Konventionelle Landwirte sollen ökologischer arbeiten, so jedenfalls der Plan der Europäischen Union. Ökolandwirt Stefan Zenner plädiert für neue Produktstandards, Alexander Welsch vom Bauernverband wünscht sich mehr Planungssicherheit.
Trotz Sonne ist es kalt an diesem Morgen auf dem Marienhof. Nebel wabert im Tal und auf den Ackerflächen rings um den Bioland-Bauernhof von Stefan Zenner. Drinnen im Stall beobachten ihn 300 Kühe, Kälber und Bullen, wie er mit weit ausgreifenden Schritten durch die lange Halle marschiert. Ein kurzer Kontrollblick in die Milchstation für die Kälber – alles in Ordnung.
Mit dem Ökolandbau begann Zenner 1992, acht Jahre, nachdem er den konventionell bewirtschafteten Hof von seinem Vater übernommen hatte. Jetzt ist der Hof deutlich größer: knapp 200 Hektar Acker- und Grünlandfläche, Zenner melkt nun jeden Morgen 95 Milchkühe, verkauft das Fleisch von Bullen, Kälbern und 50 Mastschweinen, Vollkornbrot aus dem Getreide sowie Apfelsaft und Konfitüre aus den Früchten, die rings um den Hof wachsen. Bioland, der Anbauverband, dem Zenner angehört, und Höfe aus der Umgebung versorgen den kleinen Hofladen zweimal pro Woche mit Gemüse, Eiern, Kartoffeln oder Geflügelfleisch, samstags geht es auf den Bauernmarkt.
Zenner melkt von Hand im Melkstand, denn der Hof besitzt keine robotische Melkanlage. Seine Kühe geben jeweils etwa 7.500 Liter Milch pro Jahr, 2.000 Liter weniger als die Züchtungen auf konventionellen Höfen. Der Milchpreis ist, schon fast konstant seit Jahren, viel zu gering. Für den Liter Biomilch erhält er 51 Cent, er müsste aber, um alle Kosten inklusive Lohnansatz zu decken, bei 60 Cent liegen. Zenner muss also querfinanzieren – und seine Milch in Bayern weiterverarbeiten lassen, denn in der Region gibt es keinen Milchhof, der Biomilch verarbeitet.
„Die Handelspreise für Bioprodukte sind generell noch zu niedrig", findet Zenner. Im Vergleich zu konventionellem Fleisch aus dem Supermarkt beispielsweise müssen die Kunden zwar sehr tief in die Tasche greifen. Das aber liegt nur zum Teil an den höheren Erzeugerkosten, die Zenner hat, weil die Tiere mehr Platz, teureres Futter und mehr Zeit bis zum Schlachten benötigen. Es liegt auch an dem Standortvorteil der industriellen Mastbetriebe, die umweltschädigende Folgekosten ihrer ertragreicheren Produktion durch Mineraldünger, nitrathaltige Abwässer oder Energieverbrauch nicht selbst tragen müssen, sondern dem Steuerzahler überlassen.
Geht es nach Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, müssten Lebensmittelpreise höher sein. Dazu führen sollen höhere Vorgaben für die Produktion, mehr Tier- und Pflanzenschutz, auch das lange versprochene Tierwohllabel. Dabei steigen die Preise bereits, und zwar um 4,5 Prozent im vergangenen Jahr. „Bio" aber kann nicht zum neuen Normal werden, da die Nachfrage zum Beispiel nach Fleisch in Deutschland weiter zu hoch ist, als dass die derzeitigen Produktionskapazitäten der Biobetriebe hier mithalten könnten. „Auch Geringverdiener können den Preis nicht immer stemmen", so Zenner. Dass Biobetriebe dennoch gut verdienen, liegt weniger am Markt als an höheren Subventionen, die sie beispielsweise aus Brüssel kassieren. Die niedrigen Preise anderer Anbieter aber liegen auch an der Marktmacht der Nachfrager, den Supermarktketten. Aldi, Edeka, Lidl und Rewe beherrschen einen Großteil des deutschen Marktes und können somit den Produzenten die Einkaufspreise diktieren.
„Es müsste etwas zwischen Weltmarkt, also Quantität der Produkte, und Bio, also Qualität geben", meint Zenner – mehrere Produktionsstandards mit mehreren Preisstufen, eine Lebensmittelproduktion, in der nicht weggeworfen, sondern weiter- und wiederverarbeitet wird, eben eine Kreislaufwirtschaft.
Trend zu Bio, aber der Markt ist noch viel zu klein
Zenner nutzt die traditionellen Fruchtfolgen, um seine Böden nicht auszulaugen: Weizen, Dinkel, Roggen, danach Futtergetreide und Kleegras, um die Tiere zu versorgen. Gedüngt wird nur mit „wirtschaftseigenem Dünger", also Gülle und Mist. Pflanzenschutz, ja, das sei okay, aber nicht durch Chemie, sondern durch gesündere Sorten, spätere Aussaaten, andere Bodenbearbeitung. Dass die Erträge dadurch geringer sind, nimmt er in Kauf. Zenner benötigt für den gleichen Ertrag mehr Fläche als ein konventioneller Betrieb, schafft aber eine höhere Biodiversität und damit einen positiven Effekt auf die Umwelt. Diese Effekte gleichen jedoch keineswegs einander aus, besagen Studien zum Beispiel des renommierten agrarwissenschaftlichen Thünen-Instituts in Braunschweig – noch sei der negativ zu bewertende Flächenverbrauch höher als der Nutzen durch größere Biodiversität.
Stefan Zenner hat keine Zukunftsängste, anders als viele andere Landwirte. Mehrere Standbeine wie Milch, Fleisch, Getreide, ein preisgekrönter Hofladen, Photovoltaikanlagen halten den Hof am Laufen und Angestellte wie einen Metzger in Lohn und Brot. Vergrößern will er sich jedoch nicht, denn er ist am Limit dessen, was er und seine Familie pro Tag leisten können.
Während es dem Marienhof recht gut geht, sehen mittelgroße konventionelle Betriebe schweren Zeiten entgegen. Neue Regelungen müssen gestemmt und bezahlt werden. Und im Saarland machen das nicht mehr alle mit. 1960 gab es noch 26.000, heute noch etwa 1.250 landwirtschaftliche Betriebe, nur 400 davon im Haupterwerb. In den vergangenen zehn Jahren haben circa 30 Prozent aufgegeben, sagt Alexander Welsch, Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes Saar. Vor Jahren noch habe man auf neues Land geschielt, um den eigenen Hof zu vergrößern. Mittlerweile sind viele Landwirte die Wachstumsspirale leid, „denn der Tag hat nur 24 Stunden", so Welsch. Viele warten mit ihren Investitionen lieber ab. Höhere Futtermittelpreise, ein vervierfachter Düngemittelpreis und die Tatsache, dass die bundesdeutsche Umsetzung der EU-Agrarpolitik (GAP) nach dem Regierungswechsel noch nicht klar ist, machen die Zukunft schwer kalkulierbar. Die gestiegenen Weizen- und Lebensmittelpreise gleichen die derzeit höheren Produktionskosten nicht aus, so Welsch. Höhere Lebensmittelpreise, wie von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gefordert, würde den Druck auf die Landwirte verringern, glaubt Welsch, „wenn es Mindestpreise im Einkauf gibt, die der Handel nicht unterschreiten darf".
Natürlich gebe es auch neue Betriebe, die „in der Größenordnung von fünf bis zehn Hektar mit der Landwirtschaft beginnen, doch dabei handelt es sich meist eher um Freizeitgestaltung ohne Produktmengen", so Welsch – Betriebe, die sich von den Flächensubventionen locken ließen, aber nicht rechnen müssten, weil sie nicht hauptsächlich mit der Produktion von Fleisch, Milch oder anderen Lebensmitteln verdienen.
Dann die Risiken des Wetters – 2018, 2019 und 2020 waren viel zu trocken, 2021 viel zu nass – und Unwägbarkeiten des Marktes. „Der Handel, der zwar künftig stärker auf das Tierwohl achten will, gibt dem Landwirt trotzdem keine Preis- und Abnahmegarantien." Dennoch machen sich konventionelle Betriebe auf den Weg hin zu einem ökologischeren Landbau, dazu treibt sie der Markt genauso wie die GAP. „Erhebliche Anteile der heimischen Produktion gehen wegen besserer Preise über Verarbeiter auf den Weltmarkt, während für den deutschen Verbraucherware aus dem Ausland verarbeitet wird, denn viele Verbraucher interessiert nach wie vor nur, was das Nahrungsmittel kostet, nicht woher es kommt. Am Weltmarkt ließe sich ein ausreichendes Einkommen erzielen, wenn in Deutschland zu den gleichen niedrigen Standards wie sie auf dem Weltmarkt herrschen, produziert werden dürfte", erklärt Welsch. „Aufgrund gesetzlicher Vorgaben und weil dennoch immer ein Teil in den deutschen Handel – mit höheren Standards – geht, muss der Betrieb zwangsläufig höhere Standards einhalten. Deshalb entwickeln sich Betriebe oder sie steigen aus." Auch die Öko-Betriebe entwickelten sich weiter, so Welsch, doch sei der konventionelle Landbau oftmals gleichauf bei den Themen Tierwohl und Nachhaltigkeit. Die Unterschiede zwischen konventionellen und Ökobetrieben sieht Welsch daher als gar nicht mehr so groß an – Raum für ein Produkt zwischen konventionell und ökologisch angebaut, wie Stefan Zenner es fordert, gäbe es, der Spielraum sei jedoch im Saarland zumindest nicht mehr so groß. Mitte Mai sollten die EU-Beschlüsse auf Bundes- und Landesebene geregelt sein, damit die Landwirte sich auf 2023 vorbereiten können. Noch besteht Diskussionsbedarf: Die aktuellen Konzepte für die künftigen Förderbedingungen befeuern den Ausstieg aus der Produktion regionaler Nahrungsmittel, so Welsch.
Das Heil der Landwirtschaft liegt nicht im Ökobetrieb allein, sagt Alexander Welsch. Dafür sei der Markt zu klein. „Der Trend zu Bio ist unverkennbar. Aber der Anteil ist noch zu gering – der Biomilchanteil beispielsweise am Markt liegt im Augenblick bei vier Prozent." Nicht jeder kauft Bioqualität. Deshalb bleibe Landwirtschaft „das letzte Abenteuer, das die Menschheit hat". Sicherheit bietet sie derzeit nicht.