Wenige Monate vor Beginn des Kulturhauptstadtjahrs im benachbarten Rijeka hat ein kleines Literaturfestival im kroatischen Opatija Premiere gefeiert. Es knüpft an die Tradition des Ortes als Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle aus ganz Europa an.
Schummriges Licht in der Lobby des Hotels „Miramar" in Opatija. Stuhlreihen und ein kleines Podium sind im Saal aufgebaut worden, ein Tisch, eine Leselampe, ein paar Blumen. Daneben steht Ben Rakidzija, ein schlaksig wirkender Enddreißiger, der für jede und für jeden ein paar freundliche Worte und ein Lächeln hat. Der jetzt aber auch ein bisschen nervös ist, schließlich hat er auf diesen Moment fast zwei Jahre hingeplant. Ein paar Minuten später – und der offizielle Part ist vorbei, das Festival „Lit.EU" in seine erste Ausgabe gestartet. Auf der kleinen Bühne sitzt mittlerweile Volker Hage, jahrzehntelang Literaturkritiker für die „FAZ", die „Zeit", den „Spiegel". Und selbst Autor einer ganzen Reihe von Romanen und Biografien. Aus dem „jüngsten" Band, den „Schriftstellerporträts" liest er nun vor mehreren Dutzend Literaturfans und Hotelgästen.
Für Literaturfans und Zufallsgäste
Der Auftakt zu einem dreitägigen kompakten Programm mit Lesungen und Literaturspaziergängen durch Opatija aber auch mit Programmpunkten, die auf den ersten Blick so gar nichts mit Literatur zu tun zu haben scheinen. So heißt es morgens „Yoga für Literaten" – und das kommt nicht von ungefähr. Ben Rakidzija nämlich ist nicht nur Organisator des kleinen Festivals und selbst Autor, sondern auch Yoga-Lehrer. Acht Monate im Jahr ist er unterwegs, mal in der Schweiz und in Italien, dann wieder in Österreich, Slowenien oder Montenegro. So hat er auch Opatija, das Hotel „Miramar" und dessen Direktorin Martina Riedl kennengelernt. Und ihr irgendwann vorgeschlagen, ein kleines Festival zum Thema Literatur zu organisieren – eine Idee, die Martina Riedl spannend fand.
Ben Rakidzija versuchte eine Auswahl von Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland und Kroatien für das Projekt zu begeistern. Konnte schließlich neben Volker Hage auch Adriana Altaras, Franzobel, Marie Gamillscheg und Egyd Gstättner gewinnen, die allesamt dazu bereit waren, für Kost und Logis zu lesen, mitzudiskutieren, Teil des neuen Festivals zu sein.
Konzentriert lauscht das Publikum dem Vortrag Volker Hages, eine lebhafte Diskussion entspinnt sich im Anschluss. Und bei Wein und Schnaps von lokalen Brennereien nutzen viele die Möglichkeit, mit dem Autor direkt ins Gespräch zu kommen. Das ist im besten Sinne Literatur zum Anfassen.
Treffpunkt für Künstler und Prominente
In der Nacht hat der Sturm nachgelassen, doch das Wetter scheint unentschlossen, dicke Wolken kleben am Himmel. Folgerichtig hat Barbara einen großen Regenschirm dabei, als sie zum Treffpunkt für den Literaturspaziergang durch Opatija kommt. Die rotblond gelockte Frau bietet Touren durch ihren Heimatort an, auf den Spuren all jener Berühmtheiten, die hier im Laufe der letzten 150 Jahre Station gemacht haben. Zum Urlauben, um sich von einem Lungenleiden auszukurieren, oder um schreiben zu können. Von Vladimir Nabokov, der im damaligen „Miramar" nächtigte, bis hin zur Tänzerin Isadora Duncan, die mit ihrem Mann Sergei Jessenin in der Villa Amalia am Lungomare logierte. Aus ganz Europa seien Literaten, Künstler, Wissenschaftler nach Opatija gekommen, nicht nur, aber auch wegen des milden Klimas im Winter. Teile der vornehmen Wiener Gesellschaft verbrachten hier ganze Monate, ließen sich stattliche Häuser mit großzügig angelegten Gärten bauen. Anwesen, die – schick saniert – wie kleine Schlösser anmuten. Mit Türmchen, Erkern, geschwungenen Balkonen. Mit Palmen, Zypressen, Trompetenbäumen in den parkähnlichen Gärten. In denen manches blüht, was ursprünglich aus anderen Breitengraden stammt. Barbara lotst ihre Gäste in den Park Angiolina zu der „Wall of Fame". Eine lange Betonmauer ist hier von Schulklassen mit Porträts prominenter Kroaten und berühmter Gäste gestaltet worden. Da finden sich unter anderem Gustav Mahler und James Joyce aber auch der Wissenschaftler Andrija Mohorovičić, der als Begründer der modernen Geophysik gilt.
Zurück zum Literaturfestival, Adriana Altaras sitzt auf dem Podium. Die in Zagreb geborene Autorin und Regisseurin lebt seit 1967 in Deutschland. Greift in ihren Erzählungen und Romanen unter anderem die Frage nach dem Umgang mit der Vergangenheit, dem Trauma des Holocausts auf. Und liest heute aus der „Jüdischen Souffleuse". Das Publikum geht mit – lacht an den richtigen Stellen, wird still, wenn Adrianas komisch-tragische Protagonistin, die Souffleuse, ins Spiel kommt.
Zeit für Ben Rakidzija, eine vorsichtige Bilanz zu ziehen. Mit der Premiere des Festivals „Lit.EU" sei er mehr als zufrieden. Die Planung der nächsten Runde läuft, voraussichtlich dabei: Ilija Trojanow, Denis Scheck und weitere Autoren aus mehreren europäischen Ländern. Passt doch bestens zum Programm des Kulturhauptstadtjahrs „Rijeka 2020".