, sowohl auf Facebook wie auch in klassischen Medien ein einheitliches Erscheinungsbild abzugeben. Das gilt für politische Instanzen übrigens genauso wie für Unternehmen, Verbände und andere Institutionen.
Kommt ein Politiker also heute noch um soziale Medien herum?
Nein. Natürlich sollte sein Auftritt authentisch sein. Es bringt nichts, jemanden in soziale Netzwerke einzuspeisen, von dem man weiß, dass er auf Laptop, E-Mail und Handy verzichtet. Aber Social Media zählt dennoch als Kommunikationskanal dazu. Soziale Netzwerke sind für die politische Kommunikation zum Standard geworden.