Eigentlich hätte das traditionsreiche Stadion im Jahnsportpark im Herzen Berlins bis zum geplanten Umbau längst stillgelegt sein sollen. Doch nun wurde die Betriebserlaubnis um zwei Jahre verlängert.
Als Uwe Hohn beim „Olympischen Tag der Leichtathletik" am 20. Juli 1984 den Speer auf eine bis heute nicht erreichte Weite schleuderte, wurden auch dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark die Grenzen aufgezeigt. Bei seiner Rekordweite von 104,80 Meter hätte der DDR-Leichtathlet beinahe die Hochsprunganlage auf der anderen Seite getroffen. Dort schauten sich die Springer verdutzt an, als der Speer knapp vor ihnen im Boden landete. Und noch ein Problem tauchte auf: Die Anzeigetafel war nur auf Weiten mit zwei Stellen vor dem Komma ausgelegt und wies daher eine Leistung von nur „04,80 m" aus.
Die Nachricht vom Wurf in eine andere Dimension ging um die Welt. Beim Leichtathletik-Weltverband sorgte man sich vor schweren Verletzungen, er änderte wenig später das Reglement und verlagerte den Schwerpunkt des Speers um ein paar Zentimeter nach vorne. Seitdem sind Würfe über 100 Meter fast unmöglich, der Jahnsportpark wurde also wahrscheinlich Zeuge des weitesten Speerwurfs aller Zeiten.
Der Mythos Jahnsportpark
Doch nicht nur Hohns Jahrhundertwurf ist Teil des Mythos Jahnsportpark. Das Gelände mitten im Herzen von Berlin, im Gleimviertel des Prenzlauer Bergs, hat im Laufe seiner vielen Jahre zahlreiche Geschichten erlebt. Die Radrennfahrer der Friedensfahrt schauten hier vorbei, die Fußball-Auswahlmannschaft der einstigen DDR und Serienmeister BFC Dynamo hielten dort ihre Heimspiele ab, die Leichtathletik listet für den Sportpark insgesamt 18 Weltrekorde auf, 2015 richtete die Uefa hier das Champions-League-Finale der Frauen aus, und drei Jahre später fand dort die Para-EM der Leichtathleten statt.
Viele Berliner verbinden mit dem Station, das nur einen Steinwurf entfernt von der Max-Schmeling-Halle und der pulsierenden Schönhauser Allee entfernt liegt, zahlreiche Erinnerungen. Deshalb war es für sie auch eine traurige Nachricht, als der Berliner Senat vor zwei Jahren, als sich Leuchtmittel aus den Fluchtlichtern herauszulösen drohten, entschied: Das traditionsreiche Stadion soll abgerissen und bis zu den Special Olympics 2023 durch einen kompletten Neubau ersetzt werden.
Der Bund Deutscher Architekten forderte, die „Deutschland-, wenn nicht gar weltweit einmalige Sport- und Freizeitlandschaft" des Jahnsportparks dürfe „nicht brachial umgestaltet werden". Auch die Anwohner diskutieren in der Frage kräftig mit. „Er ist einer der symbolhaften Orte Berlins", sagte Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher dem Tagesspiegel. „Deswegen sprechen wir hier nicht nur über ein sportpolitisches Thema, sondern über ein stadtentwicklungspolitisches."
Der Zeitplan, den Sport-Staatssekretär Alexander Dzembritzki vom Abriss bis zur Einweihung der Öffentlichkeit präsentierte, sah vor, dass die Betriebserlaubnis Ende 2020 ausläuft. Dass das Stadion quasi bis zum Baubeginn stillgelegt wird. Doch völlig überraschend wurde dieser Plan über den Haufen geworfen, der Jahnsportpark lebt weiter. Anfang Juni hob der Senat den Daumen, das Stadion darf zwei weitere Jahre genutzt werden. Der Hauptgrund für die Rolle rückwärts war der Aufstieg des Fußball-Clubs FC Viktoria 1889 in die 3. Liga. Für die Anforderungen des Profifußballs ist Viktorias Heimstätte, das Stadion Lichterfelde, nicht ausgelegt, und so musste eine Lösung her. In der Verlosung waren auch das Olympiastadion von Hertha BSC, die Alte Försterei von Union Berlin und das Mommsenstadion von Tennis Borussia.
Doch der Jahnsportpark war von Beginn an Viktorias Wunschlösung. „Wir hatten dem FC Viktoria Unterstützung bei der Stadionsuche zugesagt und unser Versprechen gehalten", sagte Sportsenator Andreas Geisel. Bernd Schultz, der Präsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV), freute sich „für den FC Viktoria 1889 und die weiteren möglichen Nutzer des Jahn-Stadions". Denn „im Berliner Fußball-Verband gibt es viele ambitionierte Vereine, die fernab des Berliner Olympiastadions und der Alten Försterei eine professionelle Spielstätte benötigen."
Um das Stadion wieder betriebstauglich und für die 3. Liga flott zu machen, wurden 1,5 Millionen Euro investiert. Zwei Containeranlagen bieten neuen Platz, weil das Gebäude, wo sich die Haupttribüne befindet, gesperrt wird. Geld verschlang auch die neue Flutlichtanlage, ohne die das Projekt nicht möglich gewesen wäre. Die Investoren von Viktoria (SEH Sports & Entertainment Holding) und auch der Berlin Thunder, die ihre Heimspiele in der neuen Europe League of Football (EFL) ebenfalls im Jahnsportpark austragen werden, kommen für die Kosten auf.
Eine volle Auslastung der knapp 20.000 Plätze, um die Kosten wieder reinzubekommen, ist nicht erlaubt. Das Brandschutzkonzept sieht aber immerhin ein halbvolles Stadion als maximale Auslastung vor. Die Vereine müssen dafür keine Miete zahlen, das Land übernimmt die Betriebskosten. Der Vorteil: Berlin hat ein Stadion mitten in Berlin, um auch andere Sportveranstaltungen durchzuführen. Und der altehrwürdige Jahnsportpark bekommt eine Gnadenfrist bis zum endgültigen Abriss im Jahr 2023.
Große Pläne für den Neubau
Dann soll für 160 Millionen Euro ein Komplex entstehen, der weit über ein Fußball- und Leichtathletikstadion für rund 20.000 Zuschauer hinausgeht. Geplant sind auf dem Gelände auch eine zweigeschössige Sporthalle, neue Tennisplätze, ein Fitnesspark und ein Clubhaus. Man plane eine „beliebte und stark frequentierte innerstädtische Kiezsportanlage für den Kita-, Schul-, Universitäts- und Vereinssport", heißt es aus dem Senat. Das Besondere daran: Alles soll barrierefrei sein. „Damit soll der Sportpark gleichzeitig zu einer zentralen Inklusions-Sportanlage und einem Stützpunkt für den Behindertensport ausgebaut werden."
Sofern der Neubau steht, ist der traditionelle Jahnsportpark um eine weitere Episode reicher. Seine Geschichte reicht weit länger zurück als der offizielle Eröffnungstag am 1. Oktober 1952. In den Zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts wurde das Gelände, auf dem die heutige Spielstätte steht, als Exerzierplatz für das Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiment Nr. 1 der Preußischen Armee genutzt. Von den Berlinern wurde der Platz daher damals meist nur „Exer" genannt. Später auch „Einsame Pappel", weil sich dort während der ersten Märzrevolution 1848 unter einer Schwarzpappel etwa 20.000 Arbeiter versammelt und von Friedrich Wilhelm IV. unter anderem das allgemeine Wahlrecht, den Zwölf-Stunden-Tag und Mindestlöhne gefordert hatten.
Ende des 19. Jahrhunderts aber verschwand alles Militärische von dem Ort, er wurde verstärkt für Leibesübungen genutzt – unter anderem von Hertha BSC, der damals noch Hertha 92 hieß. Die Stadt kaufte schließlich das Areal und baute es zu einer Sport- und Spielanlage um, die aber noch nicht viel mit dem heutigen Erscheinungsbild zu tun hatte. Das entstand erst mit dem Umbau im Rahmen der Weltjugendfestspiele 1951, als auf 22 Hektar ein 20.000 Zuschauer fassendes Stadion für Fußball- und Leichtathletik-Wettbewerbe erschaffen wurde. Ein Jahr später erhielt das Gelände durch das Ost-Berliner Magistrat seinen heutigen, nach Turnvater Jahn erinnernden, Namen.