Von Kopfschütteln und Unverständnis als erste Reaktionen lässt sie sich nicht abschrecken. Aufmerksamkeit ist ihrer ungewöhnlichen Bewerbungsaktion gewiss. Sabine Cäcilia Nowaczyk über Motivation, Hoffnungen und Strategien.
Frau Nowaczyk, Sie treten bei den Kommunalwahlen gleich in 33 Gemeinden im Saarland als Kandidatin für ein Bürgermeisteramt an. Rechnen Sie sich überhaupt Chancen aus, allein schon genug Unterschriften für eine Kandidatur zusammenzubekommen?
Es geht mir in erster Linie nicht darum, eine Wahl zu gewinnen, sondern um einen gesellschaftlichen Transformationsprozess in Gang zu setzen. Das Saarland könnte eine Keimzelle sein. Von ihm könnte eine Strahlkraft bundesweit und durch seine Nähe zu Frankreich auch europaweit ausgehen. 17 Tage vor Ende der Frist habe ich ein Prozent der Unterschriften. Und für einen Turnaround-Prozess braucht es zwei Prozent.
Wie sind sie zu der Initiative gekommen?
Ich bin 1963 als Mädchen geboren worden und gleichzeitig als erstgeborener Sohn meines Vaters. Ich habe nur Schwestern. Deshalb war ich der erstgeborene Sohn mit dem Geschlecht weiblich.
Sie haben auch andere Frauen aufgerufen, sich ihnen anzuschließen und zu kandidieren. Bis heute kam keine. Frustriert sie das?
Es ist eine Prägung von uns Frauen, anständig sein zu müssen, zusammenzurücken, immer wieder gehen wir in Gruppen raus, nicht alleine. Ich bin als Frau in eine Männerwelt geboren. Aber der Großteil der Frauen hat es so nicht trainiert. Dass keine Frau mir folgt, habe ich mit größter Traurigkeit aufgenommen, weil ich dachte, wir seien bei 100 Jahren Wahlrecht weiter.
Bundesweit stehen nur in zehn Prozent Frauen an der Verwaltungsspitze der Gemeinden. Warum?
Dort gibt es einen riesigen Missstand. Im Saarland sind in 52 Kommunen nur vier Frauen Bürgermeister. Durch meinen persönlichen Einsatz, auch mit meinen finanziellen Mitteln, möchte ich den Frauenanteil steigern. Werde ich in mehreren Kommunen gewählt, gibt es Neuwahlen, da ich ja das Amt nur in einer Kommune antreten kann. Und dann wird die Kandidatenfrage neu diskutiert.
Das hört sich sehr theoretisch an.
Es gibt in meiner Welt immer Turnaround-Effekte. Immer. Ich bin Organisationsberaterin für Change- und Transformationsprozesse. Es hängt immer von dem Reifegrad ab. Wir leben in einer Zeit, in der seit 18 Jahren eine Frau das Land regiert hat. Wir leben in einer Zeit, in der eine junge Frau, ein Mädchen, weltweit auf den Klimawandel aufmerksam macht. Weder Sie noch ich hätten es vor einem Jahr für möglich gehalten, dass sich Massen von Schülerinnen und Schülern über die Schulpflicht hinwegsetzen.
Wenn Sie in 33 Kommunen antreten, nehmen Sie dann nicht den anderen Kandidatinnen Stimmen weg?
Um Änderungen für Frauen zu erreichen, ist es erforderlich, das Angebot der Dichte auf der Fläche zu verstärken. Sobald ich rausgehe, nimmt die Wahrnehmung von Frauen auf der Fläche zu. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass ich antrete. Meine Kandidatur wird ausstrahlen auf die anderen Kandidatinnen. Sie bietet den Boden dafür.
Wie wollen Sie in so vielen Kommunen gleichzeitig Wahlkampf machen?
Ich bin Stratege. Ich habe das über zwei Jahre vorbereitet. Es gibt kaum noch kommunale Grenzen. In 33 Kommunen liegt die gleiche Bewerbung. Ich suche mir zentrale Punkte aus, zum Beispiel Bous. Bous ist das Nadelöhr für Saarbrücken, Völklingen und so weiter. Da erreiche ich sternförmig die Leute, die auch in einer anderen Gemeinde wählen können. Etwa wenn ich in Bous stehe und jemand bitte, für mich zu unterschreiben, und der Mensch zu mir sagt: „Ich bin aber Saarbrücker und wähle dort." Dann sage ich: Dann gehen Sie bitte nach Saarbrücken und unterschreiben für mich.
Auch amtierende Bürgermeisterinnen stehen ihrer Initiative ablehnend gegenüber. Sie sagen, es komme auf die Leistung an und weniger auf das Geschlecht. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Glauben Sie, dass eine dieser Frauen sich in diesem Klima anders äußern könnte? Ich empfinde es nicht als Anfeindung. Von diesen vier Frauen „müssen" drei wiedergewählt werden.
Ihre Initiative ist bisher nicht auf ein breites mediales Echo gestoßen?
Als ich angefangen habe, hatte ich die Idee, dass die Initiative auch überregional auf ein breites Medienecho stoßen würde; als ein innovativer Schritt innerhalb des Landes. Ich habe der Kanzlerin und der Familienministerin Briefe geschrieben und Frau Kramp-Karrenbauer (CDU-Chefin und frühere Saar-Ministerpräsidentin; Anm. der Red.) über das Kontaktformular kontaktiert.
Gab es eine Resonanz?
Nein. Es gab das große Schweigen. Ich habe Respekt vor dem großen öffentlichen Schweigen, weil man vieles am Anfang nicht sieht – wie ein Samen, der in der Erde keimt. Heute gibt es wenigstens das Internet. Gäbe es Facebook nicht, wäre ich zum Schweigen verdammt. Vielleicht wird das große Schweigen nach den Wahlen gebrochen.