Der Fall der Sportkletterin Elnaz Rekabi sorgt für viel Aufregung. Aus dem Iran unterstützen Sportler die Protestbewegung – und zahlen dafür oft einen hohen Preis.
lnaz Rekabi klettert schon fast ihr ganzes Leben. Erst auf Bäume, dann Wände entlang. Ihren ersten von insgesamt 69 internationalen Wettbewerben bestritt sie 2007 als 18-Jährige, inzwischen darf sie sich zur Recht die erste professionelle Sportkletterin aus dem Iran nennen. Und sie ist auch die erfolgreichste. Bei den Weltmeisterschaften vor einem Jahr in Moskau gewann Rekabi im alten olympischen Kombinationsformat aus Speed, Bouldern und Lead die Bronzemedaille. Es war der mit Abstand größte Erfolg ihrer Karriere, doch kaum jemand nahm damals Notiz davon. Heute kennen Millionen Menschen den Namen Elnaz Rekabi. Die Ereignisse bei den Asienmeisterschaften im südkoreanischen Seoul im vergangenen September haben das Leben der 33-Jährigen für immer verändert. Ob nun gewollt oder ungewollt: Die junge Frau wurde zur Symbolfigur für die seit Wochen andauernde Protestbewegung im Iran.
Millionen kennen ihren Namen
Was war geschehen? Rekabi startete im Lead-Finale ohne ein Kopftuch, das für iranische Sportlerinnen zwingend vorgeschrieben ist. Laut Kleidervorschrift der autokratischen Republik müssen Frauen auch im Ausland ihre Haare bedecken. Rekabis lange Mähne wurde von einem Zopf gebändigt, dazu trug sie ein Stirnband, als sie die Wände hochkletterte. Das Video von Rekabis Auftritt verbreitete sich im Internet rasend schnell, es wurde millionenfach geklickt und weitergeleitet. Medien weltweit werteten die Aktion der Athletin als Symbol der Unterstützung für die Reformbewegung im Iran, wo mutige Mädchen und Frauen das Kopftuch offen ablegen, teilweise sogar verbrennen. Als Protest gegen die Zwangsvorschriften für das Tragen, als Zeichen der Systemkritik, als Symbol der Auflehnung gegen den repressiven Kurs im islamischen Herrschaftssystem. Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden bereits Zehntausende Protestler verhaftet und mindestens 240 getötet. Auch die Sorge um Rekabi ist groß.
Nach Berichten der BBC sollen Familie und Freunde zwischenzeitlich den Kontakt zur Kletterin verloren haben und ihr Mobiltelefon und Pass vorübergehend eingezogen worden sein. Ihr Rückflug von Seoul nach Teheran wurde vorverlegt. Bei der Ankunft ergab sich ein skurriles Bild: Hunderte Menschen feierten sie nachts um halb Vier als Symbol für den Widerstand, „Elnaz ist eine Heldin“ wurde immer wieder gerufen. Doch für das Staatsfernsehen, das eilig Reporter zum Flughafen geschickt hatte, drückte Rekabi Worte des Bedauerns für ihr Verhalten aus. Sie sei „plötzlich und unerwartet zum Wettkampf aufgerufen“ worden, erklärte Rekabi. In der Umkleide sei sie noch damit beschäftigt gewesen, „meine Kletterschuhe anzuziehen und mein Equipment zusammenzupacken“. Und so habe sie schlichtweg vergessen, „mein Kopftuch zu tragen – was ich hätte tun sollen“, beschrieb sie. Diese Version war zuvor schon auf ihrem Instagram-Account nachzulesen gewesen. Doch Zweifel sind erlaubt.
Rekabi war bei ihren TV-Interviews umzingelt von Männern, die sich jedes Wort ganz genau anzuhören schienen. Sie selbst wirkte gestresst und gehetzt. Es ist bekannt, dass das Regime bei solchen Dingen nicht zimperlich reagiert und oft Druck auch auf die Familienmitglieder ausübt. Nach der Ankunft verschwand Rekabi für drei Tage, es kamen Spekulationen auf, sie stehe unter Hausarrest. Dann meldete sie sich auf Instagram erneut zu Wort. Und diesen Worten schenken die Iraner deutlich mehr Glauben als denen direkt nach der Ankunft. „Ich bedanke mich aufrichtig bei allen, die zum Flughafen kamen, um mich willkommen zu heißen, ich liebe euch“, schrieb Rekabi, die ihre Nachricht mit einer Botschaft beendete: „Me, the people, iran“ (Ich, die Menschen, der Iran).
Offen mit der Protestbewegung gegen das Mullah-Regime haben andere Sportler im Iran sympathisiert – und dafür einen zum Teil hohen Preis gezahlt. Der frühere Fußball-Bundesligaspieler Ali Daei musste zwischenzeitlich seinen Pass abgeben und soll laut eines Berichts der kurdischen Menschenrechtsorganisation Hengaw festgenommen worden sein. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht, aber sein Ex-Club Bayern München äußerte große Sorge. Man habe der deutschen Botschaft in Teheran „unsere Unterstützung angeboten“ und sei sich „der gegenwärtig sensiblen Lage bewusst“, teilte der Rekordmeister dem Magazin „Der Spiegel“ mit.
Verhaftungen der Sittenpolizei
Auch der Bundesliga-Profi Sardar Azmoun von Bayer Leverkusen solidarisierte sich mit der Kurdin Mahsa Amini, die im Alter von 22 Jahren in Polizeigewahrsam nach einer Verhaftung durch die Sittenpolizei gestorben und der Auslöser für die Protestwelle war. „Schämt euch alle, wie leichtfertig Menschen ermordet werden. Lang leben die iranischen Frauen“, schrieb Azmoun bei Instagram, oder auch: „Mein Herz brach für Mahsa und solche wie Mahsa, die unschuldig sind. Ihr seid wie meine Schwestern.“ All jene Beiträge hat der 27-Jährige aber inzwischen gelöscht. Spekulationen, dass er von iranischer Seite unter Druck gesetzt worden sei, verneinte der 65-malige Nationalspieler in der „Bild“-Zeitung: „Ich schwöre, dass mich niemand dazu gedrängt hat, etwas zu löschen. Das Posten und Löschen war meine Entscheidung.“ Die genauen Gründe dafür ließ Azmoun offen, doch er deutete an, dass es Probleme für seine Mitspieler im Auswahlteam des Irans gegeben habe.
Die iranische Fußball-Nationalmannschaft hatte schon 2010 den Ärger des Mullah-Regimes und der staatstreuen Gefolgsleute auf sich gezogen, als die Spieler mit grünen Bändern um die Hände aufgelaufen waren. Das war damals das Symbol der Unterstützung für den gemäßigten Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi. An der Aktion hatten sich auch die einstigen Bundesligaprofis Vahid Hashemian, Mehdi Mahdavikia und Ali Karimi beteiligt. Karimi, früher für Bayern München und Schalke 04 am Ball, soll längst nach Dubai geflohen sein, weil es für ihn in seiner Heimat zu gefährlich geworden ist. Laut des Portals Persian Soccer soll auch sein Haus von der Regierung beschlagnahmt worden sein. „Hab’ keine Angst vor starken Frauen. Vielleicht kommt der Tag, an dem sie Deine einzige Armee sind“, schrieb Karimi kürzlich bei Twitter an seine 1,1 Millionen Follower.
Es ist zu vermuten, dass die Proteste auch die am 20. November beginnende Fußball-WM begleiten werden. Es wurden auch Stimmen lauter, die einen Ausschluss Irans vom Endturnier in Katar forderten. Nicht nur wegen der harten Repressionen nach dem Tod von Mahsa Amini, sondern auch wegen der offensichtlichen Waffen- und Drohnenlieferungen für Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Die Russen sind bereits ausgeschlossen worden, gleiches müsse kurzfristig mit dem Iran passieren – das fordert unter anderem eine Gruppe iranischer Sportler in einem Brief an den Weltverband Fifa. „Es wird Zeit zu handeln. Genug ist genug“, heißt es in dem Schreiben, „die Brutalität des Irans gegenüber seinem eigenen Volk hat einen Wendepunkt erreicht“.
Unterschrieben ist der Brief größtenteils von iranischen Exilsportlern, die sich nach dem Tod von Navid Afkari vereint hatten. Der Ringer war einer der Anführer von Protesten in Shiras, ehe er 2020 nach einem Schauprozess wegen der angeblichen Tötung eines Sicherheitsbeamten hingerichtet wurde. Sportanwalt Juan de Dios Crespo vertritt die Gruppe, er sieht konkret den iranischen Verband nicht als unabhängig, weil die Politik sich zu sehr einmische und Entscheidungen treffe. Damit würde Artikel 19 des Fifa-Regelwerks greifen, ein Ausschluss wäre theoretisch möglich. Aber auch praktisch? Es gilt als nahezu ausgeschlossen, dass die Fifa so kurz vor dem WM-Start ein Team noch von der Liste streicht. Iran trifft in der Vorrunde auf England, Wales – und ausgerechnet auf den politischen Erzfeind USA. Präsident Gianni Infantino ist sich im Klaren: Die Fußball-Weltmeisterschaft wird hierdurch noch politischer. Auf symbolische Gesten wegen der Menschenrechtssituation in Katar und des Angriffskrieges in der Ukraine hatte sich die Fifa schon eingestellt.
Zu wenig Druck von den Verbänden
In Sachen Iran kommt von den Verbänden noch viel zu wenig Druck, meinen Experten. „Seit Langem tritt der Iran die Menschenrechte von Athletinnen und Athleten mit Füßen“, heißt es in einem Schreiben der Vereinigung Athleten Deutschland. Im Iran würden Frauen diskriminiert, Athleten drangsaliert und sogar getötet, und „das IOC und internationale Verbände haben solche Menschenrechtsverletzungen jahrelang geduldet. Ihre Tatenlosigkeit war und ist nicht hinnehmbar“. Die Verbände müssten nun „alles in ihrer Macht stehende tun, um Rekabis Schutz und Freiheit zu gewährleisten“, forderte Johannes Herber, Geschäftsführer bei Athleten Deutschland: „Spätestens die grausame Hinrichtung des Ringers Navid Afkari vor zwei Jahren verdeutlichte, dass das iranische Regime auch an Athletinnen und Athleten Exempel statuiert.“
Daher ist die Sorge um Elnaz Rekabi groß. „Das Mullah-Regime wird ihr nicht verzeihen“, sagt Düzen Tekkal von der Menschenrechtsorganisation Hawar help. Sie glaubt: „Alles, was wir uns vorstellen können, auch an emotionaler Erpressung, an Repressalien, ist bei ihr gerade da. Der einzige Schutz, den sie hat, ist die Öffentlichkeit.“ Dass das Nationale Olympische Komitee Irans dem IOC versicherte, dass die Athletin „keine Konsequenzen“ zu befürchten habe, darf mit Skepsis betrachtet werden. Das iranische Sportministerium äußerste sich zudem optimistisch, dass Rekabi bei Olympia 2024 an den Start gehen werde – und zwar für den Iran. Sie habe zwar viele Angebote aus dem Ausland erhalten, wolle aber weiter für ihr Heimatland starten, heißt es von offiziellen Stellen. Rekabi selbst äußerte sich dazu nicht.