Gibt es einen Anspruch auf veganes Essen in einer Kita oder im Krankenhaus? Bekommen Vegetarier mehr Geld vom Jobcenter? Und ist das Fehlen fleischfreier Gerichte in einem Hotel bereits ein Reisemangel? Der Berliner Rechtsanwalt Ralf Müller-Amenitsch hat ein Buch über die juristische Seite der veganen und vegetarischen Ernährung geschrieben.
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." So ist es in Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes verankert. Aber welche Rechte haben Veganer, die nicht an Gott glauben, aber aus ethischen Gründen das Töten und Verspeisen von Tieren nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können? Dieser Frage ist der Berliner Rechtsanwalt Ralf Müller-Amenitsch nachgegangen. Ende 2016 hat er das Buch „Vegan im Recht" veröffentlicht, das wegen der großen Nachfrage bald in einer zweiten Auflage erscheinen wird – ein Handbuch für alle juristischen Fragen des vegetarischen und veganen Lebensstils.
„Veganer sind in Deutschland juristisch diskriminiert", sagt Ralf Müller-Amenitsch, zumindest wenn sie aus säkularen Gründen keinerlei tierische Produkte verwenden. Er halte dies für eine fehlerhafte Umsetzung der Ethik in das Recht, das doch im Idealfall kodifizierte Ethik sein sollte. „Ich vertrete die Auffassung, dass der Wunsch, sich vegan zu ernähren, immer gleich schützenswert ist – egal ob aus religiösen oder säkularen Gründen."
Im Grundgesetz heißt es in Artikel 4: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Im deutschen Recht ist es allerdings so, dass eine Weltanschauung religionsähnlich sein muss: Sie muss die ganze Welt erklären können. Das ist beim Veganismus selbstredend nicht der Fall. Die Europäische Menschenrechtskonvention spricht dagegen im englischen Original von „religion, consciousness and belief", was als gefestigte Ansicht übersetzt wird – eine Definition, die deutlich weit gefasster ist. „Die deutsche Rechtsprechung verengt den europäischen Weltanschauungsbegriff", meint Müller-Amenitsch. Das führe dazu, dass Veganer oft Schwierigkeiten haben, juristisch gegen eine vermeintliche Diskriminierung vorzugehen.
Aus seiner Sicht könnte man allerdings in einigen Fällen mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht argumentieren. Dieses beinhalte auch das Recht, sich seinen ethischen Vorstellungen gemäß zu ernähren. Ein Urteil des Berliner Sozialgerichts unterstützt diese These. Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die zwar berufstätig war, aufgrund des geringen Verdiensts aber zusätzlich Leistungen vom Jobcenter erhielt. Ihr Arbeitgeber stellte ihr ein kostenloses Mittagessen zur Verfügung, das jedoch fast ausschließlich aus fetten Fleischprodukten bestand. Die Frau war keine Veganerin, aber sie lehnte das Essen aus diätetischen Gründen ab – sie wollte sich nicht vorschreiben lassen, wie sie sich zu ernähren hat. Das Jobcenter kürzte ihr dennoch die Leistungen, da sie Zusatzleistungen vom Arbeitgeber bekäme. Dagegen wehrte sie sich und bekam Recht. „Es ist schön, dass auch ein Richter die Sache genauso sieht wie ich", sagt Ralf Müller-Amenitsch.
Ausgedachte Fälle sind längst Realität geworden
Überhaupt bekäme die juristische Seite der veganen und vegetarischen Ernährung wachsende Aufmerksamkeit. Und sie werde weiter steigen, glaubt Müller-Amenitsch, „weil sich in Zukunft noch mehr Menschen aus gesundheitlichen Gründen vegan ernähren werden". Seit 2016 gibt es in Deutschland einmal im Jahr ein Rechtssymposium zu diesem Thema, weitere Ableger in anderen Ländern sind bereits in Planung. „Ich bekomme Anfragen von Juristen aus ganz Europa", sagt Müller-Amenitsch. „Ich hätte nie gedacht, dass es einmal eine solche Dynamik entwickelt." Als er sein Buch schrieb, waren die meisten der darin vorgestellten Fälle konstruiert. „Nach 25 Jahren als Anwalt konnte ich mir potenzielle Fälle ganz gut vorstellen. Aber jetzt erlebe ich, dass genau diese Fälle tatsächlich auf meinem Schreibtisch landen."
Das Spektrum der Fälle ist breit: Ein Hautarzt injiziert seiner vegetarisch lebenden Patientin gegen ihren Willen Fleischbrühe als Trägersubstanz für einen Allergietest. Ein dementer Veganer wird im Pflegeheim mit Fleisch gefüttert. Kinder, die sich vegan ernähren, müssen sich in Schulen selbst mit Essen versorgen und zusätzlich das nichtvegane Gemeinschaftsessen finanzieren. Wobei zumindest in Berlin die Betroffenen mittlerweile nach einer Klage von der Umlage befreit werden. Einer veganen Mutter wird das Sorgerecht für ihr Kind mit der Begründung entzogen, veganes Essen gefährde das Kindswohl – was nicht zutreffe, solange man verantwortungsvoll damit umgehe und beispielsweise den Mangel an Vitamin B12 entsprechend ausgleiche. „All diese Beispiele zeigen, wie notwendig eine Auseinandersetzung mit veganen Rechtsthemen ist", sagt Ralf Müller-Amenitsch. Wichtig, vor allem für Fragen des Verbraucherrechts, zudem eine allgemeingültige Definition von vegan und vegetarisch, an die sich dann auch alle Hersteller halten müssten. Etwas überspitzt fragt Müller-Amenitsch: „Ist Rohrzucker, der von einer Eselskarre gezogen wurde, noch vegan?" Es gebe vielerorts Klärungsbedarf, damit sich Verbraucher darauf verlassen könnten, dass ein Produkt auch tatsächlich ihrer ethischen Auffassung entspricht.
Eines ist dem 54-Jährigen wichtig: „Ich bin kein Dogmatiker", sagt er. Bloß, weil jemand sich vegan ernähre, sei er noch kein besserer Mensch. „Aber wenn man seinen Speiseplan danach ausrichtet, dass Welthunger vermieden wird, auch künftige Generationen noch eine intakte Umwelt vorfinden und Tiere möglichst wenig leiden, dann ist es aus ethischer Sicht die konsequenteste Ernährungsweise."