Mitte Juni 2023 wird Berlin zur Welthauptstadt des Sports für Menschen mit Behinderung. Eine Saarländerin zeichnet dafür verantwortlich.
Vom 17. bis 25. Juni 2023 finden die Special Olympics World Games in Berlin statt – und damit erstmals in Deutschland. Dabei handelt es sich um nichts Geringeres als die weltweit größte inklusive Sportveranstaltung, bei der Athletinnen und Athleten mit verschiedensten Formen geistiger und manchmal zusätzlich auch körperlicher Beeinträchtigung in 26 Sportarten und unterschiedlichen Leistungsklassen antreten, teilweise zusammen mit Menschen ohne Einschränkung.
Von den insgesamt etwa 7.000 Sportlerinnen und Sportlern aus über 180 Nationen gehören etwa 450 zum Team des Gastgebers Deutschland, die von etwa 130 Trainerinnen und Trainern betreut werden.
Erstmals in Deutschland
Im Gegensatz zum Para-Sport zählt bei den Special Olympics nicht der Leistungssportgedanke. Nach einem Qualifizierungswettbewerb werden die Athletinnen und Athleten je nach Ergebnis in unterschiedliche Leistungsgruppen eingeteilt, innerhalb derer die Finals ausgetragen werden. In jedem Finale geht es dann um Gold, Silber und Bronze. Nach diesem Prinzip gewinnen zwischen einem Viertel und einem Drittel aller Athletinnen und Athleten eine Medaille.
Verantwortlich dafür, dass dieses Mega-Event erstmals in Deutschland stattfindet, ist eine Saarländerin. Eine Wahl-Saarländerin, um genau zu sein. Doch ihre Wahl hat Christiane Krajewski schon vor vielen Jahren getroffen. Seit 2014 ist die heute 74-jährige frühere saarländische Landespolitikerin ehrenamtliche Präsidentin von Special Olympics Deutschland.
Vor acht Jahren hatte Timothy Shriver, Präsident des Weltverbands Special Olympics International (SOI), sie im Rahmen der Weltspiele in Los Angeles erstmals nach dem Interesse des deutschen Verbandes gefragt, die Spiele selbst auszutragen. „Wir haben das damals im Verband geprüft und festgestellt, dass wir noch nicht so weit waren“, erinnert sie sich. Daraufhin wurden die World Games 2019 in Abu Dhabi ausgetragen. Doch schon 2016 hatte sich der deutsche Verband um die Ausrichtung der Spiele im laufenden Jahr beworben und 2018 den Zuschlag erhalten. Dabei setzte sich Deutschland gegen Mitbewerber Russland durch und überzeugte die SOI-Jury vor allem durch die Nachhaltigkeit seines Konzeptes.
Christiane Krajewski kam im Alter von 18 Jahren als Studentin ins Saarland, um nach dem Abitur in ihrem Geburtsort Wuppertal ein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes zu beginnen. Das ist nun schon 56 Jahre her. „Das Saarland ist meine Heimat, ich liebe dieses Land und mag die Menschen hier“, sagt die langjährige SPD-Politikerin, die im Saarbrücker Stadtteil St. Johann wohnt. Nach ihrem ehrenamtlichen Einstieg in die saarländische Politik war sie hier viele Jahre lang hauptberuflich tätig. Zunächst als Beigeordnete für Umwelt und Gesundheit der Landeshauptstadt Saarbrücken (1986 bis 1990), dann als Gesundheitsministerin (1990 bis 1994) und schließlich als Ministerin für Wirtschaft und Finanzen sowie stellvertretende Ministerpräsidentin des Saarlandes (1994 bis 1999).
Aus ihrem letzten politischen Amt als Senatorin für Finanzen des Landes Berlin (2001 bis 2002) war sie auf eigenen Wunsch ausgeschieden und zog sich als Privatfrau in ihre Wahlheimat zurück. „Ich fand dann: ‚Jetz is aach mo gudd‘, um es auf saarländisch zu formulieren“, sagt sie und erklärt: „Ich habe mich zu dieser Zeit nicht mehr als öffentliche Person gesehen und wollte auch keine sein, die nach ihrem Ausscheiden aus der Politik den aktiven Politikerinnen und Politikern vermeintlich kluge Ratschläge gibt.“ Von 2002 bis Ende 2013 arbeitete Krajewski als Gesellschafterin und aktive Beraterin sowohl in ihrer eigenen Firma als auch in einem Frankfurter Beratungsunternehmen. Der Rückzug aus dem öffentlichen Leben wurde nur noch einmal unterbrochen: 2013 gehörte Krajewski zum Kompetenzteam des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der allerdings Angela Merkel unterlag.
Etwa ein Jahr nach der Bundestagswahl, am 15. November 2014, wurde sie als Nachfolgerin von Gernot Mittler zur ehrenamtlichen Präsidentin von Special Olympics Deutschland gewählt. 2017 und 2021 wurde sie wiedergewählt. Wie sie zu dieser Ehre kam? „Ich bin gefragt worden – aber wie es im Ehrenamt und auch im Berufsleben so läuft, passierte das nicht zufällig“, berichtet sie und verweist auf das Netzwerk, das sie insbesondere durch die politischen Ämter in den Bereichen Finanzen, Wirtschaft, Gesundheit und Soziales aufgebaut hatte. „Special Olympics ist mehr als eine reine Sportorganisation. Wir nutzen die große Kraft des Sports, eine inklusive Gesellschaft zu fördern“, erklärt Krajewski, und man spürt dabei ihre große Motivation, sich ehrenamtlich für die Belange ihrer Organisation zu engagieren: „Deshalb wollen wir, dass auch Menschen mit geistiger Behinderung einen gleichberechtigten Zugang zum Sport, aber auch zu Gesundheitsversorgung, Kultur und Arbeit erhalten.“
„So etwas wie ein Leuchtturm“
Der Verband Special Olympics Deutschland existiert erst seit knapp 32 Jahren. Seit fünf Jahren gehört er zu den Spitzenverbänden im DOSB, seit drei Jahren gehört der Landesverband im Saarland als Fachverband dem Landessportverband für das Saarland an. Eine Entwicklung, die auch auf die ehrenamtliche Arbeit von Christiane Krajewski zurückzuführen ist. „Wir sind angekommen in der Familie des organisierten Sports – auch in der Familie des Saarsports. Das ist sehr wichtig“, sagt sie nicht ohne Stolz, betont aber auch: „Wir sind noch längst nicht dort angekommen, wo wir einmal hinwollen.“ Wo das ist? „Wir wollen mehr Sportvereine für den Sport von Menschen mit geistiger Behinderung öffnen, überhaupt mehr Menschen mit geistiger Behinderung in Bewegung bringen und damit auch ihre gesundheitliche Situation verbessern“, nennt Krajewski drei wesentliche Ziele.
Derzeit treiben ungefähr acht Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung mehr oder weniger regelmäßig Sport. In der Gesamtbevölkerung in Deutschland sind es laut unterschiedlicher Erhebungen und nach eigenen Angaben der Befragten etwa 50 Prozent. „Wenn wir es schaffen, uns dieser Quote auch bei den Menschen mit Behinderungen anzunähern, dann hätten wir ein großes Ziel erreicht“, sagt Krajewski und findet: „Wir sind seit einiger Zeit in allen Bundesländern mit Landesverbänden aufgestellt – in einigen sind wir auch sehr gut aufgestellt. Aber insbesondere was die Angebote für Menschen mit Behinderungen in gewöhnlichen Sportvereinen vor Ort angeht, ist noch Luft nach oben.“
Auch deshalb sei die Bedeutung der World Games in Berlin nicht hoch genug einzuschätzen und gehe weit über das eigentliche Sportereignis hinaus: „Das ist so etwas wie ein Leuchtturm, der sein Licht über ganz Deutschland, die angrenzenden europäischen Regionen und sogar über die gesamte Welt ausbreitet“, sagt Krajewski und ergänzt: „Das erste Mal wird hier das Augenmerk auf die Zielgruppe einer Veranstaltung gelegt, die sonst nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt. Diese Weltspiele geben uns die Chance, Menschen mit geistiger Behinderung sichtbar zu machen und zu zeigen, wie wichtig sie als Mitglieder dieser Gesellschaft sind“.