Die Olympischen Spiele 2036 würden in Deutschland zu einem aufgeladenen und emotionalen Jubiläum stattfinden. Viele sehen das als Chance – andere nicht.
Die Berliner Politik sieht die mögliche Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele im historisch aufgeladenen Jahr 2036 auch als Chance. „Die Spiele 1936 waren Nazi-Spiele mit allem, was da an schrecklichen Dingen zugehörte“, sagte die Berliner Staatssekretärin für Sport, Nicola Böcker-Giannini, der Deutschen Presse-Agentur am Rande einer Veranstaltung der Deutschen Olympischen Gesellschaft in der Max-Schmeling-Halle. Die Ausrichtung der Spiele 100 Jahre später wieder in der Hauptstadt „wäre eine große Chance, auch die Vielfalt der Stadt und die Vielfalt des Landes darzustellen“.
Im deutschen Sport laufen derzeit die Debatten über das weitere Olympia-Vorgehen. Deutsche Bewerbungen um die Olympischen und Paralympischen Spiele waren zuletzt mit München für 2022 (Winter) und Hamburg für 2024 (Sommer) jeweils bereits in der Vorbereitung an Bürgerentscheiden gescheitert. Kandidaturen wären für die Winterspiele 2034 oder 2038 und für die Sommerspiele 2036 oder 2040 denkbar. Auch im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) war das Jahr 2036 zuletzt als Herausforderung, nicht als Risiko wegen der historischen Verbindung bezeichnet worden. „Da muss man gut überlegen und gut in die Diskussion gehen. Was ich wahrnehme, ist, dass es im Ausland weniger die Diskussion darum gibt“, sagte Böcker-Giannini. „Da wird es nicht so gesehen, wie wir das hier logischerweise und richtigerweise diskutieren.“ Die Spiele 2036 könnten als genauer Gegensatz zu den Nazi-Spielen „die inklusivsten Spiele“ werden. Der DOSB hatte Anfang des Jahres einen Strategieprozess für eine neue Bewerbung um Sommer- oder Winterspiele gestartet. Möglich scheinen auch Co-Bewerbungen mehrerer Städte. Ende 2023, womöglich auch Anfang 2024, soll während einer DOSB-Mitgliederversammlung entschieden werden, ob, für welches Jahr, mit welchen Städten oder Regionen und unter welchen Bedingungen sich Deutschland bewirbt. Die Bevölkerung soll auf diesem Weg mitgenommen werden. „Wenn es Olympische Spiele in Berlin geben soll, dann muss es Berlin anders machen. Auch der DOSB, das ist die verantwortliche Organisation, muss es anders machen“, sagte Böcker-Giannini zu den Vorbehalten und der Kritik an Olympia. „Das haben sie sich ja auch auf die Fahne geschrieben. Da müssen wir jetzt schauen, wie geht die Diskussion? Was wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger vor Ort in den unterschiedlichen Regionen, wie kann man Olympische Spiele umsetzen? Am Ende muss man sich anschauen, ob es als Stadt Berlin machbar ist – so steht es auch im neuen Koalitionsvertrag.“
In diesem hat die Landesregierung aus CDU und SPD festgelegt: „Die Koalition bekräftigt die Bereitschaft, dass Berlin als ein Austragungsort im Rahmen einer möglichen nationalen Bewerbung mit einem nachhaltigen Konzept um die Durchführung von Olympischen und Paralympischen Sommerspielen in Deutschland zur Verfügung steht.“
Die „Jüdische Allgemeine“ ordnet die mögliche Bewerbung ebenfalls ein. Die Olympischen Sommerspiele in München 1972 sollten bereits ein „Fest des Friedens“ sein. Deutschland wollte die Spiele nutzen, um sich der Welt als demokratisches und modernes Land vorzustellen. Ein friedliches Fest wurde es jedoch nicht. Terroristen des palästinensischen „Schwarzer September“ nahmen elf israelische Athleten zunächst als Geiseln und ermordeten sie dann.
Seit 50 Jahren nicht mehr Austragungsort
Gut 50 Jahre war Deutschland seitdem nicht mehr Austragungsort. Seit der Wiedervereinigung gab es sieben Anläufe, und siebenmal ist Deutschland gescheitert. Für die Spiele 2012 wollte sich Leipzig als Stadt der friedlichen Revolution von 1989 darstellen – erfolglos. München und Hamburg ebenfalls – wie bereits erwähnt. „100 Jahre nach den Nazi-Spielen, die Hass und Ausgrenzung salonfähig machen wollten“, könnte Berlin nun zeigen, „dass ein weltoffenes, liberales und demokratisches Berlin stärker“ sei, als „Hass und Menschenverachtung es jemals sein können“, teilte auch der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner, der „Jüdischen Allgemeinen“ mit. Eine Bewerbung könne er sich im Rahmen einer „nationalen Bewerbung“ vorstellen.
Elio Adler, Vorsitzender des jüdischen Vereins Werte Initiative, steht einer deutschen Bewerbung für die Olympischen Spiele 2036 positiv gegenüber. „Wo vor knapp 100 Jahren Propaganda mörderischen Menschenhass vertuschen sollte“, könne nun das Gegenteil passieren und „wirkliche Diversität und Pluralismus zelebriert werden“. Berlin solle die Chance nutzen, 100 Jahre später „zum Gastgeber des Festes der Vielfalt und des sportlichen Wettbewerbs“ zu werden, sagte Adler im Gespräch mit der „Jüdischen Allgemeinen“. Es solle ein Anliegen des Komitees der Olympischen Spiele und des Gastgeberlandes sein, „dass der sportliche Wettbewerb nie wieder für menschenverachtende Politik“ genutzt werde.
Das Israelische Olympische Komitee hatte bereits 2021 eine Bewerbung Berlins begrüßt.“ Die Olympischen Spiele in Berlin abzuhalten, 100 Jahre nach Hitlers Olympischen Spielen 1936, wird uns alle an die dunklen Zeiten erinnern, die wir erfahren haben, und der Welt eine starke Botschaft senden von den Werten, die wir aufrechterhalten müssen“, hatte das Komitee damals mitgeteilt. Die Überlegungen einer möglichen Austragung auf deutschem Boden sind vielfältig. Neben einer Kooperation von Berlin und Tel Aviv ist auch eine Kooperation mehrerer deutscher Städte im Gespräch; darunter neben Berlin etwa auch München. Auf Begeisterung stoßen diese Überlegungen jedoch nicht überall.
Der Journalist Christof Paulus schrieb auf t-online.de, dass Olympia als großes Fest gedacht sei – das „Dritte Reich“ biete allerdings keinen Anlass zu einer Jubiläumsfeier. Gerade München, Hitlers „Hauptstadt der Bewegung“, solle sich seiner Meinung nach nicht daran beteiligen. 100 Jahre nach den Nazis solle Deutschland nichts demonstrieren, sondern zuhören und den Umgang mit dem Andenken während der Spiele zuerst anderen überlassen. Nichts solle den Anschein erwecken, dass das Andenken verklärt werde, so Paulus. Einzig befürworten könne er die Idee einer gemeinsamen Bewerbung Deutschlands und Israels.
Die Entscheidung liegt beim DOSB
Michael Koblenz, Sportvorstand vom jüdischen Sportverein TuS Makkabi Berlin, befürwortet dagegen grundsätzlich eine Bewerbung Deutschlands um die Olympischen Spiele 2036. „Symbolpolitik ist dann negativ, wenn es lediglich bei Symbolen bleibt. Dieses Land jedoch tat und tut weiterhin viel für die Aufarbeitung der Schoa“, sagte er der „Jüdischen Allgemeinen“. Der Fokus müsse zukunftsgerichtet auf dem „Ist-Zustand der gesellschaftlichen Integration in Deutschland“ liegen, so Koblenz. So stehe etwa die Erste Herren-Fußballmannschaft von Makkabi Berlin dieses Jahr im DFB-Pokal mit Spielern von vier Kontinenten, aus 15 Herkunftsländern, mit unterschiedlichen Religionen. Als Berliner Sportverein sehe Makkabi jedoch vor allem, „wie nachhaltig die Sportinfrastruktur der Stadt von der Ausrichtung der Spiele profitieren würde“.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland wollte sich in der Debatte um eventuelle Olympische Spiele in Berlin noch nicht positionieren. Auf Anfrage der „Jüdischen Allgemeinen“ teilte er mit, er werde „sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu einer möglichen Bewerbung Berlins für die Olympischen Sommerspiele 2036 äußern“.
Die Entscheidung über eine mögliche deutsche Bewerbung liegt beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Ende 2023 soll in einer Mitgliederversammlung entschieden werden, ob und für welches Jahr und mit welchen Städten oder Regionen sich Deutschland unter welchen Bedingungen bewirbt. Möglich wären Bewerbungen für die Winterspiele 2034 oder 2038 und für die Sommerspiele 2036 oder 2040. Ende Juni startete der DOSB eine Dialog- und Informationsinitiative: „Deine Ideen, deine Spiele“.
Die Bevölkerung soll damit hinter eine Olympia-Bewerbung gebracht werden, die mit den Bürgern gemeinsam erarbeitet werde. Ob die sich für ein Berlin 2036 werden erwärmen können, ist jedoch alles andere als ausgemacht.