Die saarländischen Ringer sind an den Schulen präsent und vermitteln Grundtechniken ihrer Sportart. Dabei geht es in erster Linie nicht einmal um Nachwuchsförderung.
Raufen, rangeln, ringen – dieses sogenannte Bewegungsfeld ist fester Bestandteil des Lehrplans an saarländischen Schulen. Die Umsetzung findet aber nicht allerorts statt. „Leider", findet Paul Schneider, „denn Kinder sollen Erfolge, aber auch Niederlagen erleben. Sie wollen und sollen Wagnisse eingehen, lernen, Verantwortung zu übernehmen. Sie müssen ihre Grenzen kennenlernen, ihre Kräfte messen. Dabei kann der Sport allgemein und dieses Bewegungsfeld insbesondere einen wichtigen Beitrag leisten."
Schneider weiß, wovon er redet. Der 68-jährige pensionierte Pädagoge war über zehn Jahre Leiter der Modellschule Sport an der Grundschule Köllerbach, hat als Mitglied der Lehrplankonferenz seinen Anteil daran, dass „raufen, rangeln, ringen" Teil des Lehr- und Lernkonzeptes wurde und ist seit über 20 Jahren in der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern tätig. Als Sportler war Schneider mehrfacher Deutscher Meister im Ringen in beiden Stilarten, begann bereits im Alter von 21 Jahren seine Trainertätigkeit beim KSV Köllerbach, wo er von 1972 bis 1995 die sportliche Verantwortung trug.
„Anders als in anderen Zweikampfsportarten ist es beim Ringen eben nicht das Ziel, den Gegner kampfunfähig zu machen. Man trägt auch eine Verantwortung für die Gesundheit des Partners auf der Matte. Das ist eine wichtige Grundlage all meiner Schulungen", erklärt Schneider. Die beginnen mit einfachen Spielen zum Gewöhnen an den Körperkontakt. „Wichtig ist die individuelle Wahrnehmung des Körpers. Wir wollen auch die Körperbeherrschung und das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten ausbauen." Das Kräftemessen mit und ohne Geräte, kleine Kampfspiele um Objekte oder Räume führen spielerisch zu ersten technischen Aufgabenstellungen im Zweikampf. „Es geht auch darum, gemeinsam Regeln zu erarbeiten und zu respektieren. Wenn der Partner ‚Stopp‘ sagt, muss auch wirklich unterbrochen werden." Verschiedene Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigen, dass Zweikampfsportarten ein deutliche geringeres Verletzungsrisiko bergen als beispielsweise die Ballsportarten Fuß-, Hand- oder sogar Volleyball und dass Ringen in dieser Statistik sogar noch besser abschneidet.
„Viele Kinder können keine Rolle vorwärts mehr"
In seinen Fortbildungen weist Schneider auch immer auf die verschiedenen Kompetenzen hin, die Schülerinnen und Schüler im Bewegungsfeld erlernen sollen. So ist das gemeinsame Erarbeiten von Regeln und eines Verhaltenskodex‘ bereits in Klasse fünf eine sogenannte Methodenkompetenz, das Einhalten dieser eine Sachkompetenz. Im breiten Spektrum der Lehrerfortbildungen gehören Schneiders Veranstaltungen zu den am besten besuchten.
Während die Angebote Paul Schneiders sich vor allem an Pädagoginnen und Pädagogen richten, geht es der Landessportverband für das Saarland (LSVS) gemeinsam mit dem Saarländischen Ringerverband (SRV) von der anderen Seite an. Daniel Piro geht an die Schulen und arbeitet dort direkt mit Klassen in ganz unterschiedlichen Projekten. „An manchen Schulen halte ich Einheiten, die komplett in den Sportunterricht integriert sind. Bei anderen sind es intensive Kurse beispielsweise während einer Projektwoche, oder es sind Arbeitsgemeinschaften, die sich über ein ganzes Jahr erstrecken", erklärt der 21-jährige Student, der in der Bundesliga für den KV Riegelsberg antritt. Piros Einstieg ins „raufen, rangeln, ringen" kam 2018 zustande, als er ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte. Auch er orientiert sich in seiner Arbeit am Lehrplan und den Anregungen des Kollegen Schneider. „Man kann nicht hingehen und sagen, jetzt ringen wir mal. Viele Kinder haben heute schon Probleme mit einer Rolle vorwärts", erzählt Piro von seinen Erlebnissen im Schulalltag, „es gibt auch Probleme mit der Einhaltung von Regeln und Disziplin. Manche Kinder scheuen sogar den Körperkontakt mit anderen."
Die spielerische Herangehensweise ist erfolgreich. „Ich hatte eine Schülerin, die ich in einigen Gesprächen erst überzeugen musste, sich auf das Ringen einzulassen. Nach anfänglichem Zögern kam die Begeisterung, sie lernte ganz schnell verschiedene Techniken, schaffte es, sich durchzusetzen." Der Erfolg des Projektes zeigt sich auch in der deutlich gestiegenen Teilnehmerzahl bei den saarländischen Schulmeisterschaften und in den Erfolgen auf Bundesebene. So konnten beispielsweise die von Piro unterstützten Schulen in Merchweiler und Riegelsberg in verschiedenen Alterklassen deutsche Meistertitel buchstäblich erringen. „Natürlich ist es auch in unserem Interesse, Talente zu erkennen und in Kooperation mit den ortsansässigen Vereinen zu fördern. Darum arbeiten wir in der Regel auch mit den Trainern der Vereine zusammen. Damit wird die Jugendarbeit der Clubs ja auch unterstützt", sagt Piro, „aber es ist nicht unser Anspruch, Olympiakandidaten, Weltmeister oder Bundesliga-Ringer von morgen zu finden. Wir möchten zunächst Anreize liefern, Sport zu treiben. Wir wollen auch die Werte des Sports vermitteln und zeigen, wie viel Spaß es macht, sich zu bewegen und wie spannend es ist, seine eigenen Grenzen kennenzulernen."
Dass man damit gleichzeitig Werbung für einen Randsport macht, der noch immer olympische Disziplin ist, wird dabei natürlich gerne in Kauf genommen. Doch es klingt glaubhaft, wenn die Verantwortlichen von gesamtgesellschaftlich noch höheren Zielen sprechen. „Sport wird in unserem immer bewegungsärmeren Lebensumfeld immer wichtiger", sagt Schneider, „wir können in der Schule die Grundlage für lebenslanges Sporttreiben legen. Darum gefällt mir der Vorschlag der Landeselternvertretung der Gymnasien. Die haben kürzlich angeregt, künftig an allen Schulen vier Sportstunden in der Woche anzubieten."
Was kontrovers diskutiert wird, hätte durchaus Vorteile: Dann wäre auch mehr Zeit für „raufen, rangeln, ringen".