Die Winterspiele in Peking sind beendet, Deutschland belegte Platz zwei im Medaillenspiegel hinter Norwegen. Das Mega-Event lieferte zahlreiche nationale und internationale Höhepunkte.
Neben Edelmetallen und großem Jubel hatten die Winterspiele in Peking 2022 noch ganz andere Dinge zu bieten. FORUM hat die größten Gesprächsthemen für Sie zusammengefasst:
GOLDJUNGE
In Pirna stellten sie für den „Local Hero" ihre Wecker. Rund 100 Menschen fieberten nachts beim Public Viewing im Bootshaus mit, als Francesco Friedrich abermals Bob-Geschichte schrieb. Auch Bruder David und Opa Horst waren dabei, um dem deutschen Fahnenträger am Schlusstag im Vierer die Daumen zu drücken. Und Friedrich lieferte: Als erster Pilot gewann er zweimal in Folge das Olympia-Double, mit vier Goldmedaillen ist er nun gleichauf mit Bob-Ikone André Lange. „Francesco macht alles richtig", schwärmte Lange, „er hat die Nervenstärke, ist kaltschnäuzig, das Gesamtpaket stimmt."
Der Perfektionist aus Pirna steht symbolisch für eine erdrückende deutsche Dominanz im spektakulären Eiskanal von Yanqing. Im Bobsport, Rodeln und Skeleton holte Team „D" von 27 möglichen Medaillen sagenhafte 16. So etwas hatte es zuvor noch nie gegeben. Und Friedrichs Kampfansage macht der internationalen Konkurrenz wenig Hoffnung: „Wir sind noch nicht müde."
SENSATION
Was die Skilangläuferinnen Victoria Carl und Katharina Hennig im Teamsprint abgeliefert hatten, war schlicht sensationell. „Ich zittere am ganzen Körper, das ist alles einfach unglaublich", sagte Carl wenige Minuten nach dem triumphalen Zieleinlauf. Die 26-Jährige sicherte vor den beiden scheinbar übermächtigen Kontrahentinnen Jonna Sundling (Schweden) und Natalja Nerprjajewa (ROC) die Goldmedaille. „Wir sind doch hier im falschen Film!", meinte Henning.
Denn ein Happy End hatte sich überhaupt nicht angedeutet. Carl war nur als Ersatzfrau eingesprungen, weil Katherine Sauerbrey, die als bessere Klassikläuferin gilt, sich am Morgen nicht topfit gefühlt hatte. Carl nahm die Herausforderung an – und wie! „Ich habe den Kopf ausgeschaltet und nur noch gedacht: Schieb, schieb, schieb, schieb", berichtete sie. Erst im Ziel bekam sie mit, welch Heldentat ihr und Hennig nach extrem anstrengenden 6x1,5 km gelungen war. Nach Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystad (geborene Künzel) hat der deutsche Skilanglauf wieder „Golden Girls". Doch der Erfolg in Peking sei etwas höher einzuschätzen als der von 2010, meinte Bundestrainer Peter Schlickenrieder: „Es ist etwas Einmaliges geschehen."
DOPINGFALL
Corona, Chinas Staatsführung, Nachhaltigkeit: Andere Themen hatten die Dopingproblematik zunächst in den Hintergrund gestellt. Doch dann wurde der Fall Kamila Walijewa publik – und eine Tragödie ungeahnten Ausmaßes erschütterte die Winterspiele. Im Mittelpunkt stand ein 15 Jahre altes Mädchen, ein Eiskunstlauf-Wunderkind, dessen Karriere aber ungewiss ist. „Man hat sie der Welt zum Fraß vorgeworfen", sagte Katharina Witt in der ARD. Die zweimalige Olympiasiegerin konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, als Walijewa am übermenschlichen Druck zerbrach. Viele Fehler in der Kür, Platz vier, Tadel statt Trost. „Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört zu kämpfen? Erklär‘ mir das!", sagte die umstrittene russische Trainerin Eteri Tutberidse tatsächlich noch am Eis zu ihrer minderjährigen Athletin, die zuvor durch die Hölle gegangen war. Auch IOC-Präsident Thomas Bach war es dabei „kalt über den Rücken gelaufen".
Warum durfte Walijewa überhaupt starten? Sie wurde im Dezember des vergangenen Jahres positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet, das Ergebnis wurde aber erst einen Tag nach dem Sieg der russischen Mannschaft im Team-Wettbewerb bekannt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und das IOC wollten Walijewa vorläufig suspendieren – doch der internationale Sportgerichtshof Cas lehnte ab. Die Haupt-Begründung lautete: Die Sportlerin gilt wegen ihres Alters als besonders schutzbedürftig, ein Ausschluss könnte zu „irreparablen Schäden" beim Kind führen.
Doch die könnten der Start auch hervorgerufen haben. Der Gerichtsstreit wird sich wohl noch lange ziehen, die Walijewa-Seite beteuert ihre Unschuld. Das Eiskunstlaufen denkt als Konsequenz über die Erhöhung des Mindestalters von 15 auf 17 Jahre nach. Das alles hilft Walijewa nicht mehr. Ihr Fall ist mehr als nur ein Dopingfall, es ist eine persönliche Tragödie, die die Fehler des Systems auf brutale Weise entlarvt hat. „Was da passiert ist, darf nie wieder passieren", forderte Witt.
SUPERSTAR
Der Druck war riesig. Sie sollte es sein, das Gesicht der Winterspiele von Peking. Das wusste Eileen Gu ganz genau, als sie in den USA in den Flieger stieg, um im und für das Heimatland ihrer Mutter um Gold im Ski-Freestyle zu kämpfen. Mehr noch: um dort das strahlende China zu verkörpern. Die 18-Jährige, die in ihrer Freizeit modelt und ab Herbst an der kalifornischen Elite-Universität Stanford studieren will, erfüllte diese Mission mit Bravour. Zweimal Gold (Big-Air und Halfpipe), einmal Silber (Slopestyle), spektakuläre Sprünge – und ganz viel Zahnpasta-Lächeln. Gu präsentierte vor den kühlen Türmen eines ehemaligen Stahlwerksgeländes unerreichte Klasse und pure Lebensfreude.
Die „zwei intensiven Wochen" würden ihr Leben „für immer verändern", da ist sich Gu sicher. In ihrem Geburtsland dürfte die „Schneeprinzessin" jedoch einen frostigen Empfang erlebt haben. Im patriotischen Amerika kam es überhaupt nicht gut an, dass sich Gu im Alter von 15 Jahren entschieden hatte, für China zu starten. Ihre offizielle Begründung lautete, sie wolle damit „Millionen junger Menschen inspirieren". Gut, das wäre ihr auch im US-Team möglich gewesen. Viele glauben, dass mehr dahintersteckt. In jedem Fall ist der Plan für den Gastgeber aufgegangen: Gu hat der Welt ein anderes Gesicht von China gezeigt – auch wenn das mit der Realität im autoritär geführten Riesenreich wenig zu tun haben dürfte.
REKORD
Vom Kreißsaal auf den Olympia-Thron in nicht mal zwei Jahren? „Das ist fast ein bisschen kitschig, gell?", meinte Natalie Geisenberger selbst. Und doch ist es wahr. Nach der Geburt ihres Sohnes Leo im Mai 2020 hat sich die Rodlerin noch mal aufgerafft, um ein großes Ziel zu erreichen: deutsche Rekord-Olympiasiegerin bei Winterspielen. Mit den Goldmedaillen Nummer fünf und sechs (Einzel und im Team) ist ihr das in Peking gelungen. „Du inspirierst uns alle, besonders uns Mütter", schrieb die amerikanische Bob-Pilotin Elana Meyers Taylor in den Sozialen Medien.
Geisenberger war so viel Rampenlicht fast ein wenig unangenehm. „Mir sind solche Rekorde eigentlich nicht wichtig, zumindest jetzt noch nicht", sagte die 34-Jährige: „Vielleicht kommt das irgendwann." Ganz sicher nach dem Karriereende, der Zeitpunkt ist aber noch offen. „Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Jetzt gerade ist es ziemlich schön", sagte sie zwar. Doch einen Start bei den Spielen 2026 in Mailand/Cortina d‘Ampezzo könne sie nicht komplett ausschließen.
METHUSALEM
Vor Geisenberger durfte sich Claudia Pechstein mit fünfmal Gold, zweimal Silber und zweimal Bronze als erfolgreichste deutsche Wintersportlerin bezeichnen. In Peking kam zwar erwartungsgemäß keine weitere Medaille dazu – dafür aber ein anderer Rekord. Durch ihre achte Olympia-Teilnahme ist sie weltweit die Nummer eins bei den Frauen, nur der japanische Skispringer Noriaki Kasai kann da noch mithalten. Und die Eisschnellläuferin war keine Olympia-Touristin in Peking: Nachdem sie im 3000-m-Rennen den 20. und letzten Platz belegt hatte, lief sie beim Massenstart als Neunte in die Top-Ten. Und das als fast 50-Jährige!
„Ich habe gezeigt, dass ich in meinem Alter noch leistungsfähig bin", sagte Pechstein: „Das haben mir wenige zugetraut." Da war sie wieder: Pechstein, die Getriebene. Es scheint, als müsse sie der Welt immer wieder etwas beweisen. Die komplexe und weitreichende Sperre, die sie „Unrechtssperre" nennt, wirkt noch immer nach. Umso genussvoller führte Pechstein bei der Eröffnungsfeier als Fahnenträgerin das Team „D" ins Stadion. Und dann ließ sie ihre Kritiker mit einem Satz aufhorchen: „Ich schließe nichts aus", sagte sie auf die Frage eines möglichen neunten Olympiastarts in vier Jahren.
DRAMA
Eric Frenzel wollte die Sorgen um seine Person unbedingt beenden. „Es geht mir gut", sagte er auf einer Pressekonferenz: „Es war einfach in dem Moment die enorme Erschöpfung und das viele Laktat, was mich niedergerungen hat". Die Bilder von seinem körperlichen Zusammenbruch im Staffelrennen der Nordischen Kombination waren verstörend – vor allem vor dem Hintergrund seiner Corona-Erkrankung.
Wegen der hatte der 33-Jährige elf Tage sein Quarantäne-Zimmer nicht verlassen dürfen, auf der Strecke musste er diesem Umstand Tribut zollen. Sein Einbruch auf dem dritten Teilstück war so heftig, dass der dreimalige Olympiasieger hinterher sogar auf die Siegerehrung verzichtete.
Die Silbermedaille, die das Team trotzdem noch erringen konnte, bekam Frenzel später überreicht. Die Freude war dadurch nicht kleiner. „Die anderen wollten meine Situation natürlich nutzen", sagte Frenzel und dankte seinen Teamkollegen Julian Schmid, Manuel Faißt und Einzel-Olympiasieger Vinzenz Geiger: „Glücklicherweise hatte ich so ein gutes Team an meiner Seite."
SKANDAL
Nein, Kontrollen wird Katharina Althaus in ihrem Leben nicht mehr unbesorgt über sich ergehen lassen. Auf ihrer Rückreise aus China verpasste sie ihren Anschlussflug, weil sich Kontrolleure länger als vorgesehen mit ihrem Gepäck beschäftigten. Vor allem die Silbermedaille, die die Skispringerin im Einzel gewonnen hatte, war von großem Interesse. Immerhin: Die Medaille wurde nicht „konfisziert" – um ein zweites Edelmetall sah sich Althaus jedoch von einem Kontrolleur betrogen.
Im Mixed-Wettbewerb wurde das aussichtsreiche deutsche Team disqualifiziert, weil Althaus‘ Anzug offenbar zu groß gewesen war. Die Athletin weinte und warf dem Weltverband vor, den Sport „mit so einer Aktion kaputt" zu machen. Auch Karl Geiger, der später noch zweimal Bronze gewann, empfand die Disqualifikation als „bodenlose Frechheit". Zumal es nicht nur die Deutsche traf, sondern vier Athletinnen aus vier anderen Nationen auch.