Drachenboot-Sport ist viel mehr als eine Gaudi-Veranstaltung zur Volksbelustigung. Mit „Schwamm Race" gehört eine Mannschaft aus dem Saarland zu den besten in Deutschland. Bei den Deutschen Meisterschaften in München will es sich für die EM in Italien qualifizieren.
Viele kennen Drachenboot-Rennen als Attraktion des Saarspektakels in Saarbrücken. Seit es das große Volksfest an der Saar gibt, also seit 1999, treten Firmenteams im Paddeln gegeneinander an. Aus dem einstigen Firmenteam „Fleisch Schwamm" ist inzwischen das Rennteam „Schwamm Race" erwachsen, das zwischen dem 16. und 18. September in München an den Deutschen Meisterschaften teilnehmen wird. Dort will sich das Team des 1. Drachenbootvereins Saar (DBV), des Kanu-Clubs Völklingen (KCV) und des Kanu-Clubs Undine in Saarlouis für die Europameisterschaft qualifizieren, die 2023 in Italien stattfinden wird. Perspektivisch ist auch eine WM-Teilnahme denkbar.
Beim ersten Saarspektakel vor 23 Jahren traten reine Firmenmannschaften in acht Booten gegeneinander an. „Das war pure Volksbelustigung, es ging auch darum, sich als Mannschaft möglichst originell zu verkleiden", erinnert sich Sascha Grandjean und ergänzt lachend: „Das hatte nichts mit Sport zu tun. Einige haben gepaddelt, andere hatten während dem Rennen einfach damit aufgehört und wieder andere paddelten rückwärts – es war ein Riesendurcheinander." Grandjean saß schon damals im Boot seines Arbeitgebers „Fleisch Schwamm", der sich noch immer als Sponsor des Vereins engagiert. Heute startet das Drachenboot Racing-Team Saarland in einheitlichen Trikots, vor 23 Jahren sah das anders aus: Der Trommler war als Schwein kostümiert, die Paddler als Metzger. „Das war lustig und kam ganz gut an", blickt Teamkapitän Grandjean zurück. Zusammen mit Trainer Andreas Reichert und Schlagmann Pascal Decker kümmert er sich um die Belange der Mannschaft.
Aus Spaß wurde schnell Ernst
Aus Spaß wurde jedoch schnell Ernst. Um beim Saarspektakel vorne mitzufahren, holte sich das Team fachlichen Rat von traditionellen Kanuten und wurde von Jahr zu Jahr besser. Weil die Teilnahmeregeln immer weiter gelockert wurden, durften mit der Zeit auch Teams antreten, deren Mitglieder nicht in der gleichen Firma arbeiteten. Davon machte auch das Team „Fleisch Schwamm" Gebrauch. Mit der Zeit avancierte es zum Topfavoriten auf der Saar und war auch auf anderen Gewässern in Südwestdeutschland sehr erfolgreich unterwegs. Neben sieben Saarspektakel-Siege in Folge räumte die Mannschaft auch dreimal in Folge bei der Schiersteiner Drachenboot Regatta bei Wiesbaden ab – immerhin die bundesweit zweitgrößte Veranstaltung dieser Art. Doch das reichte den saarländischen Paddlern nicht: „Irgendwann wollte wir mal an einer der jährlich von den beiden Dachverbänden DDV und DKV ausgerichteten Deutschen Meisterschaften teilnehmen", sagt Grandjean. 2018 in Schwerin war es dann soweit.
Um sich auf die Meisterschaften vorzubereiten, liehen sich die Saarländer im Vorfeld ein spezielles Rennboot aus, mit dem die Wettkämpfe ausgetragen werden. Es ist schmaler und schneller als die üblicherweise verwendeten bauchigen, aber stabilen Singapur-Boote. „Das war ein Riesenunterschied und eine sehr wackelige Angelegenheit. Trotzdem haben wir nur eine Woche später an der Meisterschaft teilgenommen", erzählt Grandjean. Vor Ort stellte er fest, dass ein ganz anderes sportliches Niveau vorherrschte als auf den Volksfesten und Wettbewerben, an denen sein Team bisher teilgenommen hatte. Welt- und Europameister nahmen in den Booten der Kontrahenten Platz, auch die weitestgehend von den Neckardrachen Neckarsulm gestellte Nationalmannschaft ging an den Start. „Wir kamen dort an und stellten fest, dass in den anderen Booten überwiegend junge Leute saßen, teilweise Modellathleten mit muskulösem Oberkörper und dürren Beinen – also so, wie man sich ein Klischee vorstellt", erinnert sich Grandjean: „Uns hatte damals keiner gekannt, und weil wir das mit Abstand älteste Team waren, hat man sich hinter vorgehaltener Hand gefragt, was die Opis aus dem Saarland eigentlich hier wollen." Wenig später waren die Zweifler schlauer: Auf Anhieb qualifizierte sich das Team aus dem kleinsten Flächenland Deutschlands für alle Endläufe der höchsten Klasse (Premium Mixed) und landete jeweils unter den besten Acht – über 2.000 Meter holte es sogar die Bronzemedaille.
„Die Motivation ist super hoch"
Mittlerweile trainieren die Drachenboot-Sportlerinnen und -Sportler dreimal pro Woche auf dem Wasser, hinzukommen sechs Tage im Kraftraum. „Da wird wie bei anderen Leistungssportarten richtig abgeliefert", findet Grandjean. Mit Erfolg: 2021 in Brandenburg an der Havel sogar Titel in der Premium Mixed-Klasse über 2.000 Meter, dazu Silber (500 Meter) und Bronze (200 Meter) im Sprint. Da sich der Deutsche Meister und der Vizemeister in jeder Disziplin für die folgende WM oder EM qualifiziert, hätte das Team aus dem Saarland an der WM 2022 in Florida teilnehmen können. Da der Verein zu diesem Zeitpunkt zwar im Deutschen Kanu-Verband (DKV), aber noch nicht dem Deutschen Drachenboot-Verband (DDV) angehörte, durften sie aber nicht antreten: „Ich war auch der Meinung, dass das zu dieser Zeit zu viel des Guten gewesen wäre", sagt Grandjean. Inzwischen ist das anders: „Ich bin guter Dinge, wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten super trainiert. Wenn wir uns qualifizieren, werden wir an der EM teilnehmen", stellt Grandjean klar. Manche im Team haben diese Erfahrung schon gemacht, aber eben in Booten anderer Vereine. Ziel der saarländischen Drachenboot-Vereine ist es aber, als Mannschaft international erfolgreich zu sein.
„Die Motivation ist super hoch. Diese Mannschaft im Training zu führen ist wirklich sehr einfach, wir haben wirklich einen sehr hohen Leistungsstandard. Jeder sucht immer wieder seine persönliche sportliche Herausforderung und das vor dem Hintergrund des Wechselspiels im Boot", lobt Trainer Andreas „Richy" Reichert seine Schützlinge. Der ehemalige Rennkanute mischt selbst noch im Boot mit und kümmert sich darum, dass das Team zur richtigen Zeit im Rennen alles punktgenau abrufen kann: Den richtigen Rhythmus, die passende Schlagfrequenz, den wohldosierten Krafteinsatz, die angemessene Paddeltechnik und auch die zielführende Wettkampftaktik. Darüber hinaus spielt die Besetzung der Positionen im Boot eine wichtige Rolle. Während sich der „Motorraum" mit den schweren Jungs in der Mitte befindet, müssen die Plätze davor und dahinter auch nach Gewicht besetzt werden. Und dies je nach Disziplin und Streckenlänge unterschiedlich.
So wird es auch Mitte September in München sein. Für einen der begehrten Plätze im Boot – nur vier Frauen und sechs Männer plus Steuermann und Trommlerin können an einem Rennen teilnehmen – rackern derzeit etwa 18 Kandidatinnen und Kandidaten. Das Ziel: Den DM-Titel über 2.000 Meter verteidigen und in den Sprints mindestens Vizemeister werden, um sich für die EM 2023 in Italien zu qualifizieren. Wer hätte das gedacht, als die Reise des Bootes beim ersten Saarspektakel vor 23 Jahren und mit einem Trommler im Schweinskostüm losging?