Der KSV Köllerbach steht überraschend im Finale um die deutsche Ringermeisterschaft – gegen einen eher unbekannten Gegner: Wacker Burghausen.
Wer hat sie nicht schon gehört, diese emotionslose Ansage aus dem Navigationsgerät vieler Fahrzeuge? „Sie haben Ihr Ziel erreicht." Nahezu Unvorstellbar, welch ganz andere emotionale Dimension das Erreichen des großen Saisonziels für Sportler und Verantwortliche des KSV Köllerbach haben muss. Nach der derben 11:20-Klatsche im Halbfinal-Hinkampf um die deutsche Ringer-Mannschaftsmeisterschaft schaffte das Team aus dem Köllertal vergangenen Samstag ein kleines Sportwunder. Mit 17:7 wurde der bärenstarke TuS Adelhausen bezwungen, über 1.000 Zuschauer machten den Püttlinger Trimmtreff zum Tollhaus und feierten den Finaleinzug bis tief in die Nacht. „Jeder wusste, dass wir mit unserem fantastischen Publikum im Rücken eine Chance haben. Aber wir wussten auch, wie schwer es sein wird", berichtete Thomas Geid, der Mannschaftsverantwortliche des KSV. Der Mann ist als Polizeibeamter einiges gewöhnt. Am Samstag kämpfte er mit den Freudentränen. Vergeblich. Sympathisch. „Jeder hat für jeden und um jeden Punkt gekämpft. Nur so sind solche Ergebnisse möglich." Ein Ergebnis, das die Gäste aus Südbaden in tiefe Depressionen stürzte. „Es wird sehr lange dauern, bis die Freude über eine gute Saison den Ärger über die vergebene Chance ins Finale zu kommen, verdrängt hat", sagte TuS-Trainer Florian Philipp, „Köllerbach hat einen deutlichen Rückstand aufgeholt und darum am Ende verdient gewonnen."
Glück und Pech konnten bei den beiden Halbfinalkämpfen kaum unterschiedlicher verteilt sein. Waren es im Hinkampf die Saarländer, die nach der Papierform klare Kämpfe abgeben mussten, wendete sich das Blatt im Rückkampf auch in dieser Hinsicht. In Adelhausen verlor beispielsweise Köllerbachs Deutscher Einzelmeister Viktor Lyzen gegen Marcel Ewald (57 Kilo Freistil), Heiki Nabi (130 Kilo Greco) hatte wegen einer Knieverletzung dann keine Chance gegen Christian John. Am deutlichsten manifestierte sich der Unterschied aber bei Andrij Shyyka. In Adelhausen wurde der Köllerbacher Kapitän von Akhmed Shakaev förmlich auf der Matte ausgeklopft. Eine Demütigung für den Routinier, die er mit dem entscheidenden Sieg im Rückkampf beantwortete. Nach vier Minuten hatte Shyyka seinen Gegner Stephan Brunner technisch überlegen niedergerungen, vier entscheidende Punkte für den KSV sichergestellt. „Vom Verlierer zum Helden ist es oft nur ein kleiner Schritt", sagte Shyyka, nachdem ihn die Fans nach mehreren Ehrenrunden von ihren Schultern zurück auf den Boden ließen, „in Adelhausen hatte ich die falsche Taktik gewählt. Ich dachte, ich sei noch jünger. Shakaev war aber einfach zu schnell für mich."
Schnell die Taktik ändern, um damit auf die Siegerstraße zu kommen, war dann auch das Motto nach der Pleite. Teamchef Geid hatte noch in Adelhausen die letztlich wohl kampfentscheidende Idee. Statt der ausländischen Spezialisten Melonin Nouminvi oder Victor Lörenc stellte Geid den deutschen Freistilringer Gennadij Cudinovic in der Klasse bis 98 Kilo griechisch-römisch gegen den starken Schweden Zakarias Berg auf. Die Folge: Mihail Sava, Laszlo Szabo, Istvan Vereb und Oleksander Khotsianivski besetzten die vier möglichen Ausländerplätze und sorgten in ihren Gewichtsklassen für wichtige und klare Siege. Und Cudinovic? Der ärgerte stilfremd seinen Gegner, verlor ganz knapp mit 2:3. Ich musste ihn erst davon überzeugen, dass es eine gute Idee ist", erzählte Köllerbachs zweiter Kapitän Timo Badusch. Die „Rakete" Badusch und „Genna" hatten in Adelhausen noch einen Nachtspaziergang gemacht, weshalb die beiden beinahe die Abfahrt nach Hause verpasst hätten. Spätestens mit dem Sieg war aber auch das Grummeln der Mitfahrer Geschichte.
„Wir hoffen auf ein großes Fest"
Eine eigene Geschichte hat auch Baduschs Kampf gegen den früheren Köllerbacher Kapitän Konstantin „Costa" Schneider, der nun für Adelhausen antritt. Beide trainieren an der Landessportschule in Saarbrücken oft miteinander, kennen sich gut. „Wie die eigene Frau", scherzte Badusch, der im Duell Jung gegen Alt die Oberhand behielt. „Die letzten beiden Wochen sind wir uns im Training aus dem Weg gegangen." Der 42-jährige Schneider will noch eine Saison dranhängen. Ob in Adelhausen, ist noch offen: „Wir haben noch nicht gesprochen." Mit Marcel Ewald verlieren der TuS und das deutsche Ringen einen seiner bekanntesten und erfolgreichsten Aktiven. „Jetzt habe ich die Schuhe ausgezogen", sagte Ewald, traurig, dass es zum Abschied nicht doch noch einen Finaleinzug für ihn gegeben hat: „Ich hätte mir einen anderen Abschied gewünscht." Der 34-Jährige war unter anderem Ringer des Jahres 2010 und wird sich künftig um die Nachwuchsarbeit im Deutschen Ringerbund kümmern.
Ein Beleg für die erfolgreiche Jugendarbeit im Saarland ist Etienne Kinsinger. Was der Junioren-Vize-Weltmeister von 2016 im Rückkampf gegen den Bulgaren Ivo Angelov zeigte, beschrieb der saarländische Landestrainer Frank Hartmann mit einem Wort: „Weltklasse." Im Standkampf war Kinsinger der aktivere Ringer, in der Bodenlage gegen den flexiblen Angelov immer Herr der Situation. „Es war sehr anstrengend", sagte Kinsinger nach sechs Minuten Volldampf-Ringen. „Wir haben ihn analysiert. Er kommt immer über den rechten Arm und die Armklammer. Ich musste selbst den Kampf bestimmen, weil Angelov am Boden einfach sehr sehr stark ist."
Nach dem Drama im Halbfinale will der KSV nun auch den letzten Schritt des Weges gehen. Gegner im Finale wird Wacker Burghausen. Die Südostbayern haben gegen den großen Titelfavoriten ASV Mainz ein ähnliches, vielleicht sogar größeres Wunder vollbracht als die Saarländer. Nach einer 10:14-Pleite in eigener Halle drehte Wacker in Mainz mächtig auf – das 18:11 sollte für den KSV Warnung genug sein, den Gegner nicht zu unterschätzen. „Ganz ehrlich: Wir haben die gesamte Saison doch mehr auf Mainz geachtet", gestand Köllerbachs Trainer Hüseyin Dincay. „Wir werden Burghausen jetzt genau analysieren."
Ein Vorteil könnte sein, dass man zunächst in Bayern antreten muss. Der Rückkampf findet dann am Samstag, 27. Januar, in der Hermann-Neuberger-Halle in Völklingen statt. „Wir hatten die Halle vorsichtshalber ja schon geblockt", erzählte Köllerbachs Vorsitzender Hilmar Rehlinger. „Die Vorbereitungen laufen. Wir hoffen auf ein großes Fest für den Ringsport." Vor der Saison sprach die Köllerbacher Vereinsführung vom Erreichen des Halbfinals als Saisonziel. Sie haben ihr Ziel erreicht. Doch sie haben gleich ein neues eingegeben. Jetzt soll auch der Titel her. Nächste Ausfahrt Burghausen.