Freigelassen und vogelfrei: So empfand Karin Gaulke ihre Lage nach der Wende. Sie zog 1982 nach Berlin, in die inzwischen verlorene Hauptstadt der DDR. Heute schätzt sie den Schmelztiegel aus Ost und West.
Ich bin eine Berlinerin, aber eine zugezogene, also keine waschechte, und lebe seit 1982 hier. Es ist die Stadt, die mir in Deutschland am vertrautesten ist und am meisten gefällt. Ich würde gar nicht woanders leben wollen – allerdings kenne ich auch nicht alle deutschen Städte. Berlin hat mit mir zu tun: Ich bin eine Weltbürgerin, weltoffen, da passt Berlin gut zu mir und ich zu Berlin.
Ich komme eigentlich aus MeckPomm, damals noch Bezirk Neubrandenburg, bin am Oderhaff in Torgelow geboren und in Eggesin aufgewachsen. Das hat mich geprägt. Ich liebe
Wasser, das Meer, die Seen. Auch in Berlin gibt es viel Wasser, vielleicht ist es das, warum ich bewusst oder unbewusst an Berlin hänge. Und natürlich, weil es so grün ist.
Die Liebe hat mich 1982 in die Hauptstadt gebracht, den Teil, der immer Hauptstadt war, damals gab es ja noch Ost- und West-Berlin. Ich habe in Berlin gearbeitet, beide Töchter sind hier geboren, also waschechte Berlinerinnen.
Rückblickend war es ein gutes Leben. Ja, es gab Sehnsüchte, die nicht erfüllt wurden, aber die hat ja jeder, habe ich damals gedacht. Ich fand Berlin gut und interessant, auch wegen der Grenze. Es hat mich fasziniert, dass die mitten durch die Stadt ging. Und ich war neugierig, was dahinter war. Oft habe ich gedacht, da kommst du nie hin. Auch deshalb war für mich die Wende ein so verblüffendes Ereignis, so überraschend, so einzigartig, gewaltig … Mich haben in dieser Zeit oft Gefühle von Freiheit im positiven wie im negativen Sinn gepackt – freigelassen und vogelfrei sein. Mich daran zu gewöhnen, dass die Grenze und alles, was mit ihr verbunden war, weg ist, hat bei mir bis zur Jahrtausendwende gedauert.
Bunte Plakate an grauen West-Häusern
Für mich war der andere Teil immer der kapitalistische Westen. Ich habe ihn von Anfang an kritisch gesehen. West-Berlin fand ich fürchterlich, so verbaut, eng. Man sagte immer, der Osten ist grau, das stimmte auch, aber im Westen hingen bunte Plakate über oft grauen Fassaden. Mit den Jahren finde ich Berlin, Ost und West, insofern klasse, weil es die Stadt ist in Deutschland, die die Wiedervereinigung am besten vollzogen hat. Na ja, sie hatte ja auch die besten Voraussetzungen. Dieser Schmelztiegel hat so eine wunderbare Berliner Identität – eine gesamtdeutsche Identität erkenne ich aber noch nicht. Meistens wird nicht mehr so differenziert, nur gelegentlich bemerkt man noch Unterschiede. Die lassen sich schwer beschreiben: Gestus, Habitus, die Rückschau auf die eigene Vergangenheit, das ist noch öfter unterschiedlich, und es kommt die Frage auf: Ossi? Wessi? In meiner Familie widerspiegelt sich diese Situation, meine Töchter sind mit „Westmännern" zusammen.
Bis 1997 habe ich in Friedrichshain gewohnt, dann in Karow ein Haus gebaut, nach der Scheidung bin ich nach Weißensee gezogen und lebe jetzt in Pankow. Mein Traum war zu DDR-Zeiten eine Altbauwohnung mit hohen Decken, jetzt wohne ich in so einer Wohnung. Sie erinnert mich an das Gutsschloss in der Altmark, in dem meine Großeltern mit ihren vielen Kindern 1959 eingezogen sind. Als Ferienkind bin ich gern im Schloss herumgestrolcht. Vielleicht habe ich mir die Wohnung deshalb ausgesucht.
Berlin ist eine Stadt, die auf Zukunft ausgerichtet ist, nicht auf Vergangenheit. Das ist eine Stärke und auch ein Nachteil, denn es geht immer wieder um Hype, Hype, Hype. Diese Geschäftigkeit macht mich auf Dauer nervös. Wenn ich in Berlin unterwegs bin, freue ich mich – was oft passiert – schon auf meine ruhige Straße, meine Familie.