Bei der IOC-Session im indischen Mumbai dürften keine großen Entscheidungen getroffen werden – auch nicht in der Russland-Frage. Für einen deutschen Eventmanager geht es jedoch um viel, er hofft auf Aufnahme in einen erlauchten Kreis.
Wer als Mitglied ins Internationale Olympische Komitee aufgenommen wurde, bestimmte in den Anfangsjahren der Gründervater selbst. Pierre de Coubertin, ein französischer Pädagoge, Historiker und Baron, suchte Ende des 19. Jahrhunderts höchstpersönlich die Personen aus, die seine Vision von modernen Olympischen Spielen im IOC und in ihren jeweiligen Ländern mit umsetzen sollten. Dabei griff er vorwiegend auf private Kontakte zurück, also in der Regel auf Personen von höherem Stand. Erst später wurde das Wahlverfahren für die Aufnahme neuer Mitglieder eingeführt. Ein Prozedere, das noch heute gilt. Bei der 141. IOC-Session im indischen Mumbai vom 15. bis 17. Oktober hofft auch ein deutscher Kandidat auf eine Zulassung in den erlauchten Kreis: Michael Mronz. Ein offizieller Vertreter Deutschlands wäre der Sport- und Eventmanager aber nicht, er würde als sogenanntes „unabhängiges Mitglied“ ernannt werden. Laut IOC-Charta sind bis zu sieben Mitglieder ohne Nationalität oder Funktion in einem nationalen olympischen Komitee möglich.
„Diese Kandidaten bringen aufgrund ihrer Erfahrung und ihres vielfältigen Fachwissens in verschiedenen Lebensbereichen einen Mehrwert für die Arbeit des IOC mit“, sagt IOC-Präsident Thomas Bach. Das Executive Board des IOC hat den 56-jährigen Mronz vorgeschlagen; bei einer erfolgreichen Wahl unter allen ordentlichen IOC-Mitgliedern würde seine Amtszeit acht Jahre betragen. Mronz ist Macher des weltbekannten Aachener Reitturniers Chio und war in der Vergangenheit auch verantwortlicher Marketingchef für weitere Sportevents wie die Leichtathletik-WM 2009 in Berlin. Die von ihm ins Leben gerufene Olympia-Bewerbung für die Spiele 2032 im Rhein-Ruhr-Gebiet vor zweieinhalb Jahren scheiterte aber. Danach diskreditierten Mronz und der damalige DOSB-Chef Alfons Hörmann sich gegenseitig mit Vorwürfen.
Hörmanns Nachfolger als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes hat dagegen ein gutes Verhältnis zu dem Sportmanager. „Michael Mronz zählt zu den führenden Köpfen der deutschen und internationalen Sportveranstalterszene“, sagt Thomas Weikert: „Wir hoffen auf eine erfolgreiche Abstimmung in Mumbai und werden die Kandidatur vor Ort unterstützen, damit das deutsche Netzwerk im internationalen Sport eine weitere Aufwertung erfährt.“ Mronz wäre das dritte deutsche Mitglied im Ringe-Orden, aktuell sind dort auch IOC-Präsident Thomas Bach und Britta Heidemann von der Athletenkommission vertreten. Auch Ex-Fechterin Heidemann hofft auf einen Erfolg von Mronz, um „mit ihm gemeinsam die olympische Bewegung in Deutschland vertreten zu dürfen“.
Die Chancen des gebürtigen Kölners stehen gut, nicht umsonst hat er Anfang September die von ihm mitgegründete PR-Agentur „Storymachine“ auf eigenen Wunsch verlassen. Die Chancen Deutschlands auf die Austragung der Sommerspiele 2036 würden sich dadurch aber nur marginal erhöhen – dafür braucht es schon deutlich gewichtigere Argumente. Es sei „kein Malus“, wenn das Event hundert Jahre nach den vom Nazi-Regime missbrauchten Spielen von 1936 in Deutschland stattfinden würde, meinte Mronz. Er wolle „an den Stellen, wo ich kann, einen Beitrag dazu leisten, dass es gelingt, Olympische und Paralympische Spiele nach Deutschland zu holen“, hatte Mronz im Juli gesagt: „denn eine erfolgreiche Bewerbung würde es schaffen, die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft wieder zu stärken“. Grundvoraussetzung dafür sei aber, die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung zu stärken – und daran hat es bei den jüngsten Bewerbungs-Initiativen gehapert. In Deutschland sei „eine gewisse Grundskepsis“ bei Großprojekten vorhanden, meinte der Manager: „Wenn man dann mit den Menschen in den Dialog kommt, dann glaube ich, diese Skepsis aufbrechen zu können.“
Olympia 2036 rückt in den Blickpunkt
Der DOSB weiß natürlich um die Problematik. Der Dachverband hat jüngst die Dialoginitiative „Deine Idee, deine Spiele“ gestartet. Ziel des Prozesses sei, im Austausch mit der Gesellschaft „Rahmenbedingungen für eine mögliche Bewerbung Deutschlands um Olympische und Paralympische Spiele zu definieren“, wie der DOSB mitteilte. Auf Informationsständen wirbt der DOSB für das Mega-Event in Deutschland, er klärt auf, er diskutiert. „Wir haben jetzt noch gar kein Bewerbungskonzept, sondern wir sprechen jetzt erst mal mit der Bevölkerung“, erklärt Vizepräsidentin Kerstin Holze: „Wir hören uns an: Warum wollt ihr Olympische Spiele oder warum vielleicht auch nicht? Und das soll unsere Basis sein für ein konkretes Bewerbungskonzept.“ Bis spätestens im Frühjahr 2026 muss dieser Prozess aber beendet sein, denn dann dürften die offiziellen Bewerbungen vergeben werden.
Zuletzt fanden 1972 in München Olympische Spiele auf deutschem Boden statt. Danach scheiterten sieben Versuche, das Großevent wieder nach Deutschland zu holen, teils spektakulär. Vor allem das mit großen Hoffnungen gestartete Projekt Berlin 2000 entpuppte sich aufgrund einer missratenen Kampagne und schwacher Unterstützung aus der Politik als Reinfall. Von der Vergangenheit und auch der Aussicht auf eine Bürgerbefragung, die einer offiziellen Bewerbung vorstehen würde, dürfe man sich nicht entmutigen lassen, meint Thomas Berlemann. Der Sporthilfe-Vorstandschef veranschaulicht: „Wenn wir die Spiele bekämen, wäre das eine neue Welt. Der Sport würde in allen Bereichen, ob Wirtschaft oder Politik, in den Fokus rücken.“ Olympia in Deutschland wäre seiner Meinung nach ein „absoluter Gamechanger“. Und auch eine Art sozialer Kitt. „Das wäre eine Sensation und eine riesige Möglichkeit, um das Land, das gesellschaftlich ein bisschen auseinanderdriftet, in den aktuell schwierigen Zeiten mit einem geeinten Ziel zusammenzuschweißen“, meint der 60-Jährige.
In Mumbai können die vertretenen Deutschen um Heidemann und Mronz aber lediglich hinter den Kulissen für die Idee werben. Vorbehaltlich der Exekutiv-Sitzung, die im Vorfeld abgehalten wird und meist richtungsweisend ist, werden auf der IOC-Session keine bahnbrechenden Entscheidungen erwartet. Keine Vergabe von Olympischen Spielen – und in der heiklen Russland-Frage dürfte der Ringe-Orden weiter auf Zeit spielen. Nachdem das IOC um Präsident Bach den Komplett-Bann aufgehoben und die Empfehlung ausgesprochen hat, Russen und Belarussen als neutrale Athleten und ohne Landesflagge und Nationalhymne auf der internationalen Sport-Bühne wieder starten zu lassen, liegt der Ball bei den einzelnen Sportverbänden. „Das IOC will am Ende nicht den ‚Schwarzen Peter‘ haben, so kommt es mir vor“, sagte Rodel-Olympiasieger Felix Loch. Während vor allem kleinere Verbände, die zu einem nicht geringen Teil abhängig von den Olympia-Vermarkungsgeldern durch das IOC angewiesen sind, mit der Öffnung bereits begonnen haben, verweigern sich andere. So klar wie der Leichtathletik-Weltverband sind aber nur die wenigsten. Er hat entschieden: Russen und Belarussen bleiben so lange fern, so lange es den Angriffskrieg in der Ukraine gibt.
Genau diese Haltung vertritt auch Friedhelm Julius Beucher. Doch der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes musste Ende September miterleben, wie das Internationale Paralympische Komitee die Tür für Russen und Belarussen geöffnet hat. Sportler aus den beiden Ländern dürfen trotz des Angriffskriegs in der Ukraine als neutrale Athleten bei den Paralympics 2024 in Paris teilnehmen. Das wurde überraschend bei der Mitglieder- und Generalversammlung in Bahrain beschlossen – und sorgte nicht nur bei Beucher für Unverständnis. „Das ist keine Sternstunde für die Werte-Gemeinschaft des IPC“, sagte der 77-Jährige, der das Argument der „Neutralität“ für „Augenwischerei“ hält. Wie könnten russische Athleten ihre Neutralität oder gar ihre Ablehnung gegen den Krieg erklären und „nachher im Kreml die Verdienstorden“ erhalten? Beucher hatte mit einer emotionalen Rede noch versucht, die Mitglieder zu einem „Nein“ in der Abstimmung zu bewegen – doch vergebens. Bei den Paralympics in Paris vom 28. August bis 8. September 2024 werden russische und belarussische Sportler starten, die daraus resultierenden Kontroversen und Probleme dürften einen Schatten auf das Event werfen. Auch ein paar Wochen vorher auf Olympia?
„Thema darf nicht politisiert werden“
Die IPC-Entscheidung gilt zumindest als Fingerzeig für das IOC. Bei einer Bestätigung des Komplett-Ausschlusses hätte es das IOC sicher schwerer gehabt, sein Ansinnen durchzubringen. Doch alle Hürden sind damit längst nicht genommen. Noch immer steht die Aussage von Anne Hidalgo, der Pariser Bürgermeisterin, dass Frankreichs Metropole kein Gastgeber für russische und belarussische Athleten sein wolle, solange Russland mithilfe von Belarus in der Ukraine Krieg führt. Zieht am Ende die Politik in der Sache den Stecker? „Ich denke, dass nicht das Gastgeberland darüber entscheiden sollte, was das IOC tun soll“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Sportmagazin „L’Équipe“ ausweichend. Er erwarte eine „bewusste Entscheidung der Sportwelt“ in dieser Frage und habe „volles Vertrauen“ in IOC-Chef Bach. Macron klingt deutlich defensiver als Hidalgo, er betont: „Dieses Thema darf nicht politisiert werden.“
Das dürfte Wunschdenken bleiben. Die scharfe Reaktion der internationalen Athletenbewegung „Global Athlete“ zum IPC-Entscheid, wonach Russland eine „weltweite Bühne für Kriegspropaganda“ bereitet werde, verdeutlicht: Die Russland-Frage spaltet nach wie vor den Sport. Mit diesem Dilemma und anderen weitreichenden Themen wie der olympischen Zukunft in Zeiten der Klimakrise wird sich wohl bald auch Michael Mronz auseinandersetzen müssen.