Großbritannien scheidet aus. Wann und wie, weiß bislang keiner. Der ohnehin schon alpine Fragenberg wird von Tag zu Tag größer: Was passiert mit der irisch-nordirischen Grenze? Müssen die Briten noch bei den Europawahlen antreten? Und kommt die EU der Insel in letzter Minute entgegen? Die politische Scheidung verursacht heftige Verwerfungen beiderseits des Kanals.
Immerhin eine. Die Queen hat angeblich schon einen Plan, wie sie Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Brexit ihres Königreiches aus dem Weg geht. Pläne aus dem Kalten Krieg wurden wieder hervorgekramt, um die königliche Familie zu evakuieren, sollten auf das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union zivile Unruhen in London folgen. Das berichten mehrere englische Zeitungen übereinstimmend. Konservative Abgeordnete halten das für Panikmache. Ein bisschen Panik aber ist mittlerweile angesagt, vor allem in der Wirtschaft. In einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer erwarten 70 Prozent der deutschen Betriebe, die sich auf der Insel engagieren, im kommenden Jahr eine Verschlechterung der Bedingungen. Etliche Unternehmen holen die Notfallpläne für einen „No Deal" aus den Schubladen oder verlassen die Insel gleich, Zollagenturen haben Hochkonjunktur.
Noch aber ist nichts entschieden – nicht mal das britische Parlament kann sich entscheiden. Ende Januar hat Königin Elizabeth II. zu mehr Respekt aufgerufen. Britische Medien interpretierten das als seltenen Eingriff des Staatsoberhauptes in den Brexit-Streit. Normalerweise kommentiert die Queen keine politischen Ereignisse. In ihrer Rede im Sandringham-Frauen-Institut rief die 92-Jährige ausdrücklich dazu auf, unterschiedliche Standpunkte zu achten. Jede Generation stehe vor neuen Herausforderungen und Möglichkeiten, sagte sie. „Wenn wir in der heutigen Zeit nach neuen Antworten suchen, bevorzuge ich die bewährten Rezepte wie: gut übereinander sprechen, verschiedene Sichtweisen respektieren, zusammenkommen, um Gemeinsamkeiten zu erkunden und niemals das große Bild aus den Augen verlieren." Diese Ansätze seien „zeitlos, und ich empfehle sie allen".
Die Union wird ungeduldig
Gemeinsamkeiten erkunden scheint aber innerbritisch derzeit nicht zu klappen. Streitpunkt: der Backstop an der irisch-nordirischen Grenze, nach dem Austritt die einzige Land-Grenze zwischen der EU und Großbritannien. Diese Notfallregel im Austrittsabkommen zwischen London und Brüssel soll garantieren, dass es nach dem Brexit keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland gibt. Demnach bleibt das ganze Königreich zunächst in der Zollunion und Nordirland in Teilen des Binnenmarkts, bis London und Brüssel eine bessere Lösung finden. Brexit-Hardliner fordern ein einseitiges Kündigungsrecht und verweigern solange die Zustimmung zum ausgehandelten Vertrag.
Regierungschefin Theresa May und Oppositionsführer Jeremy Corbyn versuchen mit der mittlerweile reichlich ungeduldigen EU-Kommission neue Ansatzpunkte zu finden. Beiden Parteien kämpfen damit, dass Abgeordnete sie aus Protest über die eine oder andere Brexit-Option verlassen. Labour-Chef Corbyn will daher der eigenen gespaltenen Partei mit einer wenig sensationellen neuen Idee entgegenkommen: ein zweites Referendum soll her. Nun geht die Europäische Union einen kleinen Schritt auf Großbritannien zu. Ratspräsident Donald Tusk denkt laut darüber nach, den Brexit etwas zu verschieben, sollte Großbritannien darum bitten. Denn was passiert, wenn die Insel zum Termin der Europawahlen Ende Mai immer noch in der EU ist? Dann müssen sie laut Vertrag wählen, denn wenn sie es nicht tun, verletzten sie die staatsbürgerlichen Rechte. Das sagt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Und auch wenn Jean-Claude Juncker dies für einen „Treppenwitz der Geschichte" halten würde: Eine Europawahl, an der Großbritannien trotz Trennungsschmerzen teilnimmt, wäre für überzeugte Europäer das letzte politische Symbol, dass Großbritannien auch in Zukunft ein Teil der europäischen Idee bleiben wird.