Zum Karriereende hat Patrick Hausding mit seiner dritten Olympia-Medaille im dritten Wettbewerb einen weiteren Meilenstein gesetzt. Deutschlands bester Wasserspringer hinterlässt eine riesige Lücke.
Versprochen ist versprochen, und so schnappte sich Patrick Hausding in der Stunde des großen Triumphs sein Handy. Noch am Beckenrand telefonierte er mit seiner Verlobten Marcela Maric. Die Kroatin, die ebenfalls Wasserspringerin ist, hatte zu Hause in Berlin mitgefiebert, als ihr Patrick zusammen mit Synchronpartner Lars Rüdiger vom 3-m-Brett im letzten Durchgang noch zu Bronze gesprungen war. „Es war so abgemacht, dass ich sofort bei ihr anrufe, egal was passiert“, berichtete Hausding. „Sie war völlig aufgelöst und hat geheult, und ich konnte es nicht fassen. Es war ein sehr emotionaler Moment.“
„Es war ein sehr emotionaler Moment“
Der nächste emotionale Moment folgt für das Paar im Oktober, dann wird geheiratet. Deutschlands bester Wasserspringer der vergangenen Jahre beginnt einen neuen Lebensabschnitt. Das Kapitel Olympia ist endgültig beendet, seine so erfolgreiche Karriere lässt der Rekord-Europameister in den kommenden Monaten langsam austrudeln. Auch die Sommerspiele in Tokio, bei denen er als Fahnenträger gemeinsam mit Beachvolleyballerin Laura Ludwig das deutsche Gesamtteam ins Stadion führte und seine dritte Olympiamedaille gewann, können ihn nicht von diesem Plan abbringen. Obwohl es bis Olympia in Paris „nur“ noch drei Jahre sind.
„Drei Jahre hört sich nicht viel an, aber für mich klingt es wie eine Dekade“, sagte Hausding, der 13 Jahre als Wasserspringer in der Weltspitze vertreten war und dafür immense Anstrengungen unternehmen musste. „Wenn ich an all die Verletzungen, Schweiß, Tränen und Schmerzen denke, kann ich mir absolut kein Paris 2024 vorstellen“, sagte Hausding, und er bekräftigte es nochmal: „Paris ist absolut keine Option mehr für mich.“ In den kommenden Wochen und Monaten wird er abtrainieren, vielleicht noch an dem ein oder anderen Wettbewerb starten – und das war es dann. Dass es wohl der richtige Zeitpunkt zum Rücktritt ist, zeigte auch der Einzelwettbewerb vom 3-m-Brett im Tokyo Aquatics Centre. Hausding patzte im Vorkampf bei gleich drei von sechs Sprüngen und verpasste völlig überraschend das Halbfinale. Statt wie bei seinem dritten Rang vor fünf Jahren in Rio erneut um eine Medaille zu kämpfen, war der 32-Jährige im Finale nur Zuschauer und mentale Unterstützung für Teamkollege Martin Wolfram, der Siebter wurde. Und Hausding rätselt vermutlich immer noch, wie ihm dieser Vorkampf-Fauxpas passieren konnte.
„Meine Fitness war da, meine Motivation war da, ich hatte eigentlich keine Nervosität“, sagte Hausding völlig ratlos. Irgendetwas habe beim Anlauf „technisch nicht hingehauen“, meinte er, ohne das Problem genau bezeichnen zu können: „Im Wasserspringen entscheidet sich alles in Millisekunden. Vielleicht wollte ich auch einfach zu viel.“ Hätte er nicht fünf Tage zuvor Bronze im Synchronspringen gewonnen, wäre der Berliner völlig gefrustet nach Hause geflogen. So aber hielt sich sein Gram in Grenzen. „Das ist auch jetzt der beste Trostpreis, den man haben kann“, sagte Hausding. Die Medaille sei sein „Traum, das große Glück, und das wird vieles relativieren.“
Schon bei seiner Olympiapremiere 2008 in Peking hatte Hausding mit seinem damaligen Partner Sascha Klein, mit dem er sich fünf Jahre später in Barcelona zum Weltmeister kürte, Silber gewonnen. Nach medaillenlosen und enttäuschenden Spielen in London folgte Einzel-Bronze in Rio. Und nun seine dritte Medaille im dritten Wettbewerb – das sucht im Weltvergleich seinesgleichen. „Damit macht man sich in Springerkreisen ein bisschen unsterblich“, meint Hausding: „Das wird ein bisschen dauern, bis es so etwas nochmal gibt. Das macht mich natürlich unglaublich stolz.“
Ihm war es schon immer wichtig, seine Fußspuren in der Sportart zu hinterlassen, die er schon im Kindesalter betrieb. Deshalb ist er auch in jedem Jahr bei den Europameisterschaften gestartet und konnte so sein Konto auf 17 EM-Titel hochschrauben. Auch diese Rekordmarke wird wohl noch sehr lange nach Hausdings Karriereende bestehen bleiben. Doch in Erinnerung bleiben vor allem seine Olympiamedaillen, und seine letzte ganz besonders. Denn der Synchronwettkampf in Tokio war an Dramatik kaum zu überbieten. „Das war der krankeste Wettkampf meines Lebens“, sagte der erfahrene Hausding.
Das deutsche Duo lag vor dem Schlussdurchgang nur auf Platz sechs mit einem deutlichen Rückstand auf die Podestplätze. Doch dann zeigten die Konkurrenten Nerven. Die Russen legten gar eine Nullrunde hin, weil Nikita Schleicher einen Bauchklatscher ins Wasser setzte. Auch die Mexikaner und Italiener ließen viele Punkte liegen. Und dann war sie da, die Chance für Hausding/Rüdiger, die als letztes Paar aufs Brett stiegen. Starke 85,50 Punkte für den Viereinhalb-Vorwärtssalto katapultierten die Europameister doch noch auf Rang drei. „Das war eine verdammte Achterbahnfahrt – aber eine gute“, meinte Rüdiger vom TSC Berlin. Von dieser Achterbahnfahrt war Hausding „eine ziemlich lange Zeit danach noch schwindelig“, und er spürte noch sehr lange „diesen emotionalen Stress“.
Dabei ist Hausding für solche Momente wie geschaffen. Er ist ein absoluter Wettkampftyp, der aufgrund seiner Erfahrung und Nervenstärke in diesen Situationen über sich hinauswächst. Er sei „ein Kampfschwein“, sagte Wassersprung-Bundestrainer Lutz Buschkow über seinen Vorspringer, der nun seine Karriere beendet. Für das deutsche Wasserspringen ist es ein herber Verlust, „Patrick ist für uns wie ein Sechser im Lotto“, so Buschkow. Nicht nur, weil er regelmäßig Medaillen aus den Becken dieser Welt gefischt hat, sondern auch, weil er als eloquenter und sympathischer Athlet die Sportart in die Medien transportiert, ihr zu mehr Aufmerksamkeit verholfen hat.
Das galt vor allem für Olympia in Tokio. Dass ihm bei seinen vierten Spielen die Ehre des Fahnenträgers zuteil wurde, war auch ein enormer Gewinn für das Wasserspringen. Es habe ihn „tierisch stolz“ gemacht, in den Kreis von Top-Sportlern wie Dirk Nowitzki, Timo Boll oder Natascha Keller aufgenommen zu werden: „Damit gehört man schon zum sportlichen Adel.“ Das sei eine Erfahrung, „die über den Sport hinaus“ gehe und sich „gut in der Vita“ mache. Und natürlich habe ihn die Eröffnungsfeier auch zusätzlich motiviert, eine Medaille zu gewinnen: „Ich war schon irgendwie unter Zugzwang, zu beweisen, dass sie den richtigen ausgewählt haben.“
Verlust für das deutsche Wasserspringen
Hatten sie. Hausding lieferte – zumindest im Synchronspringen. „Meine vierten Spiele, Fahnenträger, in der dritten Disziplin eine Medaille – es ist so viel zusammengekommen“, sagte Hausding, „es ist wie im Märchen“. Er habe noch mal „viele Meilensteine“ setzen können, „das kann ich gar nicht in Worte fassen. Ab jetzt hat er aber Zeit, all die Erfolge in seiner Karriere noch mal Revue passieren zu lassen. Hausding, der auf Lehramt Englisch und Sport studiert, lässt sich für die Zukunft alle Berufsfelder offen. Sollte er als Trainer in den Leistungssport zurückkehren, würde er dem Nachwuchs zu allererst die Spielkonsole verbieten. „Die Kinder spezialisieren sich lieber auf der Playstation als auf dem Sprungbrett“, sagte er über das Nachwuchsproblem im deutschen Sport: „Es fehlt einfach auch am Biss und an der Härte.“ Hausding war immer das Gegenteil. Doch jetzt will er loslassen und seinen neuen Lebensabschnitt genießen.