Medizinische Fachangestellte sind bundesweit zunehmend rar. Das erschwert den Normalbetrieb in einigen Arztpraxen enorm. Konkurrenz, Stress und schlechte Bezahlung sind Auslöser für das Problem.
Termin ausmachen, Rezept abholen, Blutabnahme oder zum Röntgen? Medizinische Fachangestellte oder kurz MFA sind aus dem Alltag in Praxen nicht wegzudenken – aber sie werden zunehmend rar. Dabei sind sie Dreh- und Angelpunkt jedweder medizinischen Versorgung und der Dokumentationen in den Praxen: Ob elektronische Karteiführung, Überweisungen ausstellen, das Kommunizieren mit den Krankenkassen, die MFA sind für die reibungslose Verwaltung zuständig. Aber auch Tätigkeiten wie Blutabnahmen, Assistenz bei der Wundversorgung und Funktionsdiagnostik, zum Beispiel der Lungenfunktion, gehören zu ihrem täglich Brot. Kurzum, ohne diese Angestellten gelingt die medizinische Grundversorgung nicht.
Leider fehlt es an Bewerbern und Nachwuchs bei den niedergelassenen Ärzten. Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbunds, des Verbands der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, formulierte es im Rahmen der Bundeshauptversammlung seiner Organisation so: „Weil aber die Funktionsfähigkeit der gesamten Praxis auf dem Spiel steht, können wir uns lange Vakanzen gar nicht erlauben. Wir sind gezwungen, freiwerdende Stellen schnell neu zu besetzen. Schließlich ist ein Arzt allein noch keine Praxis."
Lieber Krankenhaus statt kleine Praxis
Aber woher kommt der Mangel? Unter anderem durch die Konkurrenz: Viele Beschäftigte in diesem Sektor suchen vor allem eine Anstellung in einer Großpraxis oder in einem Krankenhaus statt in einer kleinen Praxis, sagen Experten. Durch die Corona-Pandemie wurden zusätzlich viele Kräfte durch die Impfzentren abgeworben. Ein wesentlicher Faktor dafür ist die Bezahlung: Bei niedergelassenen Ärzten verdienen die medizinischen Fachangestellten am wenigsten. Das liegt unter anderem an der unterschiedlichen Bezahlung von ambulanten und stationären Leistungen und bevorteilt stark die Krankenhäuser. Diese können durch ihr Plus an Einnahmen auch mehr Lohn zahlen. Im Schnitt erhöhte sich zwischen 2016 und 2020 der Preis pro Leistung in Krankenhäusern um 15 Prozent, bei Vertragsarztpraxen waren es im selben Zeitraum nur sieben Prozent. Dr. Dominik von Stillfried, Vorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung der Bundesrepublik Deutschland (ZI) zu dieser Diskrepanz: „Somit ist es kein Wunder, dass es Krankenhäusern leichter fällt, höhere Tarifgehälter etwa für Medizinische Fachangestellte zu zahlen. Deshalb darf sich die Politik nicht nur um die Personalknappheit in den Kliniken kümmern, sondern muss jetzt endlich dazu beitragen, Abwanderung aus den Praxen zu stoppen. Wird nicht zugunsten der Vertragsarztpraxen nachgesteuert und die Vergütungsschere zwischen Klinik und Praxis geschlossen, drohen auch für Patientinnen und Patienten spürbare Engpässe in den Praxen, die jährlich mehr als 90 Prozent der gesetzlich Versicherten behandeln."
Ein anderer Grund für den Mangel sind die hohe Arbeitsbelastung und der damit einhergehende Stress der medizinischen Fachangestellten. So wechselt ein nicht unwesentlicher Teil nach einer gewissen Zeit in einen anderen Beruf, wie das ZI herausgefunden hat. In einer Studie mit mehr als 5000 teilnehmenden Praxen stellte sich heraus, dass 20 Prozent der MFA nach ihrer Ausbildung in einen anderen Beruf wechseln. Hinzu kommen acht Prozent, die im Anschluss ihrer Ausbildung aus dem Erwerbsleben aussteigen. Die Absprungrate zu Krankenhäusern und Medizinischen Versorgungszentren beträgt zusätzlich noch mal 24 Prozent.
Die Suche nach neuem Personal gestaltet sich für die Arztpraxen dadurch mehr als schwierig: Selbst nach mehreren Jobanzeigen bleiben oft Bewerber aus, so die Studie. Meldeten sich Personen auf die Anzeige, waren sie in vielen Fällen für die stetig steigenden Anforderungen in dem Bereich nicht ausreichend qualifiziert. Keine Schwierigkeiten bei der Suche nach neuem Personal in den letzten zwei Jahren hatten der Studie zufolge nur 16 Prozent der befragten Arztpraxen.
Das bleibt nicht folgenlos. Eine direkte Auswirkung ist schon sichtbar geworden und könnte sich weiter verstetigen, wenn nicht nach neuen Ansätzen gesucht wird. So berichtet die Kassenärztliche Vereinigung Saarland, KV Saarland, dass einige Praxen ihre Sprechzeiten verringern mussten, da ihnen schlicht das Personal fehlt. Außerdem haben sich diverse Ärzte bei der KV Saarland gemeldet, die einfach keine neuen MFA für ihre Betriebe finden können. Um eine Lösung für das Problem anzubieten, hat die Vereinigung Anfang Oktober eine eigene MFA-Stellenbörse ins Leben gerufen. Dort können niedergelassene Ärzte offene Jobangebote für die Fachangestellten und Ausbildungsplätze inserieren. Über das ganze Saarland verteilt finden sich hier schon über 100 Stellen für Interessierte. Kombiniert mit dem Beratungsangebot für MFA erhofft sich die KV Saarland so ihren Teil für eine sichergestellte Gesundheitsversorgung vor Ort beizutragen.
Ein weiter Weg, den mittlerweile viele Arztpraxen einschlagen, ist die Aus- und Weiterbildung von Kräften. 26 Prozent der befragten Ärzte in der Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung gaben an, dass sie auf den Fachkräftemangel mit einem Ausbau ihrer Ausbildungstätigkeit antworten würden. Gleichzeitig gaben aber auch elf Prozent an, den Ausbildungsbereich reduzieren zu müssen. Kritisch bemerkt jedoch Hannelore König, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe, zu den Ergebnissen der ZI-Studie an, dass Azubis nicht als vollwertiger Ersatz von Fachkräften gesehen werden dürften.
Bessere Aus- und Weiterbildung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die aktuellen Engpässe bei den medizinischen Fachkräften für die niedergelassenen Ärzte besorgniserregend sind. Neue Ausbildungsmöglichkeiten und Jobportale könnten zwar dabei helfen, das Problem etwas beherrschbarer zu machen, aber auch die Regierung ist gefordert. Sie muss dringend handeln, um das Berufsbild aufzuwerten und die Ungleichheit zwischen Kliniken und Praxen beim Anwerben von MFA zu verringern. Die Kassenärztliche Vereinigung Saarland konnte in Gesprächen mit Fachangestellten immer wieder feststellen, dass es den Fachkräften auch an Wertschätzung seitens der Öffentlichkeit mangelt: Eine klarere Tarifstruktur könnte da ein Faktor sein, um die Bedeutung der Tätigkeit zu unterstreichen. Gerade in der Corona-Krise habe sich gezeigt, wie wichtig ein funktionierendes ambulantes Gesundheitssystem ist: 19 von 20 Covid-Patienten wurden laut dem Virchowbund in Praxen versorgt. Sollte aber nichts passieren, dann „gehen in den Praxen irgendwann die Lichter aus und die unmittelbare, wohnortnahe Versorgung ist am Ende", so Dr. Heinrich. Soweit sollte es auf keinen Fall kommen.