Wegen der Corona-Krise ist an Wassersport zurzeit nicht zu denken. Die Segelsportler starten ihre Saison deshalb virtuell mit der Premiere der eSailing-Bundesliga. Die Erfinder sehen darin ein Vorbild auch für andere Sportarten.
Vor zwei Jahren hatte Elias Rothe die Segel-Simulation schon einmal auf sein Smartphone geladen. Doch genau wie die meisten seiner Kollegen beim Berliner Verein Segelhaus am Wannsee (VSAW) löschte er das Programm schon bald darauf wieder vom Gerät. „Wir waren damals einfach zu schlecht", sagt er und lacht. Doch jetzt haben Rothe und seine Mitstreiter das Programm erneut installiert. Weil an Wassersport wegen der Corona-Krise momentan nicht zu denken ist und der eigentlich für Anfang Mai geplante Auftakt in der Deutschen Segel-Bundesliga (DSBL) verschoben wurde, starten Deutschlands Segelvereine ihre Ligasaison nun virtuell mit der eSailing-Bundesliga. Von April bis Juni kämpfen die Clubs um den Premierentitel in dieser wasserlosen Variante des Segelsports.
Im Vergleich zu anderen eSport-Versionen im Fußball, Basketball oder der Formel 1 steht eSailing noch ganz am Anfang. Erst im vergangenen Jahr hatte der Deutsche Segler-Verband (DSV) das Thema aufgegriffen und in Kooperation mit World Sailing und Virtual Regatta erstmals eine Deutsche Meisterschaft im eSailing ausgerichtet. „Segeln ist derart komplex, dass es schwierig ist, all das im Spiel realistisch darzustellen. Es kommt ja nicht nur auf die eigenen Segelkünste an, sondern auch auf den Wind und die Strömung", erklärt Rothe, weshalb eSailing bislang noch auf den Durchbruch wartet. Doch das Interesse wächst, auch Profis haben das Thema mittlerweile für sich entdeckt. eSailing erfordert taktisches Köpfchen und schnelle Reaktionen und taugt in dieser Hinsicht durchaus als Training für das echte Segeln. Gleichzeitig stellt es die Spieler vor ganz neue Herausforderung. Oder wie Rothe es ausdrückt: „Vorher war der Wind der Schuldige, wenn es nicht gut gelaufen ist. Jetzt kann man es auf das Internet schieben, das gehakt hat oder gleich ganz abgestürzt ist."
Auch Profis haben das Thema für sich entdeckt
Die eSailing-Bundesliga basiert auf „Virtual Regatta", einem weltweit agierenden eSports-Anbieter, dessen Segelregatta-Spiel sowohl auf mobilen als auch stationären Endgeräten gespielt werden kann. Innerhalb dieser Plattform haben die Organisatoren der DSBL eine Serie aufgesetzt, deren Format sich weitgehend an der echten Segel-Bundesliga orientiert: Club gegen Club, viele kurze Rennen sowie eine feste Anzahl von Spieltagen, die aus jeweils fünf Rennen bestehen. Sämtliche Rennen sowie die Ergebnisse werden live auf Youtube, Facebook und segelbundesliga.de übertragen.
Die Segelwettbewerbe der DSBL selbst werden von dem neuen Format nicht beeinflusst. Die Ergebnisse der eSailing-Bundesliga fließen nicht in die offizielle Tabelle der Segel-Bundesliga mit ein. Dennoch will sich natürlich jeder Verein bestmöglich präsentieren. Das gilt insbesondere für den Verein Seglerhaus am Wannsee, der nach seinem Meistertitel im Freien im vergangenen Jahr auch eine gewisse Verpflichtung sieht, nun auch virtuell um den Titel mitzusegeln.
„Wir sind schon fleißig am Trainieren und suchen nach talentierten
eSportlern", berichtet Rothe. Dabei würden in der eSailing-Bundesliga nicht zwangsläufig die gleichen Personen im Boot sitzen wie draußen. „Wir wollen die Sache für den gesamten Verein öffnen", sagt Rothe. Einige der Leistungsträger des Vorjahres wie Tim Elsner, Max Salzwedel oder er selbst zählen aber auch am Bildschirm zur Stammbesetzung. Pro Rennen darf allerdings immer nur ein Segler pro Club antreten, sodass der VSAW wohl rotieren wird.
„Wir wollen den Seglern, den Clubs und den Liga-Fans gerade jetzt eine Möglichkeit geben, unseren großartigen Sport und die Begeisterung für die Liga aufrechtzuerhalten: mit eSailing Connection in Zeiten von Social Distancing", erklärt Anke Lukosch, die Projektleiterin der Segel-Bundesliga. Die Idee, die DSBL virtuell zu starten, ist gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen und langjährigen Ligasponsor BAY entstanden. Das Unternehmen betreut neben vielen Wirtschaftsunternehmen auch etliche Sportverbände und -vermarkter. Der geschäftsführende Gesellschafter Karl-Christian Bay sieht großes Potenzial im virtuellen Ligasegeln: „Der Sport hat gerade in Zeiten wie diesen eine wichtige Aufgabe und kann einen erheblichen Beitrag dazu leisten, die derzeitigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens einigermaßen erträglich zu machen. Der Ansatz, die Segel-Bundesliga virtuell am Bildschirm zu starten, ist richtungsweisend und kann eine Blaupause auch für andere Sportarten darstellen."
Startberechtigt in der eSailing-Bundesliga sind alle deutschen Segelclubs, die eine Mitgliedschaft im Deutschen Segler-Verband vorweisen können –
auch jene, die sonst nicht in der ersten oder zweiten Liga der DSBL vertreten sind. Nach dem Auftakt am 10. April stehen bis zum 22. Mai immer freitags noch sechs weitere Spieltage an; die besten sechs Vereine qualifizieren sich anschließend für das Finale am 5. Juni.
Startberechtigt sind in der Bundesliga alle Segel-Vereine
Sechs Wochen später, am 17. Juli, soll dann nach jetzigem Stand auch auf dem Wasser die neue Saison in der Segel-Bundesliga anlaufen – wobei der Termin vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie abhängt. Rothe kann es schon jetzt kaum erwarten. „eSailing ist ja ganz nett, aber Segeln ist einfach ein Outdoorsport, bei dem man auch mal nass werden darf. Wir vermissen den Wind und die Wellen", sagt er. Zudem war im vergangenen Jahr gerade der besondere Teamgeist im VSAW einer der Garanten für den erstmaligen Gewinn des Meistertitels gewesen. Beim eSailing spielt dieser nun weniger eine Rolle, weil jeweils nur ein Spieler pro Verein allein vor dem Bildschirm sitzt.
„Ich glaube fest daran, dass wir in diesem Jahr noch richtig segeln werden", sagt Rothe. Eine Komplettabsage der Saison wäre für den Verein Seglerhaus am Wannsee ganz besonders tragisch, der sich durch die guten Leistungen im Vorjahr nicht nur erneut für die Champions League qualifiziert hatte, sondern auch erstmals für das North Stream Race im Juni von Kiel über Kopenhagen, Stockholm und Helsinki zum Zielort St. Petersburg. Wegen Corona sind die Häfen an der Ostsee momentan allerdings geschlossen. Ende April entscheidet sich, ob die Regatta in diesem Jahr stattfinden kann. „Das hätte schon einen bitteren Beigeschmack", meint Rothe. „Da könnten wir endlich einmal auf allen Partys mitfeiern. Aber dann kommt ein Türsteher namens Covid-19 und lässt uns trotzdem nicht hinein." In dem Fall wäre auch die eSailing-Bundesliga wohl nur ein schwacher Trost.